Klima "Mischung aus Dummheit und Arroganz"

Der renommierte Klimaforscher Hans von Storch über die Verfehlungen des Weltklimarats, Verbandslobbyismus und Wissenschaftler als Hilfsarbeiter der Politik.

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Hans von Storch Quelle: Helmholtz

Wochen mussten vergehen, Wochen des Leugnens und Verbarrikadierens, bis der Weltklimarat IPCC vor wenigen Tagen erstmals vorsichtige Selbstkritik übte. „Wir haben Fehler gemacht und zu lange gebraucht, diese einzuräumen“, gesteht Ottmar Edenhofer, stellvertretender Direktor am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Edenhofer ist zugleich einer der Mitvorsitzenden des IPCC. Beim Chef des Klimarats, Rajendra Pachauri, hatte sich das kurz zuvor noch anders angehört: „Ich werde nicht sinken, sondern noch viel höher steigen“, antwortete er auf Rücktrittsforderungen.

Das Desaster für die Klimaretter hatte kurz vor Beginn des Weltklimagipfels in Kopenhagen im vergangenen Dezember begonnen. Gehackte E-Mails britischer Klimaforscher der Universität von East Anglia nährten den Verdacht, dass eine Kurve zum Klimaverlauf der vergangenen 1000 Jahre „geglättet“ worden war und unliebsame Forscher kaltgestellt werden sollten. Dann reihte sich Skandal an Skandal: Die Behauptung schwerer Hungersnöte in Afrika infolge des Klimawandels hatte den Weg in den vierten Sachstandsbericht des IPCC von 2007 gefunden – ungeprüft und unbelegt. Die Gletscher des Himalaya sollten bis 2035 weggeschmolzen sein. Der Fehlalarm beruhte auf Angaben der Umweltgruppierung World Wide Fund und schlecht recherchierten Zeitungsartikeln. Zudem basierte er auf einem Zahlendreher: Wenn überhaupt, wird das Eis frühestens 2350 verschwunden sein.

Seither steckt der Weltklimarat in Erklärungsnot, fragen sich Politik und Öffentlichkeit, ob sie den Vorhersagen zur Erderwärmung noch vertrauen können. Immerhin beruhen darauf so weitreichende Entscheidungen wie der Handel mit Emissionszertifikaten und die milliardenschwere Förderung erneuerbarer Energien. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel, obwohl überzeugt, dass der Klimawandel stattfindet und vom Menschen verursacht ist, geht auf Distanz. Sie hat bei Umweltexperten der Regierung eine Bewertung der Kritik am IPCC in Auftrag gegeben – geliefert haben die Beamten noch nicht. Die WirtschaftsWoche wird die Debatte über die Klimawissenschaft in den nächsten Wochen vorantreiben. Den Auftakt macht ein Interview mit dem Kritiker des Weltklimarats, dem Hamburger Meteorologen Hans von Storch.

WirtschaftsWoche: Herr von Storch, Deutschland bibberte sich durch den Winter, die Ostküste der USA versank im Schnee. Ist die Erderwärmung abgesagt?

Von Storch: Überhaupt nicht. Steigende Durchschnittstemperaturen bedeuten ja nicht, dass es Winter wie diesen nicht mehr gibt, sondern nur, dass sie seltener werden.

Aber seit zehn Jahren stagnieren die globalen Durchschnittstemperaturen, statt steil anzusteigen, wie es der Weltklimarat prognostiziert hat.

Das widerlegt noch lange nicht den langfristigen Trend. Klimamodelle bilden solche Stagnationsphasen auch ab, in denen die Erwärmung eine Pause einlegt. Das ist also keinesfalls eine Überraschung oder sogar Sensation. Die Frage ist, wie lange die Pause anhält.

Die vielen jetzt aufgedeckten falschen Zahlen in den Berichten des Klimarats wecken Zweifel an der Glaubwürdigkeit seiner Prognosen.

Ja, und das ist sehr bedauerlich. Man muss allerdings genauer hinsehen. Alle aufgedeckten Fehler beziehen sich auf die Auswirkungen des Klimawandels, also etwa darauf, wie schnell die Gletscher im Himalaya schmelzen. Sie stellen jedoch nicht die Tatsache der Erwärmung der Atmosphäre aufgrund erhöhter Treibhausgas-Konzentrationen an sich infrage. Da haben sich die Erklärungen bis heute als sehr verlässlich erwiesen.

Wirklich? Gab es da nicht den Versuch, zwei Wärmeperioden während des Mittelalters mit statistischen Tricks verschwinden zu lassen, um zu beweisen, dass die gegenwärtige Erwärmung nur menschengemacht sein kann?

Sie spielen auf die berüchtigte Hockeyschläger-Kurve des IPCC aus dem Jahr 2001 an. Die war in der Tat fragwürdig. Ihr geradezu perfekter Verlauf sollte nachweisen, dass es in den vergangenen 1000 Jahren nie wärmer war als heute. Mein Institut und andere Kollegen haben mit eigenen Computermodellen früh nachgewiesen, dass in der Methodik unzulässige Annahmen steckten.

Wie war der tatsächliche Verlauf des Klimas?

Die Temperaturen pendelten wesentlich stärker und schneller auf und ab, und vor rund 900 Jahren war es schon einmal recht warm, wenngleich wohl weniger als heute.

Klimawandel

Dann kann der gegenwärtige Anstieg doch wie damals natürliche Ursachen haben.

Das wäre eine Fehlinterpretation. Der entscheidende Unterschied besteht im Tempo der Erwärmung. Der schnelle und steile Anstieg der Temperaturen in den vergangenen 40 Jahren lässt sich nur durch den parallelen starken Anstieg der Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre erklären. Dass natürliche Einflüsse den Effekt noch verstärken oder auch dagegen wirken, ist davon unbenommen.

Kann man das noch glauben? Kritiker sprechen von Manipulation und Trickserei.

Ich kann nicht für jeden beteiligten Forscher eine Ehrenerklärung abgeben. Dennoch glaube ich nicht an bewusste Fälscherei.

Wie entstanden die Fehler dann?

Da war eine Mischung aus Dummheit und Arroganz am Werk. Der eigentliche Sündenfall dabei war, dass sich der Rat entgegen seiner Regeln in seinen Aussagen nicht mehr allein auf wissenschaftlich legitime Quellen verlassen hat. Stattdessen hat er bei manchen Themen auf Zeitungsartikel und Berichte von Interessenverbänden zurückgegriffen. Schlimmer noch: Es ist der Eindruck entstanden, dass Umwelt- und Naturschutzverbände, aber auch wirtschaftliche Interessen direkten Einfluss auf Aussagen des IPCC nehmen konnten. Ich will hoffen, dass dies nicht wirklich passiert ist.

Die Frage ist doch, was war die Triebfeder dahinter? Womöglich sehen sich Klimaforscher ja in der Rolle des Weltenretters, der Öffentlichkeit und Politik mit Dramatisierungen und Alarmismus aufrütteln will.

Zweifellos gibt es Kollegen mit einem solchen Sendungsbewusstsein. Aber das ist nicht die Rolle eines Wissenschaftlers. Forscher sollten nicht emotional mit ihrem Thema umgehen, sondern Distanz halten. Und auf gar keinen Fall sollten sie neben Wissenschaft Politik als Nebengeschäft machen wollen. Ihre Aufgabe ist es, wichtige Erkenntnisse zu liefern, die angemessenen Schlüsse daraus müssen Politik und Öffentlichkeit ziehen.

Sehen Sie diese Zurückhaltung beim Chef des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, der die Kanzlerin in Klimafragen berät?

Es ist schon etwas eigenartig, dass im wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für die globale Umweltentwicklung einzig zwei Klimaforscher des PIK sitzen, die im Wesentlichen das Gleiche sagen. Ich würde schon empfehlen, die ganze Breite des Wissens einzusammeln und sich auf dieser Grundlage eine Meinung zu bilden. Sonst wird das Gremium zu einer Art Hilfstruppe für die Politik.

Mit Herrn Schellnhuber als Lautsprecher?

Jedenfalls mischt er sich mit konkreten politischen Forderungen in die Tagespolitik ein. Die Bundesregierung sollte sich meines Erachtens schon überlegen, ob diese Art der Einmischung das ist, wofür sie Wissenschaft bezahlt.

Hätten sich kritische Wissenschaftler wie Sie nicht viel früher und viel lauter zu Wort melden müssen?

Ich glaube sagen zu können, nie mit meiner Meinung hinter dem Berg gehalten zu haben. Und es gab schon immer eine kritische Gruppe an Klimaforschern, die mit dem Vorgehen des IPCC nicht so ganz einverstanden war. Die werden jetzt in ihrer Präsenz nach außen wie intern mutiger.

Warum erst jetzt?

Weil es sich für einen Wissenschaftler eigentlich nicht lohnt, vom Mainstream abzuweichen. Man will Karriere machen, an Forschungsgelder kommen und seine Arbeiten veröffentlicht sehen. Da macht es sich selten gut, sich gegen den Zeitgeist zu stellen.

Das Ansehen der Klimaforscher ist auf jeden Fall beschädigt.

Das ist das Ärgerliche. Nach dem Motto: Mitgehangen, mitgefangen, muss das Gros der Klimaforscher jetzt für die Exzesse weniger mitbluten. Um Remmidemmi zu machen, ist der Klimawandel aber ein viel zu ernstes Thema.

Welche Thesen des Weltklimarats sind noch angreifbar?

Ein Bereich, wo er bisher keine befriedigenden und fundierten Antworten gegeben hat, sind die Schäden durch extreme Wetterereignisse infolge des Klimawandels. Dort wurden voreilige Aussagen getroffen, statt die ganze Bandbreite der Erkenntnisse darzustellen. Die Schäden bei einer Überschwemmung zum Beispiel steigen allein schon deshalb, weil heute viel wertvolleres Mobiliar in den Häusern lagert. Der Schadensanstieg ist also noch kein Beweis dafür, dass die Fluten steigen oder häufiger geworden sind.

Hat das Gremium die Kraft, sich selbst zu reformieren?

Ich fürchte, ehrlich gesagt, nein. Da werden die Regierungen und die Vereinten Nationen schon nachhelfen müssen.

Was muss passieren?

Auf jeden Fall muss der Vorsitzende des Klimarats, Pachauri zurücktreten. Er hat zu verantworten, dass es kein ordentliches Krisenmanagement gab. Dass er die Vorwürfe zunächst arrogant abgebügelt hat, ohne sie vorher zu prüfen, hat die Angelegenheit noch schlimmer gemacht.

Mit seinem Rücktritt ist es wohl kaum getan. Sollte man die bisherigen Klimaberichte einstampfen und noch einmal von vorn beginnen?

Ja, ein Neuanfang ist notwendig. Dazu gehört die Berufung neuer unbelasteter Leitautoren für die einzelnen Kapitel ebenso wie die Durchsetzung verbindlicher Regeln für die Nutzung von Quellen auch in der Arbeitsgruppe, die sich um die Folgen des Klimawandels kümmert.

Böte der Neuanfang die Chance, die Debatte über den Klimawandel in Zukunft weniger emotional zu führen? Die Diskussion hatte ja schon beinahe religiöse Züge angenommen.

Ich glaube nicht, dass dies so leicht gelingen wird.

Das müssen Sie erklären.

In der Klimadebatte konkurriert Faktenwissen mit kulturell geprägten Überzeugungen. Das erschwert den rationalen Umgang mit dem Thema. Unbewusst sehen viele in der Erderwärmung die Strafe für unsere Sünden gegen die Natur. Und die Strafe nimmt die Form von Katastrophen an. Das ist Teil unseres westlichen Denkens, und auch wir westlichen Wissenschaftler schleppen diesen kulturellen Rucksack mit uns herum. Das führt dazu, dass wir in unseren Daten vor allem das wiederfinden, was unseren Überzeugungen entspricht.

Das wissenschaftliche Gegenmittel wäre, die Theorie der menschenverursachten Erwärmung auf den Prüfstand zu stellen.

In diesem Punkt hat die Klimaforschung tatsächlich versagt. Wir haben kein Falsifikationsangebot gemacht der Art: Welche Beobachtung in den, sagen wir, nächsten 20 Jahren würde uns davon überzeugen, dass die ganze Theorie fragwürdig oder gar falsch ist? Das wurde versäumt. Das gilt aber in gleichem Maß für die Skeptiker. Auch sie müssten offenlegen, welche künftigen Entwicklungen sie von der Gültigkeit der Theorie überzeugen würden.

Was würde Sie ins Grübeln bringen?

Wenn in den nächsten 20 Jahren die global gemittelten Temperaturen einen durchgehenden Abwärtstrend zeigen würden, wäre das Anlass für mich zu neuem Nachdenken. Dann kann etwas an der Theorie des menschengemachten Klimawandels nicht stimmen.

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