Für Udo Sieverding ist die Sache klar. „Es ist skandalös, dass Unternehmen trotz Gewinnaussichten Hilfen aus der Gasumlage beanspruchen“, sagt der Energie-Spezialist der Verbraucherschutzzentrale Nordrhein-Westfalen. „Das ist Verbraucherinnen nicht vermittelbar.“ Anlass für Sieverdings Ärger ist die Tatsache, dass Gas-Importeure, allen voran der süddeutsche Versorger EnBW, über die Gasumlage Geld beanspruchen, obwohl sie gleichzeitig ihre Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr aufrechterhalten. EnBW sagt für das Jahr 2022 trotz eines volatilen Marktumfelds ein Ertrag von etwa mehr als drei Milliarden Euro voraus.
90 Prozent der Zusatzkosten werden ersetzt
Die Umlage soll ab dem 1. Oktober von allen Gaskunden gezahlt werden. Das Ziel der Umlage ist es, Gas-Importeure zu stützen, die mit Lieferausfällen aus Russland zu kämpfen haben, weil Wladimir Putin vor allem die Lieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 auf derzeit rund 20 Prozent der möglichen Kapazität gedrosselt hat. Importeure müssen das fehlende Gas am Spotmarkt beschaffen. Dort kostet die Megawattstunde Gas derzeit aber mehr als das Zehnfache dessen, was sie noch im vergangenen Jahr gekostet hat.
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Diese Mehrkosten können Importeure nicht direkt an Ihre Kunden weitergeben. Der Düsseldorfer Konzern Uniper ist deshalb in existenzbedrohende Schieflage geraten, hat allein im ersten Halbjahr ein Minus von zwölf Milliarden Euro verzeichnet. Deshalb übernimmt die Bundesregierung 30 Prozent des Unternehmens, springt mit Milliardenkrediten ein – und hat das Instrument der Gasumlage geschaffen, gemäß Paragraf 26 des reformierten Energiesicherungsgesetzes (EnSiG). 90 Prozent ihrer zusätzlichen Beschaffungskosten können Energie-Importeure so gelten machen.
Warum steht RWE auf der Liste?
Insgesamt zwölf Importeure haben bei der THE Meldungen und Prognosen eingereicht. Am Montag veröffentlichte der Gasmarktverantwortliche, also die THE, die Namen der Firmen: Axpo, DXT, EWE, Enet Energy, die Gunvor Gruppe, OMV, die Sefe, die früher Gazprom Germania hieß, Uniper, Vitol, die EnBW-Tochter VNG, die WIEH. Mit aufgeführt wird kurioserweise auch die RWE Supply & Trading GmbH – und das, obwohl RWE doch angekündigt hatte, auf Zahlungen aus der Umlage verzichten zu wollen.
Auf Nachfrage hieß es von RWE, man habe keine finanziellen Ansprüche gemeldet, weshalb auch keine Ansprüche von RWE in die Summe von 34 Milliarden Euro eingeflossen wären, die die THE als Gesamtbedarf errechnet hat. „Ja, wir sind dort formal gelistet, haben aber keinen finanziellen Schaden dort gemeldet beziehungsweise geltend gemacht“, heißt es von RWE. „Wir tragen wie bekannt die Verluste selber.“ Allerdings wolle man auf den Rechtsanspruch grundsätzlich nicht verzichten. Deshalb habe man sich registrieren lassen. Shell hat ebenfalls auf die Umlage verzichtet, ist aber auch in der Liste der THE nicht aufgeführt.
Eine bemerkenswerte Lücke
In den vergangenen Tagen hat es mit mehreren Ansatzpunkten Kritik an der Umlage gegeben. Es ist bemängelt worden, dass unklar sei, ob Kunden die feste Preise mit ihrem Versorger ausgehandelt hätten, davon betroffen wären. Expertem bemängelten, dass Kunden, die mit Gas erzeugte Fernwärme beziehen, noch davon ausgenommen sind. Zudem wurde Kritik laut, dass eben auch Unternehmen mit Gewinnaussichten in den Genuss der Umlage kommen können, wie EnBW über seine Tochter VNG. „Der Bundesregierung geht es bei der Gasumlage darum, Gas-Importeure zu stützen, denen die Insolvenz droht – es geht nicht darum, auf Kosten der Verbraucherinnen alle Risiken abzufedern“, sagt Verbraucherschützer Sieverding.
2,4 Cent: Umlage trifft alle Gaskunden
2,419 Cent pro Kilowattstunde werden vom 1. Oktober an als Aufschlag auf den ohnehin drastisch gestiegenen Gaspreis fällig. Die Bundesregierung will keine Mehrwertsteuer darauf erheben: Finanzminister Christian Lindner hatte auf EU-Ebene um eine Ausnahme gebeten, diese wurde aber abgelehnt. Viele Menschen sind betroffen, denn etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt.
Für einen Einpersonenhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden bedeutet die Umlage ohne Mehrwertsteuer jährliche Zusatzkosten von rund 121 Euro. Mit wären es rund 144 Euro. Für einen Familienhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 20 000 Kilowattstunden liegen die Mehrkosten bei rund 484 Euro im Jahr. Kommt die Mehrwertsteuer hinzu, sind es 576 Euro.
Die Umlage gilt ab Anfang Oktober. Sie werde aber nicht unmittelbar auf den Rechnungen sichtbar, sondern mit etwas Zeitverzug, so das Wirtschaftsministerium. Ankündigungsfristen von vier bis sechs Wochen müssten eingehalten werden. Daher werde die Umlage wahrscheinlich erst im November oder Dezember erstmals auf den Rechnungen ausgewiesen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft rechnet allerdings damit, dass einige Versorger die Umlage schon ab dem 1. Oktober ihren Kunden in Rechnung stellen werden.
Die Umlage endet am 1. April 2024. Sie wird laut Wirtschaftsministerium monatlich abgerechnet und kann alle drei Monate angepasst werden. Die Ausgleichszahlungen bekommen die Importeure nur unter bestimmten Bedingungen. Abgerechnet werden können 90 Prozent der Mehrkosten. Noch bis Ende September müssen die Unternehmen alle Mehrkosten selbst tragen. Sollte Russland gar kein Gas mehr liefern, hält Habeck es für wahrscheinlich, dass die Umlage steigt.
Den Firmen, die in der Vergangenheit günstiges russisches Erdgas nach Deutschland importiert haben. Sie bekommen noch einen Bruchteil der vertraglich zugesicherten Liefermengen. Gleichzeitig haben sie ihren Abnehmern wie Stadtwerken genau dieses Gas versprochen. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, müssen sie kurzfristig Gas an der Börse teuer hinzukaufen. Die Folge: Bei den Importeuren sind erhebliche Verluste entstanden. Der Fortbestand der Unternehmen kann gefährdet sein. Beim größten Gasimporteur Uniper war die Lage so dramatisch, dass noch vor Einführung der Umlage ein milliardenschweres Rettungspaket nötig wurde. Habeck bezeichnete die Umlage als eine „bittere Medizin“. Die Alternative zu den Hilfsmaßnahmen wäre ein Zusammenbruch des deutschen Energiemarktes gewesen.
Russland macht technische Gründe dafür verantwortlich. Die Bundesregierung hält dies für vorgeschoben. Habeck sprach am Montag von einer „von russischer Seite verursachten künstlichen Energieknappheit“ im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte den Bürgern erneut ein weiteres Entlastungspaket zu. „Wir lassen niemanden allein mit den höheren Kosten“, schrieb der SPD-Politiker auf Twitter und räumte gleichzeitig ein: „Es wird teurer – da gibt es kein drumherumreden. Die Energiepreise steigen weiter.“ Bisher seien schon staatliche Hilfen über 30 Milliarden Euro beschlossen worden. Habeck sagte, die Bundesregierung habe sich schon auf erste Schritte wie eine Ausweitung des Wohngeldes mit einem Heizkostenzuschuss verständigt. „Ich meine aber, dass weitere zielgenaue Entlastungen nötig sind. In dieser Krise müssen wir den demokratischen Konsens sozialpolitisch absichern.“
Zwölf Gasimporteure haben ihre Ersatzbeschaffungskosten angemeldet. Darunter sind Uniper, VNG und EWE. RWE und Shell wollen auf eine Kostenerstattung verzichten. Insgesamt haben die zwölf Unternehmen bis Anfang April 2024 zunächst rund 34 Milliarden Euro geltend gemacht, teilweise aufgrund von Schätzungen. Wirtschaftsprüfer und die Bundesnetzagentur sollen darauf achten, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Das ist noch nicht ganz klar und wird geprüft. Gegebenenfalls wird es noch Gesetzesänderungen geben. Habeck wies darauf hin, dass es auch viele Festverträge mit einer Preisanpassungsmöglichkeit für staatliche Abgaben gibt.
Neben der Beschaffungsumlage kommt im Herbst noch eine Gasspeicherumlage. Diese soll die Kosten ersetzen, die für die Extra-Einspeicherung von Erdgas zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit im Winter entstehen. Das Wirtschaftsministerium geht aber nicht davon aus, dass diese Umlage eine „relevante Größe“ erreichen wird.
Die Gasumlage wird nach Ansicht von Ökonomen zu einer Steigerung der Inflationsrate führen. So hält das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine Inflationsrate im vierten Quartal um die zehn Prozent für möglich. Experten der Commerzbank gehen von einer Steigerung der Teuerung bis Jahresende auf deutlich über neun Prozent aus.
Tatsächlich gibt es eine bemerkenswerte Lücke in der Verordnung, in der die Umsetzung geregelt wird. Zwar heißt es in der Erläuterung zu „Problem und Ziel“ der Verordnung, dass es darum gehe, „Insolvenzen zu verhindern“, aber eben nicht darum, „zu einer Absicherung von Gewinnen auf Kosten der Verbraucher zu führen“. Es gibt auch eine Reihe von Kriterien, die geprüft werden: Hat das Unternehmen tatsächlich russisches Gas bezogen? Ist es unmittelbar von dem Ausfall von Liefermengen betroffen? Gibt es eine direkte, physische Lieferung ins deutsche Gasmarktgebiet? Geht es um Verträge, die vor dem 1. Mai 2022 abgeschlossen wurden. Allerdings ist bei der Umsetzung der Verordnung keinerlei Prüfung vorgesehen, ob ein Unternehmen tatsächlich in Not ist.
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„Eine drohende Insolvenz gehört nicht“ zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit „ein Unternehmen Ansprüche geltend machen kann“, heißt es von der THE. Auch im Nachhinein werde „nicht einschlägig“ geprüft, wie gefährdet ein Unternehmen gewesen sei. Auch auf die Frage, ob Rückforderungen möglich seien bei Unternehmen, die trotz schwieriger Marktlage Gewinne einfahren würden, lautet die Antwort der THE: „Nicht einschlägig.“ Offenbar ermöglicht es die Verordnung durchaus, die Gasumlage als Freifahrtsschein zu nutzen, um die eigenen Gewinne zu stützen – ohne nachfolgend mit Nachforderungen bedroht zu werden.
„Ein Unternehmen braucht Gewinne, um sich breiter aufzustellen“
Vom Wirtschaftsministerium heißt es auf die Frage, ob es nicht eine Lücke offenbare, wenn hier zwischen Geist und Umsetzung der Verordnung eine Lücke klaffe: „Ein Unternehmen braucht Gewinne, um sich breiter aufzustellen und sich damit auch unabhängiger von russischen Lieferungen zu machen.“ Heißt: Da will man offenbar nicht mehr ran. Nur die „Übergewinne“ sind der Regierung offenbar nach wie vor ein Dorn im Auge. „Zufallsgetriebene Gewinne müssen nach Auffassung von Minister Habeck aber anders bewertet werden,“ lässt das Ministerium wissen.
Zugegeben, wie so vieles ist es schwierig von einem Unternehmen wie etwa EnBW zu verlangen, sich offen zu einer möglichen Notsituation zu bekennen, wenn es die denn gäbe. Auch ist es nicht einfach festzulegen, wann die Mitnahme der Umlage legitim ist – und ab welchem Punkt nicht mehr. Wie schnell sich der Markt ändern kann, zeigen allein die Reaktionen auf die erneute Pause der Lieferungen bei Nord Stream 1. Dennoch erscheint eine Überarbeitung der Verordnung etwa Verbraucherschützer Udo Sieverding geboten: „Offenbar ist die Veordnung der Bundesregierung nicht so formuliert, dass sie Missbrauch verhindern kann. Die Bundesregierung sollte die Verordnung prüfen und überarbeiten.“
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