Offshore-Parks Siemens verheddert sich im Windkraftgeschäft

Mit viel neuem Personal versucht der Vorstandsvorsitzende Peter Löscher die Probleme bei der Anbindung der Offshore-Windparks zu meistern. Doch die Konkurrenz ist schneller.

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Die Stärken und Schwächen des Siemens-Konzerns
Stärke 1: Solide Kapitalstruktur mit geringen Schulden - damit ist Siemens gut für einen Abschwung gerüstet. Die Nettofinanzverschuldung sank im Geschäftsjahr 2010/11 um zehn Prozent auf knapp fünf Milliarden Euro – bei Zahlungsmitteln in Höhe von 12,5 Milliarden Euro. So gut stand der Konzern seit Jahren nicht da. Quelle: dpa
Im Verhältnis zum Eigenkapital machen die Nettoschulden nur knapp 16 Prozent aus. Rechnet man die Finanzdienstleistungssparte heraus und addiert die Pensionsverpflichtungen hinzu, ergibt sich sogar ein Nettofinanzguthaben von 1,5 Milliarden Euro. Daher verwundert es nicht, dass die Ratingagenturen dem Siemens-Konzern Bonitätsnoten im Investmentgrade-Bereich zugestehen: Standard & Poor’s und Fitch vergeben ein Rating von A+, Moody’s von A1. Quelle: dapd
Aber auch die europäischen Konkurrenten weisen starke Bilanzen auf: Während Siemens – inklusive der Finanzsparte – eine Konzerneigenkapitalquote von 31 Prozent hat, kommen die beiden Unternehmen Philips und ABB ohne Finanztöchter sogar auf noch höhere Werte von 47 und 41 Prozent. Der US-Konzern General Electric hingegen erreicht inklusive der Finanzsparte lediglich eine Eigenkapitalquote von 16 Prozent. Bei Philips haben sich die Nettofinanzschulden im Jahr 2011 zwar erhöht. Ende September lagen sie bei 1,2 Milliarden Euro nach nur 80 Millionen im Vorjahr. In Relation zum Eigenkapital waren das aber nur neun Prozent. Quelle: dpa
Stärke 2: Neue Aufträge sorgen für stabile Umsätze. Die Zahlen sind beeindruckend: Zum Ende des Geschäftsjahres 2010/11 hatte Siemens einen Rekordauftragsbestand von 96 Milliarden Euro in den Büchern. In den Monaten davor waren neue Aufträge von 86 Milliarden Euro hinzugekommen. Damit stieg der Eingang im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent und wuchs damit doppelt so schnell wie der Umsatz. Getrieben wurde das Auftragswachstum vor allem von den beiden größten Geschäftsbereichen Industrie und Energie. Quelle: dpa
Siemens profitierte in der Industriesparte vom kurzzyklischen Geschäft und vom größten Auftrag für Züge, den der Konzern jemals verzeichnet hat. In der Energiesparte legten sogar alle Divisionen zu. Siemens rechnet damit, etwa 40 Milliarden Euro der Aufträge bereits im laufenden Geschäftsjahr in Umsatz ummünzen zu können. Das bedeutet: Selbst wenn der Konzern 2012 keine neuen Aufträge mehr an Land ziehen würde, wäre schon mehr als der halbe Jahresumsatz in trockenen Tüchern. Zuletzt hat der Konzern einen Umsatz von 73,5 Milliarden Euro erzielt. Quelle: Reuters
Die hohen Auftragsbestände sind ein gutes Polster. Denn Finanzchef Joe Kaeser (rechts) hat vor Kurzem angedeutet, dass sich die schwache Konjunktur in Europa auf das Neugeschäft auswirkt. Ein ähnlich hoher Auftragseingang dürfte 2012 daher kaum zu erreichen sein. Quelle: Reuters
Stärke 3: Hohe Liquidität ermöglicht Milliarden-Investitionen. Siemens hatte gegenüber den Konkurrenten zuletzt einen entscheidenden Vorteil – den hohen operativen Cash-Flow. Zwar ging dieser im Vorjahresvergleich etwas zurück. Gleichwohl hat das Unternehmen mehr Spielraum für Investitionen als seine wichtigsten Konkurrenten. Kein vergleichbarer Konzern schafft es, so viel Umsatz in tatsächlichen Mittelzufluss umzumünzen wie der bayerische Traditionskonzern. Die Cash-Flow-Umsatzrendite von Siemens lag zuletzt bei elf Prozent. Quelle: dapd

Ein unübersichtliches Geflecht aus engen Gängen und Treppenhäusern durchzieht die halb fertige Umspannplattform im Trockendock der Werft Nordic Yards in Wismar. Kabel hängen von den Decken, Arbeiter schweißen am Gestänge des Stahlungetüms, und überall riecht es nach Lösungsmitteln. Auftraggeber für die Plattform ist Siemens.

In 2013 soll sie endlich fertig werden. Dann wollen die Münchner die Helwin 1, wie die Plattform heißt, mit Spezialschiffen in die Nordsee schleppen. In der Nähe von Helgoland soll sie von 2014 an dafür sorgen, dass der Strom von Windparks wie Nordsee Ost und Meerwind an Land kommt. Es ist eine gewaltige logistische Leistung. 70 Meter lang, 50 Meter breit und 30 Meter hoch ist die Helwin 1. Wenn sie fertig ist, wiegt sie 15.000 Tonnen, mehr als 25 vollgetankte und voll besetzte Airbus A380. Es gibt weltweit nur wenige Spezialschiffe, die eine solche Plattform transportieren können.

Probleme mit dem Offshore-Geschäft

Doch in die Superlative mischt sich Wehmut. Denn sollte Siemens den Termin einhalten, wird die Plattform ein Jahr später als geplant an den Start gehen. Auch eine zweite Plattform, an der Siemens derzeit baut, kann statt 2013 erst 2014 den Betrieb aufnehmen. Die Borwin 2 soll die Windparks nahe der Insel Borkum anbinden. Insgesamt eine halbe Milliarde Euro Verlust haben die Verzögerungen den Münchnern in den ersten sechs Monaten des laufenden Geschäftsjahres eingebrockt.

Für Siemens ist das Offshore-Geschäft nicht länger Hoffnungsträger, sondern eine Art Problembär – auch weil Konkurrenten wie die schweizerisch-schwedische ABB offenbar weniger Probleme bei der Anbindung ihrer Hochsee-Windparks haben.

Die Verzögerungen und Verluste haben bei den Münchnern die höchste Alarmstufe ausgelöst und Konzernchef Peter Löscher hart durchgreifen lassen. Udo Niehage, Chef der Geschäftseinheit Stromübertragung, die für die Offshore-Anbindung zuständig ist, musste Anfang Mai gehen. Für ihn kam Karlheinz Springer. 100 Tage gab Löscher ihm, dann müsse er konkrete Lösungsvorschläge präsentieren.

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