Energiewende und Gewerkschaften Arbeiterführer kämpfen gegen sich selbst

In der Energiebranche ringen zwei Gewerkschaften um die Vormacht: Verdi und IG BCE sind heillos zerstritten. Es geht um Mitglieder, Einfluss und öffentliche Wahrnehmung.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Sparpläne der Versorger
Wie die Energiekonzerne sparen wollen Quelle: dpa
RWE will jetzt auch bei den Gehältern seiner leitenden und außertariflichen Angestellten sparen. Das Unternehmen strebe für 2014 eine Nullrunde bei dieser Personengruppe an, sagte eine Unternehmenssprecherin am 29. November. Betroffen seien über 6000 Mitarbeiter in Deutschland, europaweit sogar 16.000 Beschäftigte. In einem internen Schreiben kündigte der RWE-Vorstand nach Angaben der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ an, diesem Mitarbeiterkreis 2014 „keine generelle Gehaltserhöhung zu gewähren“. Hintergrund sei die schwache Ertragskraft des Konzerns, die 2014 zu einem deutlichen Ergebnisrückgang führen werde. Neben den Aktionären, die für 2013 eine halbierte Dividende hinnehmen müssen, sollten alle Beschäftigten „ihren Beitrag zur langfristigen Sicherungen der Finanzkraft leisten“. Durch die Maßnahme will der Konzern einen zweistelligen Millionenbetrag sparen. Quelle: dpa
Angesichts der düsteren Aussichten auf dem deutschen Energiemarkt sollen bis 2016 weitere 6750 Stellen wegfallen oder durch Verkauf abgegeben werde, 4750 davon in Deutschland. Terium will auch auf Management-Ebene über Gehaltskürzungen sprechen. Betriebsbedingte Kündigungen soll es soweit möglich nicht geben. RWE setzte auf die konzerninterne Jobbörse, Altersteilzeit und die natürliche Fluktuation. Den bis Ende 2014 garantierten tariflichen Kündigungsschutz will Terium angesichts der Lage nicht verlängern. Von 2011 bis Ende 2013 hat RWE bereits 6200 Stellen abgebaut oder durch Verkauf abgegeben. Der neue Abbau trifft vor allem die Kraftwerkssparte mit 2300 Stellen. Im Rahmen des Effizienzprogramms „RWE 2015“ fallen 2400 Stellen weg, und durch den geplanten Verkauf der Ölfördertochter Dea weitere 1400 Stellen. Auch die Tochter für erneuerbare Energien RWE Innogy speckt ab - 250 Stellen gehen verloren. Zum Jahresende 2013 verringert sich die Zahl der Stellen von 67.400 auf knapp 61.000. Ende 2011 arbeiteten noch 72.000 Menschen für RWE. Quelle: dpa
Bei RWE greifen mittlerweile mehrere Spar- und Effizienzprogramme ineinander. Im Rahmen des Programms RWE 2015 will Terium bis Ende des kommenden Jahres 1 Milliarde Euro einsparen. Zunächst hieß es, die Zahl der Mitarbeiter solle um 8000 sinken, mittlerweile ist von über 10.000 Stellen die Rede. 3000 davon sollten durch Verkäufe von Unternehmensteilen wegfallen. Nun legte Chef Peter Terium nochmals nach (siehe vorangegangenes Bild). Quelle: dpa
Besonders betroffen ist die Kraftwerkstochter RWE Generation. Im Rahmen des Programms NEO sollen die Kosten hier jährlich um 750 Millionen Euro gesenkt werden. Die Kraftwerkstochter soll 3000 Stellen streichen. Die Sparte hat derzeit 18.000 Beschäftigte. Im Rahmen des Atomausstiegs hat RWE bereits das Kernkraftwerk Bibilis stillgelegt, Lingen, und Mülheim-Kärlich befinden sich im Rückbau. In Betrieb sind noch Emsland, Gundremmingen (75% Beteiligung) und Borssele (Niederlande, 30 % Beteiligung) Quelle: dapd
EnBWDer baden-württembergisch Energieversorger zieht aus seiner Ertragskrise weitere Konsequenzen und verkleinert den Vorstand von fünf auf vier Personen. Vorstand Dirk Mausbeck, bisher für Vertrieb und Marketing verantwortlich, wird mit Ablauf seines Vertrages am 30. September 2014 das Unternehmen verlassen. Seine Aufgaben übernimmt zum Teil Vorstandschef Frank Mastiaux (Foto). Die Sparten Handel und Verteilnetze sollen noch verteilt werden. EnBW kämpft in Folge der Energiewende mit schrumpfenden Erträgen. Mastiaux will den einst stark auf Atomkraft setzenden Konzern auf die Erzeugung von erneuerbarer Energie und auf neue Serviceangebote für die Strom- und Gaskunden trimmen. Dazu ist bereits ein umfassendes Sparprogramm aufgelegt worden... Quelle: dpa
Um den Konzern effizienter zu machen, sollen Kerngesellschaften auf die EnBW AG verschmolzen und Tochtergesellschaften verkauft werden. Das im Oktober 2010 angestoßene Effizienzprogramm "Fokus" soll bis Ende 2014 jährlich eine Entlastung von 750 Millionen Euro bringen. Bis Ende 2014 werden 1350 Stellen bei EnBW gestrichen - das soll Einsparungen von rund 200 Millionen Euro bringen. Der Umbau soll sozialverträglich organisiert werden. Freie Stellen - vor allem in der Verwaltung - werden nicht neu besetzt, Altersteilzeitangebote umgesetzt und Abfindungen gezahlt. Vor dem Sparprogramm arbeiteten 21.000 Menschen für EnBW. EnBW hat im Zuge der Energiewende das Kernkraft Neckarwestheim bereits teilweise stillgelegt, das Werk Obrigheim befindet sich im Rückbau. Am Netz sind noch Philippsburg und Fessenheim, Frankreich / Elsass (17,5% Beteiligung). Quelle: dpa

Der Krieg der Gewerkschaften fing wie so viele Kriege ganz harmlos an: Rund einhundert Mitarbeiter des Netzbetreibers Tennet sind von einer Gewerkschaft zur anderen gewechselt. Verdi verlor sie, die mächtige Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, kurz IG BCE, gewann sie. Das sah nach Mitgliederabwerbung aus, nach gezieltem Aderlass. „Es handelt sich um ein Organisations-Abgrenzungsverfahren, Leitungsunternehmen wie Tennet sind nach den Regeln des DGB bei Verdi anzusiedeln“, sagt Verdi-Gewerkschafterin Martina Sönnichsen zur WirtschaftsWoche.

Seit Jahren ringen Verdi und IG BCE um Macht und Einfluss bei den großen Energiekonzernen E.On, RWE, EnBW und Vattenfall. Da der Energiesektor einst, vor langen Jahrzehnten, staatlich war, gibt es viele Verdi-Mitglieder bei den Versorgern. Da diese vor noch mehr Jahren auch Bergbau betrieben, ist auch die IG BCE stark engagiert, die sich als eigentliche Energiegewerkschaft begreift – deswegen das E im Namen.

Neuausrichtung - So steht es um die Energiekonzerne

Jahrelang ging es nur um Macht- und Pöstchenpoker zwischen den beiden Arbeitnehmerorganisationen. Es ging vor allem um Aufsichtsratsposten und Sitze in den mächtigen Kontrollgremien der Versorger, dem Präsidium, dem Investitionsausschuss und dem Personalausschuss, der über das Topmanagement bestimmt. Da wollten beide, Verdi und IG BCE, mitentscheiden.

Nun geht es nicht mehr um diesen Personal-Proporz, es geht ums Ganze. Es geht auch darum, dass sich IG BCE-Spitzenfunktionäre so häufig zur Energiepolitik äußern, im Fernsehen und in den Wirtschaftsmedien. Das stößt Verdi unangenehm auf. So hat Verdi nun sogar demonstrativ die tarifpolitische Zusammenarbeit mit der IG BCE beim Energieversorger RWE gestoppt. Verdi will die IG BCE vor dem Schiedsgericht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG) verklagen. Der Vorwurf: Die IG BCE will in den Mitgliedbestand von Verdi einbrechen und den Kontrahenten, der früher Mitstreiter war, an der Mitgliederbasis schwächen.

Ist alles eine Verschwörungstheorie?

Hinter der Vermutung, dass die IG BCE quasi feindlich die Mitglieder von Verdi absauge und zu sich hinziehe, steckt auch eine Quäntchen Verschwörungstheorie. Denn in der Energiewirtschaft gibt es eine außergewöhnlich hohe Loyalität der Beschäftigten mit den Arbeitgebern. Das liegt zum einen am immer noch traditionellen Korpsgeist der Energiewirtschaft, deren Beschäftigten gern an einem Strang ziehen, zum anderen auch an der außergewöhnlich guten Bezahlung in dieser Branche, bisher jedenfalls. Gesellschaftlicher Außendruck, Proteste in der Bevölkerung gegen Braunkohle-Luftverpester und die Anti-Atom-Bewegung haben die Beschäftigten bei in der Energiewirtschaft zudem zusätzlich zusammengeschweißt.

„Ein leitungsgebundenes Unternehmen ist klassisches Verdi-Terrain“, sagt Verdi-Frau Sönnichsen und spielt damit auf den Tennet-Fall an. Verdi ist auch sonst stark bei den großen Versorgern vertreten. Obwohl offiziell von den Gewerkschaften keine Angaben zu den Organisationsgraden gemacht werden, um die wahre Schwäche oder Stärke nach außen zu verschleiern, schätzen Insider den Verdi-Organisationsgrad bei RWE auf vier Fünftel der organisierten Beschäftigten. Das macht Mut, IG BCE in die Schranken zu verweisen.

Gegenüber der WirtschaftsWoche nimmt dazu der IG BCE-Vorstand Peter Hausmann Stellung: „RWE befindet sich in einer schwierigen Situation. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen Beschäftigungsperspektiven, darüber wird verhandelt. Um diese Verhandlungen zum Erfolg führen zu können, ist eine vernünftige Zusammenarbeit der Gewerkschaften erforderlich“ und fügt in Richtung Verdi hinzu: „Wer meint, Abgrenzungsfragen vor dem DGC-Schiedsgericht klären zu müssen, soll das tun. Wir sehen dem sehr gelassen entgegen.“

Die wichtigsten Regelungen im neuen EEG

Trotz der zahlenmäßigen Übermacht von Verdi in vielen Energieunternehmen trauen viele Beschäftigten der IG BCE mehr zu, da diese Gewerkschaft stets auf Konsens und Verhandlung setzt. Dieser Verhandlungsstil wurde früher durch Arbeiterführer wie Hubertus Schmoldt und den konservativen Hermann Rappe verkörpert. Schmoldt war schon äußerlich von den Topmanagern in den Chefetagen schwer zu unterscheiden. Verdi dagegen, stark gestützt auf den Öffentlichen Dienst, ist mehr streikorientiert und streikfreudig. „Die Verdi-Leute haben stets auch die Trillerpfeife im Samsonite-Koffer“, ätzt ein Arbeitnehmervertreter bei E.On.

Leidtragende des Zwists sind die Mitglieder: Die Energiebranche befindet sich in einer der größten Krisen seit ihrem Bestehen. Die Energiewende saugt den Versorgern die Gewinne weg, der bevorzugte Ökostrom drückt in die Netze und legt fossile Kraftwerke lahm. Vor allem Gaskraftwerke laufen nur noch wenige Stunden im Jahr und bescheren den Konzernen Verluste, viele Kohlekraftwerke sind ebenfalls keine Gewinnbringer mehr. Und die Atomkraftwerke, jahrzehntelang das Rückgrat der Energiewirtschaft, müssen nach dem Energiewendebeschluss vor drei Jahren im Kabinett Merkel bis 2022 abgeschaltet sein. „Das ist pure Enteignung“ machen sich viele Energiemanager ihrer Verzweiflung über das wegbrechende Geschäftsmodell Luft.

„Wir machen uns Sorgen um die Gewerkschaften“

Folge des betriebswirtschaftlichen Desasters, dem kaum ein funktionierendes Neugeschäft entgegensteht: Die Stellen bei der Versorger werden geschleift. Tausende von Mitarbeitern bangen um ihre Jobs. Konzernzentralen sollen aufgelöst und Teilbereiche zusammengelegt werden. In den Kraftwerken sitzen viele Ingenieure tatenlos herum, weil sie in den stillstehenden Meilern nur zu Reparatur- und Wartungsarbeiten herangezogen werden.

Sanierungsprogramme bei den Versorgern sprießen wie Unkraut im Hochsommer. Noch gab es so viel Angst bei den sonst so sicheren und betulichen Versorgern. Ausgerechnet zu diesem brennenden Zeitpunkt liefern sich die Energiegewerkschaften einen Krieg um Mitglieder. So sind viele Verhandlungsgemeinschaften von Verdi und IG BCE ausgesetzt. Das Management weiß nicht mehr, mit wem es verhandeln soll.

„Wir haben alles versucht, uns mit Verdi zu einigen“, sagt ein hochrangiger Gewerkschafter von Verdi in diesen Tagen. „Dem Schiedsgerichtsverfahren sehen wir sehr gelassen entgegen“, sagt ein Vertreter der IG BCE. Es geht nicht nur um Mitgliederabwerbung oder die offensichtliche Wanderungsbewegung zwischen den beiden Gewerkschaften. Angeblich sind die Verdi-Mitglieder ganz ordentlich, erst nach Ende der Kündigungsfrist ihrer Mitgliedschaft, zur IG BCE hinübergewechselt. Verdi kontert, IG BCE „wildert“ in den Verdi-Revieren.

Verdi beansprucht für sich die Pole-Position bei den Arbeitnehmervertretungen in der Energiewirtschaft. Das liegt an den früher staatlichen Energieversorgern, die auch den Kommunen gehörten oder immer noch gehören. Bei RWE haben die Kommunen immer noch das Sagen im Konzern. Folglich zieht Verdi daraus den logischen Schluss seiner Vorherrschaft im Konzern. Bei der IG BCE sagt ein Funktionär der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Kleinkarierte innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen sind jedenfalls alles andere als hilfreich“. Und ein Verdi-Arbeitnehmervertreter kontert: „Die IG BCE überzieht ihre Rolle“.

Ein Schiedsgerichtsverfahren des DGB ist keine Veranstaltung, die in zwei, drei Tagen über die Bühne geht. Die Uhren der Dachorganisation laufen langsam. Das heißt, bei den Versorgern werden die Pakete geschnürt ohne Tarifgemeinschaften und gemeinsame Verhandlungsgruppen von Verdi und IG BCE. Das allerdings muss nicht unbedingt die Arbeitnehmer schwächen, schätzt ein Betriebsrat die Lage ein. Denn das Management muss nun mit zwei Gewerkschaften verhandeln, die sich untereinander nicht grün sind. Folglich haben sie auch kein Interesse, sich rasch zu einigen, weil das nur beweisen würde, dass es auch ohne Tarifgemeinschaft geht. Das allerdings würde beide Arbeitnehmerorganisationen schwächen.

Verdi-Pressesprecherin Sönnichsen schätzt, dass das Schiedsgerichtverfahren eine lange Prozedur wird. Zur Zeit werde ein entsprechender Brief an den DGB formuliert, der das Verfahren in Gang setzen soll. „So etwas kann Monate dauern“, schätzt sie, „ich will meine Hand dafür nicht ins Feuer legen, aber in diesem Jahr kann man wohl nicht mehr mit einer Entscheidung rechnen.“

In den Top-Etagen der Energiekonzerne bemüht man sich, keine Schadenfreude zu zeigen. Ein Verlangsamungsprozess der Sanierungsbeschlüsse und des Stellenabbaus gefährdet nur zusätzlich das Überleben der ohnehin brüchigen Energiewirtschaft. Die Vorstände halten den Ball flach: „Wir machen uns Sorgen um die Gewerkschaften, eigentlich zum ersten Mal in unserem Leben“, sagt ein Energievorstand der WirtschaftsWoche.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%