Greenwashing Wie Unternehmen wirtschaftliches Kalkül als Ökostrategie verkaufen

Einfaches Recycling, Energiekosten sparen, Konzentration auf naturbewusste Kunden – drei Beispiele, wie US-Unternehmen wirtschaftliches Kalkül als Ökostrategie ausgeben.

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Teppichfabrikant Anderson:

Hier sieht es nach allem Möglichen aus, nur nicht nach Umweltschutz. In einem riesigen, unansehnlichen Lagerhaus am Stadtrand der amerikanischen Südstaatenmetropole Atlanta hockt ein älterer Herr auf einem Stapel von Teppichresten. Links und rechts, vor und hinter ihm stapeln sich weitere Bodenbelagstücke.

Ray Anderson, Gründer und Chef von Interface Global, empfängt Besucher mit einem Stolz, als säße er auf einem Zauberteppich und nicht auf alten Resten, die anderenorts den Weg auf die Mülldeponie gefunden hätten.

Kaum zu glauben, aber genau das soll hier das Tolle sein. Denn der Mann, dessen Unternehmen an der New Yorker Börse Nasdaq gehandelt wird, geriert sich als Pionier auf dem derzeit präsentabelsten Feld der Innovationen in Amerika, wenn nicht der Welt: als umweltschonender Produzent, dem die Verbindung von Ökonomie und Ökologie gelungen ist.

Gerade auch in den Usa profilieren sich Unternehmer als Klimaretter

Im Zeichen der Angst vor der Erderwärmung profilieren sich Unternehmen gerade auch in den USA als Retter des Weltklimas. Wer darauf hinweist, dass er mit banalen betriebswirtschaftlichen Strategien Kohlendioxid einspart, will damit vom Umweltmuffel zum Grünling werden. Beispiele sind

die Verwendung möglichst billiger Recyclingware – wie bei Andersons wiederverwerteten Teppichen – anstelle der Fertigung aus teureren Rohstoffen; simples Energiesparen, das eigentlich nur die Kosten reduzieren soll, zwangsläufig aber auch den Ausstoß von Kohlendioxid mindert; Konzentration auf betuchte, umweltbewusste Kunden, sogenannte Lohas („Lifestyle of Health and Sustainability“) – also Leute mit großem Interesse für Gesundheit und Nachhaltigkeit. Das funktioniert nur, wenn das Unternehmen ein grünes Selbstverständnis pflegt.

„Greenwashing“ heißt dies längst nicht mehr nur in den USA, zu Deutsch: Unternehmen tun alles, um sich ein grünes Image zuzulegen, auch wenn das bei näherem Hinsehen ungerechtfertigt sein mag.

Das ist es meistens. Denn mit einem vorauseilenden umweltfreundlichen Verhalten, das im Wettbewerb unnötig oder gar schädlich wäre, hat das meiste, was amerikanische Unternehmen als Ausweis grüner Gesinnung ausgeben, herzlich wenig zu tun.

Der Teppichfabrikant Anderson zum Beispiel will nichts zur schmuddeligen Ökobilanz seines Landes beitragen, beteuert er. Rund 14 Milliarden Tonnen Abfall pro Jahr produzieren amerikanische Fabriken. Zudem blasen sie jährlich etwa 1,4 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre, fast ein Viertel der gesamten Emissionen in den USA. Interface, sagt der Chef, habe dagegen den jährlichen Energieverbrauch seit 1996 um 44 Prozent und die schädlichen Emissionen um 71 Prozent reduziert – mithilfe von 80 000 Tonnen Recyclingware.

Durch die Umstellung konnte Interface seit Mitte der Neunzigerjahre 405 Millionen Dollar einsparen; in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres -erwirtschaftete das Unternehmen einen Gewinn von mehr als 38 Millionen Dollar. Aus deutscher Sicht einfach nur vernünftiges Management: In Deutschland wissen Unternehmer schon lange, dass sich Teppiche günstig aus alten Bodenbelägen herstellen lassen, weshalb in Ginsheim-Gustavsburg bei Frankfurt seit 2000 eine Anlage zum Recycling von Teppichböden läuft.

Google-Chef Bryn (links), Page: Kostenersparnis und besseres Umwelt-Image mit Kühltürmen für Server Quelle: Tom Bible

Der vermeintliche Ökounternehmer Anderson geriet allerdings voll in den Sog der Immobilien- und Wirtschaftskrise und musste ein Viertel der Belegschaft entlassen. Gut, dass er zuvor die Ausgaben für Energie und Rohstoffe reduziert hat. „Unsere Kosten sind niedrig, unsere Produkte besser denn je“, betont Anderson, „und darum steigern wir unseren Marktanteil.“

Ähnlich einzuordnen sind die Bemühungen des IT-Riesen Google, die immensen Stromkosten für seine Computer und die Kühlung der mit Rechnern vollgestopften Büroräume zu senken. Natürlich macht Google die aktuelle Mode mit und spricht vor allem von der damit verbundenen Minderung des CO2-Ausstoßes. So haben Google-Leute vorgerechnet, wie viel Treibhausgas bislang jede Anfrage verursacht, die irgendwer auf der Welt an ihre riesige Suchmaschine richtet: 0,2 Gramm CO2.

Was winzig klingt, multipliziert sich mit den Milliarden von Google-Operationen auf Zehntausende Tonnen Kohlendioxid im Jahr. Das müsse aufhören, befanden die Google-Chefs Sergey Bryn und Larry Page. Vor drei Jahren beriefen sie mit Bill Weihl einen früheren Professor der Computerwissenschaften am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu ihrem obersten Umweltschützer mit dem Titel „Green Energy Czar“. Unter der Herrschaft von Zar Bill hat Google den sogenannten ökologischen Fußabdruck seiner Datenzentren deutlich reduziert. Weihl sorgte dafür, dass in den Gebäuden, in denen die Google-Server das Internet durchforsten, viel weniger Energie verbraucht wird als früher.

Falsche Kalkulation verhindert oft Ökologie

Die Methode ist nicht viel jünger als der Kühlschrank und heißt Verdampfungskühlung. In der Industrie ist das Verfahren Standard. Weihl ließ in die Google-Gebäude eine Art von Kühltürmen einbauen, die der Aufheizung der IT-Anlagen und ihrer Umgebung energieeffizienter entgegenwirken als Ventilatoren und normale Klimaanlagen. Insgesamt machen heute bei Google nach eigenen Angaben Energieversorgung und Kühlung nur noch 16 Prozent der Kosten für Datenzentren und Server aus – bei anderen IT-Unternehmen seien es 49 Prozent.

Die Überlegung dahinter hat mit Ökologie so viel zu tun wie der Kauf eines verbrauchsarmen Autos durch einen sparsamen Privatmann. „Wenn wir heute solche Gebäude bauen, dann sollten sie ungefähr zehn Jahre genutzt werden, wie sie sind. Dann lohnt es sich doch, jetzt fünf Dollar zusätzlich auszugeben und dafür in den zehn Jahren 50 Dollar Energiekosten einzusparen“, erklärt Weihl.

Dass längst nicht schon alle die Technik anwenden, liegt nicht am fehlenden Umweltbewusstsein, sondern schlicht an der falschen Kalkulation, meint Weihl. „Der Typ in einer Firma, der sich mit Neubauten beschäftigt, sagt sich: Wenn ich auf Energiesparen achte, wird mein Gebäude zehn Prozent teurer – damit könnte das Unternehmen zwar in den kommenden fünf Jahren zehn Mal so viel an Energiekosten sparen. Aber das interessiert mich nicht: ist ja nicht mein Budgetposten.“

Wenn ein Unternehmen aus den USA als Ausgeburt der Ökologie bekannt ist, dann Patagonia, der Outdoor-Ausstatter. Im Küstenstädtchen Ventura bei Los Angeles trifft der Besucher in der Zentrale des weit über Amerika hinaus bei Snowboardern und Bergwanderern, Anglern und Alpinisten renommierten Unternehmens auf echte Naturburschen, die das Öko-Image nur so pflegen. „Wir sehen uns oft einfach als Hersteller von Outdoor-Bedarf“, sinniert Marketingchef Rob Bon Durant. „Aber unter dieser Oberfläche sind wir Umweltschützer, die der übrigen amerikanischen Wirtschaft zeigen wollen, dass der Einbau von Nachhaltigkeit in das Geschäftsmodell gut ist fürs Geschäft.“

Ach was. Was bleibt einem Unternehmen schon anderes übrig, als buchstäblich die Schonung jener Voraussetzungen zu fördern, ohne die kein Kunde Berge besteigen, surfen, Ski laufen oder angeln könnte? Wer Produkte für die sportbegeisterten Amerikaner herstellt, die jährlich Milliarden von Dollar in gute Ausrüstung stecken, wandelte auf Abwegen, handelte er gegen die Umwelt. Also erzählt Yvon Chouinard, Gründer und Eigentümer von Patagonia, wie er 1991 der Pleite als Anorakhersteller entging. Erste Regel war seitdem Respekt gegenüber der Natur: möglichst wenig Verbrauch „jungfräulicher“ Rohstoffe. So kam der Frankokanadier auf die Idee, Ski- und Kletterjacken erst einmal aus Recycling-Polyester herzustellen. Seit 1996 ist Ökobaumwolle das angesagte Material. Heute zahlen umweltbewusste Kunden für eine dicke Jacke aus organischer Baumwolle 20 bis 40 Prozent mehr als für ein Konkurrenzprodukt aus rezykliertem Polyester.

Teppichproduzent Interface und IT-Gigant Google sparen zufällig CO2, weil sie Energiekosten senken. Bei Patagonia hat das Greenwashing tatsächlich einen tieferen Sinn – nämlich kaufkräftige, aber umweltbewusste Kunden anzulocken.

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