Ungemach droht Gazprom derzeit auch von der EU, die ein Verfahren wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung eröffnet hat. Zwar gibt sich EU-Energiekommissar Günther Oettinger diplomatisch. „Wir werden das Wettbewerbsrecht nicht missbrauchen“, sagte er gegenüber der WirtschaftsWoche. „Aber das Verfahren dient sicherlich der Autorität der EU. Es wurde eröffnet, weil es Klagen gab. Jetzt sind die Experten dran. Die haben keine politischen Vorgaben.“
Gleichwohl muss Gazprom fürchten, im Extremfall bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes als Strafe bezahlen zu müssen. Bis zum Sommer rechnet Oettinger mit einem Ergebnis: „Das ist ein Verfahren, das Priorität hat.“ Von Gazprom kommt dazu eher eine lakonische Stellungnahme: Das Verfahren sei politisch motiviert.
Welche Macht Gazprom in Europa besitzt, drang der breiten Öffentlichkeit bisher nur wenig ins Bewusstsein. Allenfalls die Spieler des Fußballbundesligaclubs Schalke 04 verhalfen dem Konzern mithilfe seines Namens auf den Trikots zu einer gewissen Bekanntheit. Was sich hinter dem blauen Logo mit der Gasflamme verbirgt, ist den meisten aber verborgen.
Und das ist Gewaltiges. Gazprom ist auf bestem Weg, Europa von allen Seiten her mit seinem Gas zu überschwemmen. Bald werden es gleich zwei große Pipelines sein, die in Westeuropa enden und die Unternehmen mit Russengas beglücken – zusätzlich zu dem Gewirr der Gasleitungen, die zurzeit über die Ukraine, die Slowakei, Tschechien bis zur bayrischen Gasverteilungsstelle in Waidhaus führen.
Die erste der beiden Röhren war die Ostsee-Pipeline Nord Stream, die 2012 in Betrieb ging und unter Umgehung von Polen bis nach Lubmin in Vorpommern führt, von wo aus das Gas in die Industriezentren Westeuropas fließt. Nun kommt von Südrussland die South-Stream-Pipeline hinzu. Im vergangenen Jahr war Baubeginn in Anapa, einem russischen Küstenort am Schwarzen Meer, nördlich der Winter-Olympia-Stadt Sotschi. Von 2016 an soll das Gas von Gazprom-Förderstätten durch das Schwarze Meer nach Bulgarien fließen.
South Stream wird die Marktposition von Gazprom in Europa deutlich stärken, und das aus zwei Gründen. Erstens werden von Bulgarien aus Abzweigungen nach Italien und Österreich bis nach Deutschland gebaut. Das Investitionsvolumen beträgt 25 Milliarden Euro. Nach Fertigstellung sollen durch die Pipeline jährlich 63 Milliarden Kubikmeter Erdgas fließen, die Hälfte des heutigen deutschen Jahresverbrauchs.
Zweitens bindet Gazprom mit den zangenförmigen Pipelines durch die Ostsee und durch das Schwarze Meer gleich mehrere westeuropäische Energiekonzerne an sich. Bei Nord Stream hat der Gigant, mit 51 Prozent größter und beherrschender Anteilseigner, vier Unternehmen aus der EU ins Boot geholt: die beiden deutschen Versorger E.On und Wintershall, eine Tochter des BASF-Konzerns, die jeweils 15,5 Prozent der Anteile besitzen. Hinzu kommen der holländische Konzern Gasunie und der französische Wettbewerber GDF Suez (je neun Prozent).
Ähnlich gut ist es Gazprom bei der künftigen South-Stream-Pipeline (Anteil: 50 Prozent) gelungen, namhafte europäische Großunternehmen wirtschaftlich einzubinden. So haben sich Italiens Energieriese Eni mit 20 Prozent sowie der staatlich dominierte französische Energiekonzern EDF und die BASF-Tochter Wintershall zu je 15 Prozent an der Röhre gen Südeuropa beteiligt. Damit dürften die Westkonzerne interessiert sein, Gazprom anderen Gaslieferanten vorzuziehen, sollten die gemeinsam betriebenen Pipelines nicht ausgelastet sein.