Deutschlands größter Stromproduzent RWE leidet stärker unter der Energiewende als befürchtet. Gaskraftwerke rechnen sich nicht mehr, weil sie nur noch wenige Stunden im Jahr Strom liefern. Auch viele Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke rutschen nun in die roten Zahlen. Deshalb prüft Konzernchef Peter Terium jetzt die Radikallösung. Er erwägt, die fossilen Kraftwerke zu verkaufen – bisher ein Tabu für den Essener Konzern.
„RWE beschäftigt sich mit dem Gedanken, einzelne Kohlekraftwerke an Finanzinvestoren zu veräußern, um Geld in die Kasse zu bekommen“, sagt ein RWE-Insider. Der erwogene Abschied von klassischen Kohlekraftwerken zeigt, wie schwer sich der Konzern tut, die 33 Milliarden Euro Finanzschulden zu reduzieren.
Ziel sei es, „die magische Grenze von 30 Milliarden Euro“ bei der Verschuldung zu unterschreiten, sagte ein RWE-Kenner kurz vor der Aufsichtsratssitzung am vergangenen Donnerstag. Auslöser für die Überlegung, zu diesem Zweck auch Kohlekraftwerke zu verkaufen, sind die massiv verschlechterten Aussichten auf dem Strommarkt. Haben kurz nach dem Beschluss zum Atom-ausstieg Unternehmer noch auf steigende Strompreise spekuliert, erleben sie nun das Gegenteil.
Die Großhandelspreise für Strom sind in diesem Jahr von 50 Euro auf 36 Euro pro Megawattstunde gefallen. Das trifft RWE in besonderem Maße, denn bisher steht bei Verträgen mit Großabnehmern für den 2013 zu liefernden Grundlaststrom ein Großhandelspreis von rund 50 Euro pro Megawattstunde in den Büchern. Bei der demnächst anstehenden Neuauflage der Verträge müsste RWE einen Abschlag hinnehmen. Er bedeutete bei einer Erzeugung von 200 Millionen Megawattstunden zwei Milliarden Euro weniger Erlöse.
„Es gibt keinen Zweifel daran, dass uns schwere Zeiten bevorstehen“, sagte RWE-Chef Terium, als er am Donnerstagabend bekannt gab, dass der Konzern die Dividende für 2013 auf einen Euro je Aktie senkt. Im Vorjahr hatten die Aktionäre noch das Doppelte erhalten: zwei Euro je Aktie. Welche Finanzinvestoren bei dieser Entwicklung des Strompreises konventionelle Kraftwerke kaufen könnten, ist noch gar nicht ausgemacht.
Schmerzhafte Einschnitte beim Personal
Zurzeit sondiere RWE in der Finanz-Community die Meinung möglicher Investoren, heißt es in Frankfurt. Attraktiv sei so ein Deal allenfalls, wenn künftig die Kapazitäten verknappt würden und die Politiker beschlössen, schon allein die Bereitstellung der Meiler zur Sicherung der Stromversorgung zu vergüten.
RWE-Chef Terium verschont auch die Mitarbeiter nicht. Bisher galt für RWE der Spott, der Firmenname stehe für die Abkürzung von „Ruhe, Wohlstand und Erholung“. Damit ist es vorbei. So sollen Gerüchten zufolge, bei den RWE-Kraftwerken von 17.000 Stellen gut 3000 wegfallen. In vielen Kraftwerken arbeiten zu viel Ingenieure und Planer, die bei niedrigen Laufzeiten nicht überall gebraucht werden. Nicht nur bei den Kraftwerken wird gespart, auch im Dienstleistungsbereich und bei IT, dort und im Rechnungswesen sollen 2400 Stellen gestrichen werden. So jedenfalls sehen es frühere interne Planungen vor.
Schwierige Umschulung
Große Hoffnungen setzt Terium dabei in seinen Personalvorstand Uwe Tigges, der kreative Lösungen erarbeitet. Eine interne Jobbörse zum Beispiel oder Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. „Aber ein Ingenieur, der jahrelang in einem Kernkraftwerk tätig war, ist nur sehr schwer auf einen Dienstleistungsexperten umzuschulen“, weiß ein altgedienter RWE-Mann.
So könnte, nach Informationen des Handelsblatts, die Mitarbeiterzahl bei RWE mittelfristig von jetzt knapp 70.000 auf 50.000 in den nächsten Jahren sinken. Das wäre eine denkbar schlechte Vision für das Ruhrgebiet, das für RWE immer noch der wichtigste Heimatmarkt ist.