Seit Wochen kämpft der Energieversorger EnBW, drittgrößter Energiekonzern in Deutschland, um den insolventen Windparkbetreiber Prokon. Das Unternehmen schaltete sogar Anzeigen im Radio, um die rund 75.000 Gläubiger, die am Donnerstag darüber entscheiden müssen wie es weitergeht mit der insolventen Firma aus Itzehoe, für sich zu gewinnen.
Kurz vor dem großen Tag in Hamburg, wohin Insolvenzverwalter Dietmar Penzlin die Gläubiger zur Abstimmung einlädt, wirbt EnBW-Manager Dirk Güsewell noch einmal eindringlich, die Gläubiger mögen sich doch bitte für die EnBW als neuen Investor und Eigentümer des Windparkbetreibers entscheiden. Denn das Investorenmodell biete den wesentlich besseren wirtschaftlichen Rahmen für die Zukunft von Prokon, und EnBW nehme den Ausbau der Windkraft sehr ernst.
Die Gläubiger des insolventen Windparkbetreibers haben die Qual der Wahl zwischen zwei Modellen, die Insolvenzverwalter Penzlin ihnen zur Abstimmung vorlegt. Sie müssen darüber abstimmen, wie es zukünftig weitergehen soll mit dem Windparkbetreiber. Entscheiden können Sie sich entweder für die Übernahme durch den Energiekonzern EnBW oder für die Weiterführung des Unternehmens in einer Genossenschaft. Nehmen die Gläubiger keinen dieser beiden Pläne an, würde Prokon abgewickelt werden. Doch danach sieht es derzeit nicht aus.
Schon vor der entscheidenden Abstimmung geben sich die Befürworter des Genossenschaftsmodells siegessicher. Tausende haben sich zusammengetan in der Gläubigervereinigung „Die Freunde von Prokon“ und sicherten sich die Unterstützung der Ökobank GLS und der beiden Ökostromanbieter Naturstrom AG und Elektrizitätswerke Schönau. Die Elektrizitätswerke Schönau sind selber eine Genossenschaft. Die Drei betrachten ihr Engagement auch als Beitrag zum Kampf für eine dezentrale Energiewende, die von den Bürgern und mit den Bürgern gestaltet wird. „Wir sehen eine große Chance darin, dass einer der größten Windparkentwickler Deutschlands in Bürgerhand weiterbetrieben wird“, sagte GLS-Vorstandssprecher Thomas Jorberg. Auch ein Aufsichtsrat für die Genossenschaft hat sich schon formiert, wie die WirtschaftsWoche in der vergangenen Woche berichtete.
Deutsche Energieversorger im Vergleich
Umsatz im Jahr 2013: 36,8 Milliarden Euro
Kraftwerkskapazität im Jahr 2013: 18.518 Megawatt
Stromabsatz im Jahr 2013: 704 Terawattstunden
Anteil Erneuerbaren Energien: 11 Prozent
Quelle: Statista, Unternehmen
Umsatz im Jahr 2013: 28,1 Milliarden Euro
Kraftwerkskapazität im Jahr 2013: 28.257 Megawatt
Stromabsatz im Jahr 2013: 271 Terawattstunden
Anteil Erneuerbaren Energien: 6 Prozent
Quelle: Statista, Unternehmen
Umsatz im Jahr 2013:20,5 Milliarden Euro
Kraftwerkskapazität im Jahr 2013: 13.802 Megawatt
Stromabsatz im Jahr 2013: 128 Terawattstunden
Anteil Erneuerbaren Energien: 13 Prozent
Quelle: Statista, Unternehmen
Umsatz im Jahr 2013: 15,3 Milliarden Euro
Kraftwerkskapazität im Jahr 2013: 18.352 Megawatt
Stromabsatz im Jahr 2013: 86 Terawattstunden
Anteil Erneuerbaren Energien: 23 Prozent
Quelle: Statista, Unternehmen
Doch auch den Befürwortern eines Genossenschaftsmodells für Prokon geht es nicht nur um Idealismus, sondern auch um’s Geld. In der ersten Version des Insolvenzplans für ein Genossenschaftsmodell sollten die Gläubiger geschätzt 58,9 Prozent ihrer Forderungen zurückbekommen. Allerdings nicht in bar, sondern in Form von Genossenschaftsanteilen und einer Anleihe. Als Genossen müssten die Anleger danach 24,4 Prozent ihres Einsatzes als Anteile im Unternehmen lassen und bekämen den Rest in Form von Anleihen übertragen. Die Anleihen können frühestens 2016 verkauft werden. Die Genossenschaftsanteile lassen sich mit einer Frist von drei Jahren kündigen.
Der Energieversorger EnBW bietet den rund 75.000 Anlegern, die insgesamt 1,44 Milliarden Euro in Prokon investiert haben, 550 Millionen Euro in bar. Dazu kommt Geld aus dem Verkauf von Randgeschäften des Unternehmens. Insgesamt bekämen die Gläubiger bei diesem Modell 52,2 Prozent ihres angelegten Geldes zurück und wären mit dem EnBW-Modell raus aus dem Geschäft. Der Versorger aus Karlsruhe könnte mit dem Kauf der 54 Prokon-Windparkanlagen seine Windenergie-Kapazitäten auf über 700 Megawatt mehr als verdreifachen.
Niedrigere Quote beim Genossenschaftsmodell
Überraschend teilte allerdings Insolvenzverwalter Penzlin in der vergangenen Woche mit, dass die Quote für die Gläubiger beim Genossenschaftsmodell um 1,1 Prozentpunkte auf 57,8 Prozent sinken werde. Weil sich in Finnland mehr Anbieter als gedacht um staatlich geförderte Windparkprojekte bemühten, seien die Aussichten für Prokon dort schlechter geworden, sagte Penzlin und korrigierte die Ausschüttungsquote für die Genossenschaft herunter. Das sind zwar immer noch mehr als die 52,2 Prozent beim Verkauf an EnBW. Doch der Energieversorger nahm diese Korrektur zum Anlass auf die Risiken hinzuweisen, denen die Genossen ausgesetzt seien. Der Energieversorger hatte nach eigenen Angaben die Prokon-Aktivitäten in Skandinavien von Anfang an niedriger bewertet.
Zum Zeitpunkt der Korrektur durch den Insolvenzverwalter hatten sich längst schon 36.000 Anleger für das Genossenschaftsmodell ausgesprochen und Vollmachten erteilt. Deshalb bieten die beiden Naturstromanbieter Naturstrom AG und die Elektrizitätswerke Schönau Anlegern mit größeren Genussrechtepaketen, die für eine Genossenschaft sind, aber das Risiko nicht tragen wollen, an, ihre Anteile abzukaufen und an ihrer Stelle zum Miteigentümer zu werden.
Mittlerweile sieht sich EnBW extrem benachteiligt durch „mehrfache Regeländerungen“ und beklagt sich darüber über seine Anwälte schriftlich beim Insolvenzverwalter und beim Insolvenzgericht in Itzehoe. Es entstehe der Eindruck, dass die EnBW im laufenden Insolvenzverfahren zunehmend mit der Folge benachteiligt werde, dass Gläubigerinteressen ganz nachhaltig berührt würden, so die EnBW-Anwälte. Zum einen habe sich durch die überraschende Senkung der Quote für das Genossenschaftsmodell die Entscheidungsgrundlage wesentlich geändert. Zum anderen sehen die Anwälte durch das Angebot der Ökostromanbieter Naturstrom AG und Elektrizitätswerke Schönau, Genussscheininhabern ihre Anteile abzukaufen, einen möglichen Verstoß gegen die Insolvenzordnung.
Von der Prokon-Pleite zum begehrten Investment
Die Pleite von Prokon ist einer der größten Insolvenzfälle in Deutschland. Sie sorgte vor allem deshalb für viel Aufsehen, weil tausende Privatanleger in Prokon investierten – in der Hoffnung auf üppige Renditen. „Öko-Pionier“ Carsten Rodbertus gründete Prokon 1995. Er versprach den Anlegern hohe Renditen, unabhängig von Banken, wenn sie ihr Kapital für „sauberen Strom“ anlegten. Die Firma aus dem schleswig-holsteinischen Itzehoe, die Windparks plante und im Auftrag von Investoren betrieb, hatte sich mit diesem Versprechen durch den Verkauf von Genussrechten im Wert von 1,4 Milliarden Euro an rund 75.000 private Anleger auf dem grauen Kapitalmarkt fremdfinanziert. Die Anleger erwarben so aber nur stimmrechtslose sowie nachrangige Forderungen.
Mit der Insolvenz von Prokon im Januar 2014 drohte ihnen der Totalverlust ihres Investments. Firmengründer Rodbertus ist als Geschäftsführer und Gesellschafter ausgeschieden. Der Insolvenzverwalter schloss mit ihm einen Vergleich. Ob er sich noch vor Gericht unter anderem wegen Insolvenzverschleppung verantworten muss, ist offen.
Die Anleger müssen sich nun entscheiden, ob sie lieber eine Abfindung wollen (Investorenmodell von EnBW) oder langfristig ins Risiko gehen wollen (Genossenschaftsmodell). Beide Modelle seien überlebensfähig, versichert der Insolvenzverwalter.