Energiekonzept Erneuerbare Energien im Realitätscheck

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Ein Solarpark in der Wüste. Quelle: AP

Derlei Verzögerungen wären weniger dramatisch, würden sich die Grünstrom-Apologeten nicht allzu sehr auf die vollständige Energie-Autarkie konzentrieren: eine 100-prozentige Versorgung mit Wind, Sonne und Biomasse aus Anlagen in Deutschland. Die wäre, da sind sich viele Experten einig, höchst unwirtschaftlich.

Die Alternative ist ein europäischer Ökostromverbund, „in dem die grünen Kraftwerke dort stehen, wo sie den höchsten Ertrag bringen“, sagt Bernd Utz, von Siemens Energy und Verantwortlicher für das Wüstenstromprojekt Desertec. „Der richtige Standort hilft der Wirtschaftlichkeit der Erneuerbaren auf die Sprünge“, sagt Utz. Stephan Kohler geht noch einen Schritt weiter. Der Chef der halbstaatlichen Deutschen Energie-Agentur (Dena) in Berlin sagt: „Allein wird Deutschland die Energiewende nicht schaffen.“

Aber warum sollte dies auch das Ziel sein? Schon seit Jahrzehnten ist das Land von Energieimporten abhängig.

Notwendige Summen erinnern an Mondmission

In der großen grünen Lösung würden eine Kette von Meeres-Windparks von Irland bis Dänemark und leistungsstarke Solarkraftwerke im Wüstengürtel Nordafrikas, wie sie Desertec plant, Europa mit Strom beliefern.

Und Dena-Chef Kohler hat noch eine grüne Energiequelle entdeckt: Biogas aus der Ukraine. In den riesigen Weiten des dünn besiedelten Flächenstaats, so Überlegungen von Stromexperten, könnten im großen Stil Energiepflanzen wie Raps angebaut werden. Sie würden mit Holzabfällen aus den Wäldern und Gülle aus den Ställen zu Biogas verarbeitet und später in deutschen Kraftwerken verfeuert. Transportiert wird es durch die vorhandenen Erdgasleitungen.

Was ein internationaler Stromverbund am Ende kosten würde, hat allerdings noch niemand durchgerechnet. Sicher ist: Mit 400 Milliarden Euro allein für das Wüstenstromprojekt Desertec erreichen die notwendigen Summen Dimensionen, die an die Mondmissionen der Amerikaner erinnern.

So bietet sich als pragmatischer Ansatz zur grünen Totalrenovierung des Strommarkts der Weg an, den die Stadtwerke München eingeschlagen haben. Der kommunale Energieversorger hat angekündigt, spätestens im Jahr 2025 alle Haushalte und Unternehmen der Millionenmetropole mit Watt und Volt aus sauberen Quellen zu versorgen. Nur ein kleiner Teil des Ökostroms wird dann allerdings aus örtlichen Anlagen stammen. Den überwiegenden Teil produzieren die Stadtwerker viele Hundert Kilometer entfernt: in Meereswindparks vor Sylt und vor der walisischen Küste, mit Mühlen im Havelland und mit einem Solarthermie-Großkraftwerk in Andalusien.

E.On-Manager Mastiaux zieht aus den vielen Unsicherheiten vor allem einen Schluss: Es führt nicht weiter, für den Systemwechsel ein festes Datum zu setzen, egal, was der Umbau der Stromversorgung kostet. Seine Prognose: „Das wird ein Umstieg in vielen Schritten.“

Der grüne Wandel findet statt. Das Problem ist, dass er wesentlich länger braucht, als es die Vordenker gerne hätten.

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