Rückkauf der Energienetze Warum Hamburg zum Bürgerschreck werden könnte

Seite 3/5

Kein Feindbild

Wo die Energiewende besser funktioniert
Im internationalen Vergleich gibt es kaum ein zweites Land, das sich derart ambitionierte Ziele zur Umstellung seines Energiesystems gesteckt hat wie Deutschland. Daher existiert auch kein Gesamtkonzept, das als Blaupause für die deutsche Energiewende dienen könnte. Dennoch kann Deutschland von anderen Ländern lernen. Eine Studie von McKinsey im Auftrag von Siemens stellt Beispiele aus verschiedenen Ländern vor und zeigt, was davon in welchem Umfang auch in Deutschland erfolgreich umgesetzt werden könnte. Die Fallbeispiele beziehen sich auf die wesentlichen Elemente der deutschen Energiewende entlang der Energiewertschöpfungskette: Stromerzeugung, Verteilung oder Balancierung von Angebot und Nachfrage sowie Steigerung der Energieeffizienz. Quelle: dpa
Dänemark, Niederlande, Brasilien - Versteigerung von WindparksDer Ausbau von Solar und Windkraft wird die Regierung bis 2020 rund 30 Milliarden Euro kosten. Eine Möglichkeit, den Kostenanstieg zu drosseln, wäre eine Anpassung der Förderung, zum Beispiel durch Auktionierung von Windparkprojekten – wie in Brasilien, Dänemark oder den Niederlanden praktiziert. So kann erreicht werden, dass Windparks an windreichen Standorten mit einer geringeren Vergütung auskommen. Würden in Deutschland die infrage kommenden Windparkprojekte in Zukunft versteigert, könnten allein im Jahr 2020 rund 0,7 Milliarden Euro an Förderkosten eingespart werden. Quelle: dpa
China – bessere Nutzung von AbwärmeAbwärme lässt sich bei Temperaturen ab circa 300 Grad Celsius zur Stromerzeugung nutzen. In Deutschland gibt es unter anderem in der Zement- und Glasindustrie weitere Potenziale, die andere Länder beziehungsweise Pilotanlagen in Deutschland bereits nutzen: So wurden in China in den  vergangenen zehn Jahren knapp 30 Zementwerke mit entsprechenden Anlagen ausgestattet oder werden aktuell umgerüstet. Durch Nachrüsten der in Deutschland infrage kommenden Werke könnten hier im Jahr 2020 etwa 2 TWh Strom erzeugt und so eine Megatonne CO2 eingespart werden. Die Investitionen würden sich bereits nach rund drei Jahren amortisieren, so die Autoren der Studie. Quelle: REUTERS
Shanghai – bessere TransformatorenJetzt wird es technisch, aber im Grunde simpel. Transformatoren sind  für die Stromversorgung unverzichtbar, da elektrische Energie nur mittels Hochspannungsleitungen über weite Entfernungen wirtschaftlich sinnvoll transportiert werden kann; der Betrieb von Elektrogeräten ist aber nur mit Nieder- und Kleinspannung praktikabel und sicher. Transformatoren haben einen magnetischen Kern, meist Eisen, man kann aber auch so genannte amorphe Metalle verwenden. Sie haben bessere magnetische Eigenschaften und senken Übertragungsverluste im Netz.  In Shanghai konnten die Leerlaufverluste der ausgetauschten Transformatoren um 80 % reduziert werden konnten. Allein die Ausstattung der in Deutschland bis 2020 neu zu installierenden Transformatoren mit amorphen Kernen könnte die Übertragungsverluste im Stromnetz im Jahr 2020 um 0,2 TWh reduzieren. Dies entspricht der Stromproduktion von circa 65.000 Aufdach-Solaranlagen. Durch die Einsparungen  würden sich die erforderlichen Investitionen nach circa elf Jahren amortisieren. Quelle: dpa
Schweden – mehr WärmepumpenEine Wärmepumpe entzieht zum Beispiel dem Boden oder der Luft unter Aufwendung mechanischer oder elektrischer Energie thermische Energie und stellt diese zur Raumheizung zur Verfügung. Momentan sind in Schweden bei 9,5 Mio. Einwohnern 1 Mio. Wärmepumpen installiert, gegenüber circa  0,5 Mio. Wärmepumpen in Deutschland bei rund 81 Millionen Einwohnern. Der Ausbau zusätzlicher 0,7 Millionen Wärmepumpen in Deutschland bis 2020 würde zu einer Senkung des Primärenergiebedarfs um 18 PJ und zu einer Senkung der CO2-Emissionen um 0,6 Mt für das Jahr 2020 führen.Foto: "Tourismusverband Westschweden Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
USA – Stromnachfrage besser steuernDie Stromerzeugung aus Wind und Sonne schwankt wetterabhängig sehr stark. Das belastet das Netz. Die Schwankungen lassen sich durch eine flexiblere Stromnachfrage ausgleichen. Im Nordosten der USA hat man dazu einen Markt für temporäre Nachfragereduzierung geschaffen. Zu Spitzenzeiten reduzieren Stromkunden ihren Verbrauch freiwillig und erhalten hierfür eine Vergütung. Bei diesem Fallbeispiel wurde die Spitzenlast in einem Markt, der größer als der deutsche ist, um circa 8 % reduziert. Würde Deutschland in ähnlicher Weise allein seine industrielle Nachfrage flexibilisieren, könnten 2020 etwa 0,5 Milliarden Euro eingespart werden. Das entspricht den jährlichen Betriebskosten von zwei großen Kohlekraftwerken. Quelle: AP
Los Angeles – LED-StraßenbeleuchtungInternational hat eine Reihe von Städten den Austausch der klassisch verwendeten Natrium-Hochdrucklampen durch LED s vorangetrieben. In den USA installierte zum Beispiel Los Angeles von 2009 bis 2013 in 146.000 Ampeln und Straßenleuchten mit LED. Mit Investitionen von rund 45 Millionen Euro konnte eine Reduzierung des Stromverbrauchs von rund 60 % erreicht werden. Quelle: Presse

Dietrich Graf geht kaum als Feindbild durch, dafür steckt zu viel Ingenieur und zu wenig Manager in ihm. Graf ist technischer Geschäftsführer der Vattenfall-Stromnetze Berlin und Hamburg und damit an einer ideologischen Front aktiv, die ihm anscheinend reichlich egal ist. Wenn man ihn nach privat und Staat und seiner Meinung fragt, dann antwortet er in Sätzen, die auch in Vattenfall-Prospekten stehen. Ganz anders, wenn Graf erklären soll, wie man ein Stromnetz effizient betreibt. „Haben Sie mal ein Blatt Papier?“, fragt er und zeichnet eine Linie, die erst stark fällt, dann lange horizontal verläuft und am Ende steil ansteigt – die Badewannenkurve, mit der Ingenieure die Lebensdauer von technischen Geräten darstellen. Etwas ungenauer wird die Darstellung, wenn er erklären soll, wie viel Geld Vattenfall mit all den Leitungen und Trafos in Hamburg verdient. Wieder zeichnet er eine Kurve – die Erlöse –, darunter ein paar Balken – die Kosten. Auf Zahlen aber verzichtet er. Dafür die Antwort: „Der Betrieb von Stromnetzen ist so stark reguliert, da ist nicht viel Rendite möglich.“

Genau daran aber zweifeln immer mehr Bürger und Politiker. Zwar sind die meisten Städte grundsätzlich mit der Arbeit der Unternehmen zufrieden. Doch sie bedroht zugleich die kommunale Schuldenbremse, die ab 2020 neue Kredite nur unter erschwerten Bedingungen zulässt. Die Städte müssen bis dahin ihre Haushalte ausgleichen, irgendwie. Weil viele keine Sparmöglichkeiten mehr sehen, suchen sie vermehrt nach neuen Einnahmen. Und so sind es eher die Sorgenkinder unter den Städten, die sich jetzt große Kredite an den Hals hängen, um damit neue Einnahmen zu erschließen. Sogar Recklinghausen, eine der Städte mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung Deutschlands, hat 2011 sein Stromnetz zurückgekauft. Im Moment profitieren sie dabei von den extrem günstigen Refinanzierungsbedingungen. So bietet die KfW inzwischen den „Investitionskredit Kommunen “ speziell für den Rückkauf von städtischer Infrastruktur: 1,6 Prozent Zinsen, Laufzeit zehn Jahre, jährliches Volumen bis zu 150 Millionen Euro. Ob all das aber genügt, um den Betrieb von Stromnetzen oder der Abfallentsorgung zu einem profitablen Geschäft zu machen, steht auf einem anderen Blatt. Nicht ganz zu Unrecht suchte Hamburgs Oberbürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Wahlkampf einen Vergleich für den Netzrückkauf: „Es ist ein wenig wie mit Schiffsfonds oder früher mit Immobilien in Ostdeutschland.“

Denn hinter dem Betrieb von Stromnetzen steckt eine der kompliziertesten Regulierungen überhaupt. Um auf dem Markt der Verteilnetze eine Art von Wettbewerb zu schaffen, sind sie der Bundesnetzagentur unterstellt. Für jeweils fünf Jahre im Voraus legt die Behörde sogenannte Erlösobergrenzen fest, welche die Rendite der Betreiber bestimmen. Die nächste Periode beginnt 2014, nervös erwarten die Netzbetreiber dieser Tage, welche Renditeaussichten ihnen diesmal zugeteilt werden.

Dafür wird zunächst die Effizienz des Netzbetriebs ermittelt. Je besser ein Netz bewirtschaftet wird und je seltener es zu Aussetzern kommt, desto höher fällt der Effizienzwert aus, der für gewöhnlich irgendwo zwischen 80 und 100 Prozent liegt. Dieser Wert wird dann multipliziert mit der maximalen Eigenkapitalverzinsung von 7,56 Prozent – es ergibt sich die erzielbare Rendite. Was das Verfahren für die Betreiber so attraktiv macht: Ihre Kosten werden in einem separaten Verfahren ermittelt, hier wird nicht verglichen, sondern lediglich genehmigt. Die Netzinhaber schlüsseln auf, was sie für ihr Netz ausgeben. Ist eine Ausgabe gut begründet, wird sie durchgewinkt. Mit anderen Worten: Die höchste Rendite erzielt der Betreiber, der das beste Netz bietet – egal, was es kostet. Eine Sprecherin der Bundesnetzagentur räumt ein: „Es ist in der Tendenz zutreffend, dass sich hohe Kosten positiv auf die Rendite auswirken.“ Umso höher sind jedoch auch die Netznutzungsentgelte, die der Kunde über die Stromrechnung zahlt. In den ersten Jahren konnte die Regulierung noch Erfolge verweisen, inzwischen steigen die Entgelte kräftig.

Es ist also durchaus etwas dran, dass die Netzbetreiber ihre Rendite auf Kosten der Kunden erhöhen können. Nur ist das keineswegs allein eine Spezialität der großen Privatkonzerne. Der Vergleich der Netzentgelte in den größten deutschen Städten zeigt zwar, dass sich die Gebühren deutlich unterscheiden: So bezahlt ein durchschnittlicher Haushalt mit 5000 Kilowattstunden Jahresverbrauch in Bremen 201 Euro Netzgebühr, in Leipzig sind es 306 Euro. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Öffentlichen und Privaten ist jedoch nicht zu erkennen. Allein das ist keine Rechtfertigung für eine Tätigkeit des Staates. Viel wichtiger nehmen viele Gemeinden deshalb ein zweites Argument: Da es quasi unmöglich sei, mit Stromnetzen Verluste zu machen, solle man diese Rendite doch lieber gleich selbst abschöpfen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%