Gekko – der Name steht für grenzenlose Gewinne und Gier. Die Hauptfigur in Oliver Stones Börsenthriller „Wall Street“ aus dem Jahr 1987, in dem Finanzhai Gordon Gekko alias Michael Douglas zu Millionen kommt, gilt bis heute als Ikone des erfolgreichen Aufsteigers.
Im Ruhrgebiet könnte Gekko bald für das Gegenteil stehen – für Misswirtschaft, Niedergang, Mittellosigkeit. Denn Gekko, so heißt bei den Einwohnern von Hamm im Norden des Industriereviers das neue Steinkohlekraftwerk, das eigentlich in diesem Jahr ans Netz gehen sollte. Kanzlerin Angela Merkel war 2008 sogar zum ersten Spatenstich angereist. Doch nun droht der Eröffnungstermin zu engleiten, weil die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks infrage steht. Jeder Monat, den der 1,5 Milliarden Euro teure Meiler keinen Strom produziert, kostet nicht nur die 25 Stadtwerke Millionen, denen Gekko gehört, sondern auch die Kommunen, die auf die Überweisungen ihrer Unternehmen gehofft hatten. Für die gebeutelte Kohleregion und ihre Bewohner ein Tiefschlag.
Schuld an der unkontrollierten Kettenreaktion ist die Bundesregierung mit ihrer Energiewende. Das ungezügelte Wachstum der Wind- und Sonnenenergie seit dem Beschluss zum schrittweisen Atomausstieg im Sommer 2011 setzt Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen schwer zu. Weil Ökostrom Vorrang vor Strom aus Kohle und Gas hat, müssen klassische Meiler vom Netz.
Extreme Abhängigkeit
Besonders trifft dies das Ruhrgebiet – nicht nur, weil hier die meisten Steinkohlekraftwerke in Deutschland stehen, ob in Gelsenkirchen-Scholven, Herne-Baukau, Datteln, Bergkamen-Heil, Werne-Stockum oder Hamm-Uentrop. Kaum sonst wo in der Republik bilden Kraftwerksbetreiber und Städte zugleich einen solchen kommunal-energiewirtschaftlichen Komplex mit Hunderttausenden Arbeitsplätzen und einer extremen Abhängigkeit der öffentlichen Haushalte von den Profiten der Stromproduktion.
„Es ist eine logische Folge der Energiewende, die wir ja alle anstreben: Je stärker wir unseren Strombedarf aus regenerativen Energien decken, desto kleiner müssen logischerweise die Anteile der fossilen Kraftwerke an der Stromerzeugung werden – und desto weniger Geld können sie verdienen“, doziert Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD). Nach seiner Schätzung hängen „rund 240 000 Arbeitsplätze“ in gut 250 Unternehmen in NRW von der Energiewirtschaft ab.
Die drei großen Entscheider über die Kommunen
Der Befund könnte im kommenden Bundestagswahlkampf brisant werden. Denn wenn die Energiewende weiterläuft wie bisher, droht sie ausgerechnet Deutschlands sozialdemokratische Herzkammer zu schädigen, die SPD-Hochburg Ruhrgebiet. Deren Bewohner bezahlen schon jetzt über die Ökostromumlage unterm Strich die Renditen der Solaranlagen auf den Dächern der Eigenheimbesitzer etwa in Bayern. Nun gefährden auch noch ausbleibende Überweisungen der Steinkohlekraftwerke die kommunalen Einnahmen – also die Finanzierung von Schulen, Kitas und Schwimmbädern.
Im Kern sind es drei große Player, die über das Wohlergehen wichtiger Kommunen im Pott entscheiden:
- An erster Stelle steht der Essener Energiekonzern RWE, dessen Kraftwerkspark durch die Ökostrommassen so eingeschränkt läuft, dass von 15 Milliarden Euro der jüngeren Investitionen derzeit zwei Drittel brachliegen. An RWE halten Kommunen in Nordrhein-Westfalen 25 Prozent, darunter die Städte Dortmund, Essen, Duisburg und Gelsenkirchen.
- An zweiter Stelle rangiert Trianel. Der Kunstname steht für einen Verbund von Stadtwerken wie Bochum, Unna und Lünen. Trianel tut sich schwer, etwa in Lünen wie geplant ein Steinkohlekraftwerk ans Netz zu bringen.
- Dritter im Bunde ist die Essener Steag, die mit der Unterauslastung mehrerer Steinkohlekraftwerke zu kämpfen hat. Eigentümer sind zu 49 Prozent der Essener Mischkonzern Evonik und zu 51 Prozent die Stadtwerke von Bochum, Dortmund, Essen, Oberhausen, Duisburg und Dinslaken.
Schlag gegen die Kämmerer
Noch können die Kommunen die schwache Auslastung der Steinkohlekraftwerke und den damit verbundenen Einnahmeausfall mit einigen Verrenkungen kaschieren. So fiel bei der Steag 2011 bei 3,1 Milliarden Euro Umsatz zwar nur noch ein Gewinn von fünf Millionen Euro an. Der reichte nicht einmal für die Rückzahlung der Kredite, die die Kommunen 2010 aufgenommen hatten, um Evonik für 650 Millionen Euro 51 Prozent an Steag abzukaufen. Trotzdem musste die neue Tochter auf Druck der Kommunen 109 Millionen Euro Dividende ausschütten. Das funktionierte nur, weil die Steag an die Reserven ging und Rücklagen auflöste.
Doch den Griff in die Steag-Kasse werden die Kämmerer nicht mehr oft wiederholen können. „Spätestens ab 2014 werden die Verluste der Steinkohlekraftwerke voll auf die Gemeindehaushalte durchschlagen“, sagt ein Kommunalpolitiker.
Die Steag ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Energiewende mittelfristig in die Stadtsäckel im Ruhrgebiet frisst. Viele ihrer neun Steinkohlekraftwerke produzierten 2012 nur 1000 bis 2000 Stunden Strom.
Im gesamten Ruhrgebiet sind Steinkohlekraftwerke unwirschaftlich
4000 bis 4500 Betriebsstunden im Jahr sind aber nötig, um auskömmliche Gewinne zu erwirtschaften. Vor allem zur Mittagszeit, wenn viel Strom benötigt wird, laufen die Anlagen wegen des Wind- und Sonnenstroms nur auf kleiner Flamme.
„Die niedrigere Zahl wirtschaftlicher Betriebsstunden führt zu starker Reduzierung der Wirtschaftlichkeit“, sagt ein Stadtwerke-Manager und macht die Rechnung auf: 2006 betrugen die Erlöse der Steinkohlemeiler während der Mittagsstunden gut 470 Euro pro Megawattstunde. 2011 seien es nur noch 74 Euro, 2012 nur 40 Euro.
Dazu kommt, dass der wichtige Steag-Kunde RWE mit den eigenen gering ausgelasteten Steinkohlekraftwerken Probleme hat und nach und nach die Bestellungen kappt. Vor zwei Jahren kündigte RWE an, den Vertrag über 1800 Megawatt nicht zu verlängern. 1600 Megawatt davon sind bis Ende 2012 ausgelaufen, die verbleibenden 200 Megawatt fallen in diesem Jahr weg. „Über die übrigen Verträge werden wir von Fall zu Fall entscheiden“, sagt ein RWE-Manager. Damit hat die Steag die Nachfrage nach einem Fünftel ihre Kraftwerkskapazität von 10 000 Megawatt verloren. Es seien andere potente Großkunden gefunden worden, versucht Steag-Chef Joachim Rumstadt die Gemüter zu beruhigen.
Zum Fiasko droht das Engagement bei der Steag für die Stadtwerke zu werden, weil Evonik das Recht hat, den Kommunen 2016 den verbliebenen Anteil an dem Kraftwerksbetreiber zu verkaufen. Die Kämmerer hoffen inzwischen, dass sich ein anderer potenter Investor findet, der das Paket von Evonik übernimmt. Im Sommer wollen sie einen Käufer präsentieren.
Die mangelnde Wirtschaftlichkeit der Steinkohlekraftwerke geht quer durch das Ruhrgebiet. Gekko in Hamm wird wohl in diesem Jahr nicht ans Netz gehen, weil der Betrieb zurzeit keine Aussicht auf Gewinne bietet. Dasselbe Problem hat das Kraftwerk Walsum 10 in Duisburg. Der Anschluss ans Netz war durch Baumängel immer wieder verzögert worden. Obwohl Eigentümer Steag versprach, dass Walsum 2013 in Betrieb geht, rechnet damit aus der Branche aufgrund der geringen Auslastung niemand. „Weder für Walsum noch für Gekko sehe ich, dass sie in nächster Zeit ihre Vollkosten erwirtschaften können“, sagt Christoph Weber, Professor für Energiewirtschaft an der Uni Duisburg-Essen.
Wie direkt die Ruhr-Kommunen von den sinkenden Erträgen der Kraftwerke abhängen, zeigt Dortmund. Stadtwerke-Chef Guntram Pehlke ist nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender der gebeutelten Steag, sondern mit dem Sechs-Prozent-Anteil seiner Kommune an RWE wichtigster kommunaler Aktionär. Doch die Geschäftsaussichten des Energieriesen sind nach Aussagen von RWE-Lenker Peter Terium schlecht. RWE hat 33 Milliarden Euro Schulden, das Nettoergebnis brach 2012 um 28 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro ein. Trotzdem schüttete RWE zwei Euro pro Aktie Dividende aus.
Bochum wird bald in der Klemme stecken
Dadurch verdiente etwa Dortmund mit seinen gut 22 Millionen Aktien genug, um die Verluste der Stadtwerke durch deren Verkehrsbetriebe mehr als auszugleichen. Bei 1,20 Euro pro Aktie wäre für die Dortmunder Stadtwerke die Schmerzgrenze erreicht, bei der sie Verluste schreiben. Damit das nicht passiert, muss RWE-Chef Terium Beteiligungen verkaufen, statt Schulden mithilfe der Gewinne abzubauen.
Besonders in die Bredouille droht eine Kommune wie Bochum zu geraten, die gleich an zwei Kraftwerksbetreibern beteiligt ist. So hält Stadtwerke-Chef Bernd Wilmert 15 Prozent am Rhein-Ruhr-Konsortium, das mit 51 Prozent das Sagen bei der Steag hat. Zugleich gehören ihm 18 Prozent am Verbund Trianel, in dem 55 Stadtwerke zusammengeschlossen sind.
Fehlender Goldesel
Noch macht Bochums Stadtkämmerer Manfred Busch auf Optimismus und sagt: „Erst kürzlich haben die Stadtwerke Bochum bestätigt, dass die vorgegebenen erhöhten Ausschüttungen auch erbracht werden.“ Fragt sich nur, wie lange noch. Denn das neue Kohlekraftwerk von Trianel in Lünen, das in diesem Herbst ans Netz gehen soll, fällt als Goldesel aus. „Die Verluste werden in den ersten Jahren höher ausfallen als ursprünglich erwartet“, sagt Trianel-Chef Sven Becker.
Den einzigen Ausweg, nicht nur vom Ende des Kohlebergbaus bis 2018, sondern auch von der Energiewende geschädigt zu werden, sehen die Pott-Kommunen in staatlicher Unterstützung. Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), der als Sprachrohr der Stadtwerke auftritt, hat dazu einen Vorschlag zur Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes vorgelegt. Die Parole gab VKU-Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck aus: „Kraftwerksleistung muss sich wieder lohnen.“
Künftig, so die Idee, sollen die Kraftwerke nicht allein die Arbeit bezahlt bekommen, die sie verrichten, sprich: den produzierten Strom. Hinzukommen soll eine Vergütung der Kapazität, die sie etwa für wind- und sonnenarme Zeiten vorhalten.
Das würde den Betreibern fossiler Kraftwerke auch dann Einnahmen bescheren, wenn sie von Ökostromanbietern zum Abschalten gezwungen werden. NRW-Wirtschaftsminister Duin macht bereits Stimmung in diese Richtung: „Es spricht vieles für eine Lösung, bei der wir versuchen, die erneuerbaren und die fossilen Kapazitäten aneinanderzukoppeln.“ Bezahlen würde die Rettung der Dividenden für die Stadtwerke natürlich wieder der Stromkunde.
Am Ende könnten dann sogar Investitionsruinen wie Gekko aus Hamm mittels staatlicher Regulierung noch zum Erfolgsmodell werden. Auch das wäre dann ein Beispiel für die Siegertypen im Kapitalismus – auf Ruhrgebietsart.