Dabei hatte Deutschland bisher noch Glück: Just als die Gaslieferungen aus Russland abflauten, war das Wetter günstig. Der Wind wehte passabel, aber vor allem die Sonne schien länger als erwartet. In den Mittagsstunden lagen bis zu 8000 Megawatt Sonnenstrom am Netz, so viel wie sieben Atomkraftwerke – und zum Glück vor allem im Süden. Aber klar ist: Aus der gesicherten Stromversorgung wird ein riskanter Power-Poker.
Eigentlich ist Deutschland gar nicht schlecht mit Gasreserven versorgt: Industrie, Kraftwerke und Haushalte verbrauchen pro Jahr rund 100 Milliarden Kubikmeter Gas. Rund 20 Milliarden Kubikmeter lagern unter der Erde.
Im Winter reichen die Vorräte für rund zwei Monate. Zwei Kilometer tief unter dem niedersächsischen Rehden – 60 Kilometer südlich von Bremen – befindet sich der größte dieser natürlichen Erdgasspeicher in Westeuropa. In einer 20 bis 40 Meter dicken Gesteinsschicht, die sich über acht Quadratkilometer erstreckt, lagert der Jahresverbrauch von zwei Millionen Einfamilienhäusern – gut vier Milliarden Kubikmeter. Derzeit holt Betreiber Wingas so viel Gas aus der Tiefe wie möglich.
Gestiegener Bedarf wird ausgeglichen
Aus Sicht des Kasseler Unternehmens ist das aber keine Krisenintervention, sondern eine normale Phase im Jahreszyklus. Im verbrauchsarmen Sommer füllt die Branche ihre Reserven zu niedrigeren Preisen auf, im Winter gleicht sie den steigenden Bedarf aus.
Das aktuelle Problem: Das Gas lagert in der falschen Region. So wie sich der viele Windstrom von der Nordseeküste nur begrenzt in den Süden leiten lässt, wo die brummende Industrie den höchsten Bedarf hat, so fließt auch das Gas nicht flott genug in Richtung Bayern und Baden-Württemberg. Und die Reserven lagern nun mal überwiegend nördlich des Weißwurstäquators.
Morgenluft wittern nun die Investoren, die mit einer zusätzlichen Pipeline Gas aus Aserbaidschan nach Westeuropa führen wollen. „Es ist das klassische Beispiel, dass man sich nicht auf ein oder zwei Lieferanten verlassen darf“, wirbt Michael Hoffmann, Cheflobbyist der TAP AG. „Das schärft den Blick aller dafür, dass wir eine Pipeline für den Südkorridor brauchen, so schnell wie möglich.“
Keine lange Leitung
Das Konsortium unter Beteiligung der deutschen E.On AG will eine Verbindung von bestehenden Röhren an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei durch die Adria nach Italien legen. Es konkurriert mit der Sechs-Länder-Mannschaft, die mit ihrer Nabucco-Leitung das russische Territorium auf eigene Faust umgehen will.
Doch zumindest die lange Leitung von Mittelasien bis nach Österreich wird es nicht geben: Regierungsvertreter aus Aserbaidschan haben deutschen Politikern bereits mitgeteilt, dass Nabucco nicht den Zuschlag bekommen werde. Die Aseris bauen zusammen mit dem Partner Türkei lieber die Trans-Anatolian-Pipeline (TANAP) bis zur türkisch-griechischen Grenze. Ob der Weitertransport dann über TAP, eine verkürzte Nabucco-Röhre oder ein weiteres Konkurrenzprojekt laufen soll, will Aserbaidschan voraussichtlich bis Ende März entscheiden.
Auch EnBW-Chef Villis kann der frostigen Zitterpartie der letzten Tage eine günstige Perspektive abgewinnen: Im Nachgang zu dieser Kälteperiode könnte „die Erkenntnis weiter reifen, dass der Umbau des Energiesystems konsequent, aber mit Augenmaß erfolgen sollte. Eine Energiepolitik aus einer Hand und gerne auch von einem Fachministerium geführt, könnte hier durchaus helfen.“