Fracking auf dem Rückzug Wie Amerikas Traum vom Ölreichtum zerplatzt

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Abruptes Ende des Ölrauschs in North Dakota

2000 Kilometer nordwestlich von Liberty, in North Dakota, ist der Traum vom vorzeitigen Ruhestand für etliche Landbesitzer schon wahr geworden. In dem kargen Bundesstaat an der kanadischen Grenze wurden vor knapp zehn Jahren neue Schieferölvorkommen entdeckt und seither flächendeckend erschlossen.

Aus einem der ärmsten Bundesstaaten wurde schlagartig einer der reichsten. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt dort heute 30 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Viele Landbesitzer verdienen Zehntausende Dollar pro Monat durch die Ölförderung, manche sogar einige Hunderttausend Dollar. So brachte der Boom jährlich Hunderte neue Millionäre hervor, sanierte den Haushalt des Staates und verdoppelte die Einwohnerzahl etlicher Dörfer und Städte.

North Dakota ist das, was die Menschen in Liberty im Hinterkopf haben, wenn sie vom Öl sprechen. Doch zugleich ist North Dakota den Menschen in Mississippi auch ein warnendes Beispiel. Denn so märchenhaft der Aufstieg in Zeiten teuren Öls war, so schmerzhaft droht der Absturz. Bei diesem Preis ist selbst die Förderung in North Dakota, wo die Bohrer leichter an das Öl kommen als in Mississippi, kaum kostendeckend.

Die wichtigsten Export- und Importländer von Erdöl
Nigerianische Arbeiter an einer Öl-Leitung Quelle: dpa
Rang 5: Vereinigte Arabische EmirateExport: 120,6 Millionen Tonnen Anteil an Gesamtexporten: 5,8 Prozent Quelle: AP
Rang 4: IrakExport: 120,7 Millionen Tonnen Anteil an den Gesamtexporten: 5,8 Prozent Quelle: dapd
Rang 3: KanadaExport: 128,0 Millionen Tonnen Anteil am Gesamtexport: 6,1 Prozent Quelle: REUTERS
Rang 2: RusslandExport: 239,4 Millionen Tonnen Anteil an Gesamtexporten: 11,4 Prozent Quelle: dpa
Rang 1: Saudi-ArabienExport: 375,5 Millionen Tonnen Anteil am Gesamtexport: 17,9 Prozent Quelle: dpa
Die größten ÖlimporteureRang 6: DeutschlandImport: 93,4 Millionen Tonnen Anteil an den globalen Importen: 4,3 Prozent Quelle: dpa

Tausende Arbeiter in North Dakota hat der Ölpreisverfall in den vergangenen Wochen schon den Job gekostet. Allein der Förderkonzern Schlumberger entließ auf einen Schlag 9000 Mitarbeiter. Die Zahl der aktiven Bohrtürme sank auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren: 187 Bohrtürme gab es im Januar des vorigen Jahres, ein Jahr später waren es nur noch 161. „Im Juni werden es nur noch 50 sein“, meint Jim Arthaud, Chef der Firma MBI Energy Services, die die Ölförderer mit technischer Ausrüstung beliefert. „Dann werden 20 000 weitere Jobs weg sein.“

BASF zwischen den Fronten

Der graue Kasten ist breit und hoch wie ein Mehrfamilienhaus. Ohne ihn ginge in Amerikas größtem BASF-Standort in Geismar, Louisiana, nicht viel. Im Inneren der monströsen Anlage werden gewaltige Ströme von Erdgas in die Bestandteile Kohlenmonoxid und Wasserstoff zerlegt. Diese Gase wiederum schießen dann durch Rohre zu den verschiedenen Reaktoren und Produktionsstätten auf dem Gelände, wo sie zu Ausgangssubstanzen für Schaumstoffmatratzen, Zahnpasta, Pflanzenschutzmitteln oder Textilien weiterverarbeitet werden.

Der Verfall des Ölpreises kommt beim Verbraucher an

„Die Erdgas-Aufspaltung ist das Herzstück unseres Standortes“, sagt Tom Yura, BASF-Chef in Geismar, „denn sie liefert unsere wichtigsten Rohstoffe.“ Genau aus diesem Grund haben Yura und seine 1500 Mitarbeiter den Ölpreis nicht weniger genau im Blick als die Arbeiter auf den Ölfeldern von Mississippi und North Dakota. Die Perspektive allerdings ist eine andere: Je tiefer der Ölpreis sinkt, umso billiger wird in der Regel auch das Erdgas, und umso glücklicher ist Yura. Zumindest bis zu einer bestimmten Grenze.

„80 Prozent der gesamten Kosten des Standortes entfallen auf Erdgas und Öl“, meint Yura, „da können Sie sich ausrechnen, wie wir uns freuen, wenn der Ölpreis um ein, zwei Dollar pro Barrel sinkt.“

Wie Rubel- und Ölkrise auf Dax-Unternehmen wirken
HeidelbergCementDer Baustoffkonzern ist einer der Profiteure der Turbulenzen am Energiemarkt. Denn normalerweise sind die Ausgaben für Energie mit rund 1,6 Milliarden Euro einer der größten Kostentreiber des Dax-Konzerns, fast ein Drittel davon geht für Öl drauf. Die Analysten der Privatbank M.M. Warburg schätzen die Einsparungen der Heidelberger dank des niedrigen Ölpreises auf rund 100 Millionen Euro. Das könnte auch den Kurs befeuern, die Analysten bewerten die Aktie als Kauf mit einem Preisziel von 70 Euro (aktuell 57,50 Euro, Stand 18.12.2014). Quelle: Presse
AdidasDer Sportartikelhersteller ist einer der Hauptleidtragenden der Russland-Krise. Schon im Sommer kurz nach der Fußball-WM musste der Konzern seine Gewinnprognose kassieren – gegen die Verluste aus dem Russland-Geschäft kommt nicht mal der Verkauf des Vier-Sterne-Trikots an. Schon jetzt hat der Konzern angekündigt, im kommenden Jahr weniger neue Geschäfte in Russland zu eröffnen als ursprünglich geplant. Quelle: dpa
HenkelZwar bekommet auch Henkel die Krise in Russland zu spüren. Rund sieben Prozent der Verkäufe sind dort zu verorten. Allerdings werden diese negativen Effekte laut den Warburg-Analysten wohl kompensiert. Zum einen durch positive Effekte beim starken Dollar, zum anderen weil auch Henkel vom niedrigen Ölpreis profitiert. Immerhin rund 20 Millionen Euro könne der Konzern durch einen Rubel-Fall von zehn Prozent einsparen, so die Schätzungen der Analysten. Das beziehe sich vor allem auf die Produktion in der Waschmittelsparte. Quelle: dpa
E.OnDas Geschäft des Konzerns in Russland leidet unter dem fallenden Rubel. Während die Warburg-Analysten zunächst mit einem Zuwachs der Sparte gerechnet hatten, wurde dieser jetzt nach unten korrigiert. Der niedrige Ölpreis bringt dem Konzern geringe Einsparungen, der Großteil des Geschäfts ist vom Gaspreis abhängig. Quelle: dapd
RWEBeim Konkurrent RWE drängt vor allem der Verkauf der Öl- und Gastochter Dea. Eigentlich sollte das Unternehmen an den russischen Oligarchen Mikhail Fridman und dessen Investmentfirma LetterOne verkauft werden. Angesichts des stark sinkenden Ölpreises wird die Zeit allerdings knapp. RWE ist in Sorge, dass der Oligarch den Verkaufspreis von rund 5,1 Milliarden Euro noch drücken könnte.   Quelle: dpa
Deutsche PostDer niedrige Ölpreis bringt der Deutschen Post leichte Vorteile. Kostenvorteile in der Expresszustellung und bei Nachsendeaufträgen werden an die Kunden weitergegeben, in Verwaltung und Service sinken die Betriebskosten leicht. Der Absturz des Rubel hat keinen wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen. Quelle: REUTERS
DaimlerZwar rechnen die Analysten der Privatbank M.M. Warburg mit einer um ein Viertel niedrigeren Nachfrage nach Lastkraftwagen in Russland. Auf Daimler hat das jedoch nur geringen Einfluss, laut M.M.Warburg läge er gemessen am gesamten Lkw-Absatz von Daimler unter einem Prozent. Andererseits hält Daimler eine 15-Prozent-Beteiligung am russischen Lkw-Hersteller Kamaz. Dort könnten die Einnahmen deutlich sinken. Ansonsten hat der russische Markt nur begrenzten Einfluss auf die Geschäfte. Es ist zu erwarten, dass Daimler die Preise für in Russland verkaufte Fahrzeuge erhöht, um den gefallenen Wechselkurs auszugleichen. Die Nachfrage – insbesondere nach der hochpreisigen S-Klasse – ist sehr stabil, so dass Preiserhöhungen keinen großen Einfluss haben sollten. Daimler selbst erläutert die Auswirkungen des Rubel-Verfalls nicht. Vielmehr deutete der Konzern an, dass er im kommenden Jahr Rückenwind von der Währungsseite für die USA und Kanada erwartet, während Rubel, brasilianischer Real und japanischer Yen den positiven Effekt wieder abschwächen. Quelle: dpa

Auch hier sind die Folgen des Booms gut sichtbar: Dutzende Container beherbergen neue Mitarbeiter, für die in den vorhandenen Verwaltungsgebäuden kein Platz mehr war. „Wir nennen das unsere Bühne“, witzelt Yura. „Wer als Neuer hier eine gute Vorstellung gibt, darf nach einigen Jahren in ein richtiges Büro umziehen.“ In den vergangenen fünf Jahren hat BASF in Louisiana Investitionen von über 350 Millionen Dollar angekündigt und mehr als 100 neue Stellen geschaffen. Yura muss nicht lange überlegen, was der wichtigste Grund dafür ist: „Das Erdgas, das durch den Fracking-Boom so unglaublich billig wurde.“

Für Yura, der auch daran gemessen wird, ob die kostspieligen Erweiterungen seiner Anlagen rechtzeitig fertiggestellt werden, kommt es noch besser: Weil wegen der niedrigen Ölpreise Fracking-Projekte in Louisiana, Texas und Mississippi abgeblasen werden, bekommt er Bauleistungen nun schneller und günstiger. Auch bei der Suche nach eigenen Mitarbeitern konkurriert er nicht mehr so stark mit den Ölfirmen der Region.

Unlängst bewarben sich weit mehr als 1000 Techniker auf 20 ausgeschriebene Techniker-Stellen bei BASF. Bisher also überwiegen für die Deutschen die Vorteile des gedämpften Fracking-Booms.

Dennoch hofft auch Yura, dass die Ölpreise nicht auf Dauer unter dem Niveau bleiben, auf dem sich für die Förderer das Fracking lohnt. Denn Yura ist nicht maßlos. Er weiß: Stürzt der Ölpreis ins Bodenlose, schadet das auch seinem Arbeitgeber. „Die Fracking-Firmen sind eines unserer Erfolgsgeheimnisse“, sagt Yura. „Sie müssen so viel verdienen, dass sie am Markt bleiben und uns weiter so schön beliefern können.“

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