Greenpeace "Energieriesen haben Krise selbst verschuldet"

Die Energieriesen E.On, RWE, Vattenfall und EnBW leiden unter der Energiewende. Doch an ihren Problemen sind sie selbst schuld, heißt es in einer Greenpeace-Studie.

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Das E.On-Kraftwerk

Die vier Energieriesen in Deutschland, E.On, RWE, Vattenfall und EnBW sind seit dem Atomausstieg nur noch ein Schatten ihrer selbst. Während E.On sein Heil in der Aufspaltung sucht, fehlt es RWE-Chef Peter Terium am Rückhalt der Kommunen für eine Wende; Vattenfall musste trotz eines intensiven Sparprogramms einen Verlust von mehreren hundert Millionen hinnehmen; und auch bei EnBW sieht es nicht besser aus.

Das Problem der Konzerne: mit der konventionellen Energieerzeugung aus Kohle- und Atomkraft ist kein Geld mehr zu verdienen. „Die Hütte brennt“, sagte E.On-Chef Johannes Teyssen. Schuld an allem aus Sicht der Energieriesen: Die Bundesregierung und ihre Energiewende.

Die künftige E.On-Struktur

Laut einer ausführlichen Analyse der Professoren Heinz Bontrup und Ralf Marquardt von der Westfälischen Hochschule Recklinghausen im Auftrag von Greenpeace ist aber nicht die Energiewende die Ursache für die Misere der Energiekonzerne – sondern „gravierende und anhaltende“ Managementfehler.

In ihrer Studie „Die Zukunft der großen Energieversorger“ analysieren Bontrup und Marquardt, wie sich die Marktbedingungen durch die Liberalisierung der Energiemärkte sowie durch die Energiewende verändert haben und wie die großen Konzerne auf die neuen Umstände reagierten.

Problem 1: Die Liberalisierung des Markts

Bis 1998 wurde der Energiemarkt durch staatlich regulierte Gebietsmonopole gesteuert. Auf Anstoß der EU-Kommission wurden die Märkte geöffnet. Seitdem können sowohl Großkunden als auch private und gewerbliche Kleinkunden ihren Energieversorger frei auswählen. Anstatt den von der EU-Kommission und der Bundesregierung avisierten Wettbewerb anzunehmen, bildeten sich aus den damals neun Verbundmonopolisten die vier Energieriesen, die den Markt bis heute dominieren.

Um den Wettbewerb von sich fernzuhalten, stiegen die Riesen laut den Autoren in zahlreiche Regionalversorger und Stadtwerke ein, um so ihre Absatzmärkte zu sichern und Beteiligungsrendite abzuschöpfen.

Deutsche Energieversorger im Vergleich

Die Liberalisierung zeigte zwar Wirkung, wie das Bundeskartellamt im Januar 2011 feststellte: Der Anteil von E.On, RWE, Vattenfall und EnBW habe gemessen an Stromeinspeisung und Erzeugungskapazitäten abgenommen. Trotzdem: Sie befänden sich nach wie vor in einer Position, „die es ihnen ermöglicht, sich in einem nennenswerten Umfang unabhängig von ihren Wettbewerbern (...) und Verbrauchern zu verhalten und dadurch den Wettbewerb auf dem Erstabsatzmarkt zu beeinträchtigen.“

Die Gewinne waren nach wie vor hoch, sodass das Management keinen Bedarf sah, die Konzerne für die Zukunft auszurichten und verstärkt in Erneuerbare Energien zu investieren.

Problem 2: Die Energiewende

Die Liberalisierung alleine konnte das Monopol der Energieversorger nicht aufbrechen. Hinzukommen musste die Energiewende. Allerdings kam sie 2011 nicht ganz unerwartet – auch, wenn niemand die Reaktorkatastrophe in Fukushima hervorsehen konnte.

Die Energiewende zeichnete sich schon 1999 mit der Einführung der Ökosteuer und einer Stromsteuer ab. Ab dem Jahr 2000 galt das Erneuerbare-Energien-Gesetz, 2005 hatte Deutschland sich am EU-weiten Emissionshandel beteiligt.

Welche deutschen Atomkraftwerke demnächst vom Netz gehen

Diese Neuorientierung Deutschlands wurde 2011 lediglich beschleunigt. Wenige Wochen vor der Katastrophe hatte die schwarz-gelbe Bundesregierung die Verlängerung der Laufzeiten einiger Atomkraftwerke beschlossen – das führte dazu, dass die Energieriesen sich darin bestätigt fühlten, weiterhin primär auf Atomkraftwerke zu setzen.

Nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung aufgrund der Katastrophe die Verlängerung der Laufzeiten einiger Meiler wieder einkassierte und weitere Kraftwerke, die als unsicher galten, sofort abschaltete, standen die E.On und Co. vor einem völlig neuen Energiemarkt. Und auf den waren sie nicht vorbereitet.

Der neue Markt

Laut der Studie ist der Anteil der Erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung der großen vier immer noch sehr schwach. Bei Vattenfall beträgt er gerade 1,8 Prozent, bei RWE 3,5 – etwas besser sind E.On (11,2 Prozent) und EnBW (19,1 Prozent) aufgestellt.

Durch die Bevorzugung der Erneuerbaren Energien gegenüber der konventionellen Stromerzeugung haben Auslastung und Rentabilität von fossilen Kraftwerken stark abgenommen. Da Ende 2013 immer noch rund zwei Drittel des fossilen Stroms aus den Kraftwerken der großen vier stammte, waren sie besonders von der abnehmenden Rentabilität betroffen.

Die Suche nach Antworten

Im Kern versuchen sich E.On, Vattenfall, RWE und EnBW mit drei Strategien zu retten. Die erste ist der Rechtsweg.

Merkel: "Atomrisiken nicht auf Steuerzahler abwälzen"
Die finanziellen Risiken für den Ausstieg aus der Atomenergie sollen nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Unternehmen bleiben. "Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab", sagte die CDU-Vorsitzende im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 16. Mai. "Im Grundsatz muss es dabei bleiben, dass die Unternehmen die Verantwortung für die Entsorgung von Atommüll tragen", betonte sie. Dafür seien Rücklagen gebildet worden. Eine einseitige Verlagerung der Risiken "werden wir nicht mitmachen". Zu der von Energiekonzernen vorgebrachten Idee einer öffentlich Atomstiftung wollte sich Merkel nicht direkt äußern. Sie habe davon bisher nur in der Presse gelesen. "Wir werden über das Thema der Kernkraftwerke und ihrer Altlasten sicher noch viele Gespräche führen", betonte sie zugleich. Quelle: dpa
Peter Ramsauer (CSU), Chef des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, springt den Energiekonzernen zur Seite. Er nannte einen AKW-Fonds einen strategischen Vorschlag, "über den man nicht nur reden kann, sondern muss. Man sollte der Energiewirtschaft eher dankbar dafür sein, dass sie sich überhaupt mit Vorschlägen einbringt, als sie sofort wieder reflexartig zu verdammen", sagte Ramsauer dem "Spiegel". Die Konzerne könnten den Ausstieg nicht allein tragen. "In einer höchst verminten Gefechtslage müssen sich alle Seiten ihrer Risiken bewusst sein. Für den Bund sind das möglicherweise milliardenschwere Schadensersatzzahlungen für den Atomausstieg", sagte Ramsauer weiter. Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber machte am Montag nach einer Sitzung des Parteipräsidiums in Berlin deutlich: „Die volle Verantwortung auch für die Kosten liegt zunächst bei den Unternehmen. Alles weitere kann man gerne diskutieren.“ Das Thema sei komplex, sagte Tauber. „Zunächst muss es auch darum gehen, die Energieunternehmen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen.“ Quelle: dpa
CSU-Chef Horst Seehofer hält eine Übernahme des Atomgeschäftes der drei großen Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW durch den Bund für unrealistisch. „Ich kann es mir nicht vorstellen“, sagte der bayerische Ministerpräsident am Montag in München. Quelle: dpa
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte, sie sähe keinen Grund, dass der Staat jetzt Milliarden in die Hand nehmen sollte. Eine Art Stiftung wäre nur denkbar, wenn die Energiekonzerne ihre Rücklagen für die Atomkraftwerke dort beisteuern würden. Quelle: dpa
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) war noch skeptischer: "Ich glaube, dass die Energieerzeuger ihrer Verantwortung gerecht werden müssen und gerade auch in dieser jetzigen aktuellen Diskussion deutlich machen müssen, dass sie nicht nur Geld verdient haben, sondern auch Vorsorge betreiben." Quelle: dpa
Die Deutsche Umwelthilfe betonte, die Energiekonzerne hätten sich vier Jahrzehnte lang mit der Kernenergie eine goldene Nase verdient. „Jetzt, wo es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, stehlen sie sich mit einem faulen Kompromiss durch die Hintertür davon“, sagte Hauptgeschäftsführer Jürgen Resch. Quelle: Screenshot

Allesamt klagen vor verschiedenen deutschen Gerichten auf Schadenersatz sowie Aufhebung des Atomausstiegs. So fordert E.On etwa 380 Millionen Euro wegen der dreimonatigen Stilllegung zweier Meiler im Frühjahr 2011. RWE klagt auf einen zweistelligen Milliardenbetrag.

Der schwedische Energieriese Vattenfall zieht zusätzlich auf Basis der Energiecharta vor ein Schiedsgericht und verlangt 4,7 Milliarden Euro als Entschädigung für die Stilllegung der Meiler.

Zudem fordern die Energieriesen mehrheitlich die Einführung von Kapazitätsmärkten, um so die konventionellen Kraftwerke wieder rentabel zu machen. Allerdings gibt es bis dato wenig Hoffnung, dass die Bundesregierung diesen Forderungen nachkommt.

Rationalisierung

Neben dem rechtlichen Vorgehen gegen die Schritte der Bundesregierung, versuchen die Konzerne sich zu verschlanken. Als erstes muss dafür die Belegschaft gekürzt werden. So hatte RWE Ende 2013 verkündet, bis Ende 2016 6750 Stellen zu streichen. Auch EnBW, E.On und Vattenfall kürzten beim Personal.

Wo der Strom herkommt
BraunkohleNoch immer der mit Abstand bedeutendste Energieträger Deutschlands: Im Jahr 2013 ist die klimaschädliche Stromproduktion aus Braunkohle auf den höchsten Wert seit 1990 geklettert. Mit 162 Milliarden Kilowattstunden macht der Strom aus Braunkohlekraftwerken mehr als 25 Prozent des deutschen Stroms aus. Das geht aus vorläufigen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervor. Quelle: dpa
SteinkohleAuch die Stromproduktion in Steinkohlekraftwerken stieg im Jahr 2013 – um 8 Milliarden auf mehr als 124 Milliarden Kilowattstunden. Damit ist Steinkohle der zweitwichtigste Energieträger und deckt fast 20 Prozent der deutschen Stromproduktion ab. Vor allem Braun- und Steinkohle fangen also offenbar den Rückgang der Kernenergie auf. Quelle: dpa
Kernenergie Die Abschaltung von acht Atomkraftwerken macht sich bemerkbar. Nur noch 97 Milliarden Kilowattstunden stammten 2013 aus Kernerenergie, drei weniger als im Vorjahr. Das sind allerdings noch immer 15 Prozent der gesamten Produktion. Damit ist Atomstrom nach wie vor die drittgrößte Energiequelle. Quelle: dpa
ErdgasDie CO2-arme Erdgasverbrennung ist - anders als Kohle - wieder rückläufig. Statt 76 Milliarden kamen im vergangenen Jahr nur noch 66 Milliarden Kilowattstunden Strom aus Erdgaskraftwerken. Das sind gerade mal zehn Prozent der Stromproduktion. Dabei war Erdgas vor drei Jahren schon einmal bei 14 Prozent. Quelle: dpa
WindkraftDer größte erneuerbare Energieträger ist die Windkraft. Mit 49,8 Milliarden Kilowattstunden in 2013 ist sie allerdings leicht Rückläufig. Insgesamt steigt der Anteil der erneuerbaren Energien jedoch stetig. Zusammengenommen produzierten sie 23,4 Prozent des deutschen Stroms. Quelle: dpa
BiomasseFast genauso viel Strom wie aus Windkraft stammte aus Biomasse. Die Produktion stieg auf 42 Milliarden Kilowattstunden. Damit steht Biomasse auf Platz sechs der bedeutendsten Energieträger. Quelle: ZB
PhotovoltaikEs reicht zwar nur für knapp fünf Prozent der deutschen Stromproduktion, aber Solarenergie ist die mit Abstand am schnellsten wachsende Energieform. Im Jahr 2000 gab es in Deutschland noch gar keinen Sonnenstrom. Und seit 2007 hat sich die Produktion auf 28,3 Milliarden Kilowattstunden in 2013 beinahe verzehnfacht. Quelle: dpa

Dazu sollen unrentable Unternehmenszweige abgespalten oder verkauft werden. Während E.On etwa die Atom-Sparte samt konventionellen Kraftwerken abspaltet, versucht Vattenfall seine Braunkohlekraftwerke zu veräußern.

Ein weiterer Schritt ist die Neuausrichtung der Geschäftsschwerpunkte. So versuchen alle vier Energieriesen, stärker Erneuerbare Energien zu produzieren, die dazugehörige Infrastruktur auszubauen und auf das Geschäftsfeld der Energiedienstleistungen vorzudringen.

Schlechte Aussichten

Dass die Energiewende noch einmal revidierbar ist, erscheint aktuell ausgeschlossen. Im Gegenteil: Sie wird weiter vorangetrieben. Bis 2022 sollen die restlichen neun Atomreaktoren, die noch am Netz sind, abgeschaltet werden.

Zudem ist es das Ziel der Bundesregierung, bis 2025 bis zu 45 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu beziehen – bis 2050 sollen es sogar 80 Prozent sein. Damit wird die Rentabilität der konventionellen Kraftwerke weiter abnehmen, bilanziert die Studie.

Modelle für das Geschäft mit der Versorgungssicherheit beim Ausfall von Wind- und Solarstrom

Weiter soll eine Reduktion der Treibhausgasemission erreicht werden – geplant ist eine Reduktion der CO2-Emission in der Energiewirtschaft um 25 Prozent in den kommenden sechs Jahren. Hierfür müssten fossile Kraftwerke stillgelegt werden – ein weiteres Problem für die Energieriesen.

Und das sind nur einige der Probleme, die in den nächsten Jahren auf E.On und Co. zukommen. Denn zahlreiche Konzessionsverträge im Netzbetrieb laufen aus. Die Autoren der Studie erwarten, dass das zu einer stärkeren Rekommunalisierung der Energieversorgung führt.

Die Perspektiven

Einen schnellen Wandel erwarten die Autoren nicht, denn dafür fehlt es an Geld. Große Teile des Kapitals der Unternehmen sind in fossilen Kraftwerken und in Beteiligungen im In- und Ausland gebunden. RWE leidet zudem unter der Herabstufung zu einem B-Rating 2012, was es erschwert, sich am Kapitalmarkt zu finanzieren.

Auch die Lobbymacht sehen die Autoren als geschwächt an. Nach der gescheiterten Laufzeitverlängerung sei das Vertrauen zwischen Politikern und Energielobbyisten gebrochen. Für die Autoren spiegele sich das an dem Strategiewechsel der Energieriesen wieder, ihre Ziele juristisch durchzusetzen und nicht mehr politisch.

Letztendlich bleibe den Unternehmen nur. weiter Geschäftszweige zu veräußern und die Unternehmen zu verschlanken, um so das nötige Kapital für eine Wende zu generieren. Allerdings seien bei den Verkäufen von Kraftwerksanteilen Verluste zu erwarten, aufgrund der aktuellen Lage der Branche.

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