Die Energiewende fordert ihren Tribut: Genau ein Jahr nach dem Erzrivalen E.On gibt nun auch der zweitgrößte deutsche Energiekonzern RWE sein jahrzehntealtes Geschäftsmodell auf. Künftig trennen die Essener das Zukunftsgeschäft von der klassischen Stromerzeugung aus großen Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken. Vorstandschef Peter Terium wirbt eindringlich um Zustimmung, er spricht von einem logischen und großen strategischen Schritt.
Mit dem geplanten Börsengang der Zukunftsgeschäfte rund um Ökostrom, Netze und Energievertrieb soll die „grüne“ Sparte neue finanzielle Spielräume für das erhoffte Wachstum erhalten. Doch das wird zunehmend schwieriger – auch wenn der Ökostrom-Boom derzeit noch anhält.
Wind und Sonne, Biomasse und Wasser deckten im vergangenen Jahr 28 Prozent des Strombedarfs in Deutschland. 2015 dürfte der Wert erneut steigen. Das Ziel der Bundesregierung, den Anteil der regenerativen Stromquellen bis zum Jahr 2020 auf 35 Prozent zu hieven rückt damit näher. Als im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) an den Start ging, waren es nicht einmal sieben Prozent. Das Geschäft mit Ökostrom machen aber nicht die großen Energiekonzerne, sondern ganz neue Wettbewerber.
Den deutschen Konzernen fehlen die Ideen
Bislang sind weder Peter Terium (RWE), Johannes Teyssen (E.On) noch Frank Mastiaux, Chef des Energieversorgers EnbW mit besonders pfiffigen Ideen aufgefallen, wie und wann sie jenseits ihres dahinschmelzenden Kerngeschäfts künftig Kohle verdienen wollen.
Das ernsthafte Bemühen, den Schritt in die neue Zeit zu schaffen, ist den Stromkonzernen nicht abzusprechen. Visionen von neuen Zukunftsgeschäften haben sie reichlich: von neuen Kundenangeboten rund um Strombeschaffung, Energieeffizienz, Hausautomatisierung und den neuen Möglichkeiten, Verbrauch, Transport und Einspeisung von Strom intelligent zu steuern. Allein die Stromversorgung auf grün umzustellen, wird nicht reichen. Dafür haben die Konzerne viel zu viel Zeit vergeudet.
E.On bringt es heute beispielsweise konzernweit auf eine installierte Solarkapazität von rund 80 Megawatt. Das ist weniger als ein Zehntel eines einzigen mittelgroßen Kernkraftwerks. Aufstrebende mittelständische Unternehmen wie etwa Capital Stage, ein mittelständischer Betreiber von Solar- und Windparks, hat alleine in Deutschland Solarparks mit mehr als 140 Megawatt in Betrieb. Europaweit kommen die Hamburger auf fast 450 Megawatt.
Deutschlands Energieriesen im Vergleich
Mit über 122 Milliarden Euro Umsatz und weltweiten Kapazitäten zur Stromerzeugung von 61 Gigawatt im Jahr 2013 ist Eon Deutschlands größter Energiekonzern. Doch den Düsseldorfern machen die Folgen der Energiewende zu schaffen. Das klassische Stromgeschäft wirft wegen des wachsenden Anteils von Sonnen- und Windenergie immer weniger Geld ab. Zudem häufte Eon durch seine Expansion einen Schuldenberg von 31 Milliarden Euro an. Ende 2013 hatte der Konzern 62.200 Mitarbeiter.
Die Gewinne des zweitgrößten deutschen Versorgers sind wegen des niedrigen Börsenstrompreises 2014 rapide geschrumpft. Das betriebliche Ergebnis sank auf 4 Milliarden Euro und lag 25 Prozent unter dem Vorjahreswert. Der Außenumsatz des Konzerns ging von 52,4 auf 48,5 Milliarden Euro zurück. Die Nettoverschuldung von RWE bewegte sich 2014 mit 31 Milliarden Euro auf Vorjahresniveau. Ende 2014 beschäftigten die Essener weltweit knapp 59.800 Mitarbeiter.
Die Nummer drei der Branche will zum Treiber der Energiewende werden. Ende 2013 erzeugte EnBW knapp 20 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien wie Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. Bis 2020 soll der Anteil 40 Prozent betragen. Die Karlsruher haben rund 20.000 Mitarbeiter und einen Umsatz von über 20 Milliarden Euro. Unrentable Kraftwerke und niedrige Strompreise sorgten unter dem Strich in den ersten neun Monaten 2014 für ein Minus von über 770 Millionen Euro.
Fallende Preise machten dem schwedischen Konzern 2014 zu schaffen. Der Umsatz sank auf 166 Milliarden Kronen (18 Milliarden Euro). Auch das bereinigte Betriebsergebnis von 2,6 Milliarden Euro fiel geringer aus - teils wegen Rücklagen für den deutschen Atomausstieg. 2015 will das Staatsunternehmen aus Stockholm mit 30.200 Mitarbeitern einen strikten Sparkurs fahren. In Deutschland erwägt Vattenfall einen Verkauf seiner Braunkohle-Sparte in Brandenburg und Sachsen.
Vergleichsweise gut aufgestellt sind die Düsseldorfer dagegen bei Meereswindparks. In diesem kapitalintensiven Geschäft nennt sich E.On weltweit drittgrößter Offshore Windkraftbetreiber. Derzeit baut der Düsseldorfer Energiekonzern den Windpark Rampion mit 400 Megawatt Kapazität in der britischen Nordsee, bereitet die Investitionsentscheidung für den Mühlenpark Arkona Becken Südost (400 MW) in der deutschen Ostsee vor und bietet mit einem Partner für den Offshore-Park Kriegers Flak mit 600 Megawatt in der dänischen Ostsee.
Auch RWE hat in Sachen Meereswindparks aufgerüstet. In diesem Jahr haben die Essener die beiden Offshoreparks Gwynt y Môr in der britischen Ostsee mit rund 570 Megawatt und Nordsee Ost mit 295 Megawatt in Betrieb genommen.
Doch die Wachstumsaussichten, vor allem in Deutschland, aber auch im Ausland sind begrenzt. Verantwortlich dafür ist die Novelle des EEG. Im vergangenen Sommer hat die Bundesregierung beschlossen den Ausbau der Offshore-Windkraft massiv zu deckeln. Bis 2020 sollen nicht mehr zehn, sondern nur noch 6,5 Gigawatt Leistung offshore gebaut werden. Das entspricht etwa der Leistung von sechs Atomkraftwerken. Bis 2030 sollen dann 15 Gigawatt installiert sein. Auf diese Weise will Berlin verhindern, dass die Strompreise weiter steigen.
Die Richtung für die kommenden Jahre steht fest
Ob beim Marktführer E.On, beim Branchenzweiten RWE oder bei EnBW, die Richtung für die kommenden Jahre steht mehr oder weniger fest: der Einstieg in die dezentrale Energieversorgung, vom Gewerbe bis zur Wohnsiedlung, dazu Dienstleistungen zur effizienteren Stromnutzung. Doch es ist wie bei der Fabel vom Hasen und dem Igel. Wo immer auch die Stromkonzerne versuchen Fuß zu fassen, sind andere schon da oder drängen massiv in den Markt.
Beispiel Pacht von Solarmodulen
Auf Wunsch montiert ein Energieversorger kostenlos eine Solaranlage aufs Hausdach, die bevorzugt den Stromverbrauch im Haus deckt. Der Hausbesitzer zahlt für die Anlage eine monatliche Pachtgebühr, statt einmaliger Installationskosten in Höhe von mehreren tausend Euro. Kann der Eigenheimbesitzer den Ökostrom nicht verbrauchen, fließt er ins öffentliche Stromnetz und wird mit rund 12 Cent je Kilowattstunde vergütet. Diese und ähnliche Modelle werden mittlerweile bundesweit fast von jedem Stadtwerk angeboten. Ein ähnliches Leasingmodell, allerdings mit der Option auf einen Batteriespeicher, bietet auch das Hamburger Startup DZ4 an. Das Jungunternehmen war einer der ersten Anbieter eines Pachtmodells in Deutschland und scheint damit nun Nachahmer zu finden.
Beispiel Smart Home
Im Zusammenwirken von Haushaltsgeräten, Stromzählern und Steuerungsgeräten mit dem Internet, dem vernetzten Zuhause, sehen viele Unternehmen ein lukratives Geschäft für die Zukunft. Der US-Internetkonzern Google etwa hat sich dafür eigens den Rauchmelderhersteller Nest zugelegt. Diese Systeme greifen über eine Schaltzentrale auf verschiedenste Geräte wie Lichtanlagen, Heizung, Kameras, Türen oder Bewegungsmelder zu. Und Eon, RWE und EnbW sind auch hier nur einer von vielen. Konzerne wie Deutsche Telekom, Rademacher Geräte-Elektronik aus Westfalen, der Aachener Netzwerkspezialist Devolo oder EQ3 aus dem ostfriesischen Leer bieten umfangreiche Lösungen.
Ohnehin scheinen die Stromkonzerne in diesem sensiblen Geschäft schlechte Karten zu haben. In einer aktuellen Studie von November über die „Absatzchancen von Energiedienstleistungen“ kommt das Meinungsforschungsinstituts YouGov zu dem Ergebnis, dass bei konkretem Interesse an einer Smart-Home-Anwendung sich Wohneigentümer derzeit am ehesten an Handwerksbetriebe ihres Vertrauens (31 Prozent) und spezialisierte Sicherheitsfirmen (24 Prozent) wenden.
Der örtliche Energieversorger sei nur für sieben Prozent der Ansprechpartner der Wahl, größere Energieversorger, wie beispielsweise RWE, E.On, EnBW oder Vattenfall, und Telekommunikationsanbietern, wie der Deutschen Telekom, Vodafone oder O2, würden jeweils nur fünf Prozent der Wohneigentümer am ehesten vertrauen, weniger noch als Technologieunternehmen wie beispielsweise Siemens (10 Prozent).
Beispiel Batterien Immer mehr Solaranlagen kommen in die Jahre und fallen aus der EEG-Förderung heraus. Statt den Sonnenstrom für aktuell 12 Cent einzuspeisen und Strom für 25 Cent zu kaufen, streben viele Solaranlagenbetreiber nun die maximale Selbstnutzung an und installieren einen Stromspeicher. Etwa einen Akku der Sonnenbatterie GmbH aus dem bayerischen Wilpoldsried bei Kempten im Allgäu. Das Unternehmen mit rund 150 Mitarbeitern und 30 Millionen Euro Umsatz wird vom ehemaligen Tesla-Deutschlandchef Philipp Schröder geführt und betreut rund 8000 Kunden.
Und dessen ehemaliger Arbeitgeber drängt ebenfalls in den Markt. Derzeit ist Tesla dabei seine Gigawattfabrik für Batteriespeicher im US-Bundesstaat Nevada zu vollenden und hochzufahren. Deutschland sieht das US-Unternehmen aber als Schlüsselmarkt für seine im Frühjahr vorgestellten neuen Batteriespeichersysteme. Offenbar befindet sich Tesla in Verhandlungen mit der Bundesregierung über den Bau eines Batteriewerks in Deutschland
Schlechte Chancen für deutsche Energiekonzerne in GB
Die Chancen, im Ausland zu wachsen sind für die beiden deutschen Versorger E.On und RWE nicht gut. In Großbritannien trennten sich die Konzerne von ihrem Joint Venture Horizon und verkauften es an die japanische Hitachi-Gruppe. Von einer Renaissance der Kernenergie, die von der britischen Regierung mit Milliarden subventioniert wird, werden sie auf der Insel nicht profitieren können.
Die Atomklagen der Energiekonzerne
E.On, RWE und Vattenfall haben gegen den 2011 beschlossenen beschleunigten Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Das Gericht will noch 2015 entscheiden. Den Konzernen geht es nicht darum, den bis Ende 2022 geplanten Ausstieg rückgängig zu machen. Sie fordern jedoch Schadenersatz, da die Bundesregierung wenige Monate vor der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima die Laufzeiten der Meiler noch verlängert hatte. Sollte das Verfassungsgericht den Unternehmen Recht geben, müssten diese den Schadenersatz in weiteren Verfahren erstreiten. Eon fordert über acht Milliarden Euro. RWE hat keine Zahlen genannt, die Analysten der Deutschen Bank gehen von sechs Milliarden Euro aus. Vattenfall will 4,7 Milliarden Euro und klagt zudem vor einem Schiedsgericht in den USA.
E.On, RWE und EnBW klagen gegen Bund und Länder wegen des nach der Atomkatastrophe von Fukushima verhängten dreimonatigen Betriebsverbots für die sieben ältesten der damals 17 deutschen AKWs plus dem damals geschlossenen AKW Krümmel. Das Moratorium lief von März bis Juni 2011 und mündete schließlich im August im endgültigen Ausstiegsbeschluss. Ursprünglich hatte lediglich RWE geklagt. Nachdem der Energieriese vor Gericht Recht bekam, zogen Eon und EnBW nach. Eon klagt auf Schadenersatz in Höhe von 380 Millionen Euro. RWE fordert 235 Millionen Euro, EnBW einen „niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“.
E.On, RWE und EnBW klagen auf eine Befreiung und Rückzahlung der 2011 eingeführten Brennelementesteuer. Diese wird noch bis 2016 erhoben. Eon hat nach eigenen Angaben 2,3 Milliarden Euro an den Bund gezahlt, RWE 1,23 Milliarden Euro und EnBW 1,1 Milliarden Euro. Die Verfahren sind vor dem Bundesverfassungsgericht und der Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig. Der Generalanwalt des EuGH hält die Steuer jedoch mit europäischem Recht vereinbar. Seine Einschätzung ist für das Gericht aber nicht bindend.
E.On hat im Oktober 2014 wegen der im Atomgesetz vorgesehenen standortnahen Zwischenlagerung wieder aufbereiteter Atomabfälle, die aus dem Ausland zurückgeholt werden, geklagt. Die Klage richtet sich gegen die Länder Niedersachsen und Bayern sowie den Bund. Vattenfall hat im selben Zusammenhang gegen Schleswig-Holstein und den Bund geklagt. Auch RWE hat Klage eingereicht. Es geht um Mehrkosten für die Betreiber, nachdem es keine Transporte dieser Abfälle mehr in das Lager nach Gorleben geben soll. Die Konzerne halten Gorleben jedoch weiter für den richtigen Standort.
Zudem kündigte Energieministerin Amber Rudd kürzlich an, dass nach 2025 keiner der klimaschädlichen Kohlemeiler in Großbritannien mehr Strom erzeugen soll. Doch statt auf Wind- und Solarenergie zu setzen, puscht sie nun auf den Bau neuer Atom- und Gaskraftwerke. Das ist für Eon und RWE, die in Großbritannien in den letzten Jahren viel in On- als auch Offshore-Windparks investiert haben, keine gute Nachricht, denn hier will die Regierung Subventionen kürzen. Sie will verhindern, dass höhere Öko-Abgaben die Stromrechnungen der Briten verteuern: deshalb werden die Subventionen für neue Windräder auf dem Land gestrichen und für Meereswindparks künftig reduziert.
Derzeit stammen bei E.On knapp 34 Prozent der britischen Stromerzeugung aus Kohlekraftwerken und knapp 32 Prozent aus Gas, 16,5 Prozent aus erneuerbaren Energien. Eon betreibt 20 Windparks auf dem Land (onshore) und nur drei im Meer (off-shore).
Sanierungsfall N-Power
Die Geschäfte der beiden Versorger im Inselreich zeigen Schwächen: Bei RWE hat sich die britische Tochter N-Power - mit mehr als fünf Millionen Strom- und Gaskunden, die zweitgrößte Niederlassung des Essener Energiekonzerns - zum Sanierungsfall entwickelt. N-Power-Chef Paul Massara wurde deshalb im August abrupt gefeuert und vom bisherigen Innogy-Manager Paul Coffey ersetzt, der erst im April nach Großbritannien versetzt worden war. Grund war das um 60 Prozent niedrigeren Betriebsergebnis. In den ersten neun Monaten rutschte die britische Tochter dann gar in die roten Zahlen.
Auch der Ausblick ist nicht gut, denn N-Power verlor im bisherigen Jahresverlauf aufgrund der missglückten Einführung einer neuen Software 200.000 britische Kunden. Viele von ihnen waren über fehlerhafte Rechnungen und Doppelbuchungen erzürnt. Daher bot der Konzern günstigere Tarife an, was die Einnahmen noch weiter drückte. Generell ist Großbritannien wegen des harten Wettbewerbs ein schwieriger Markt.
Bußgelder in Millionenhöhe für E.On
Das bekommt auch der Düsseldorfer E.On-Konzern zu spüren, der in Großbritannien 2002 die britische Firma Powergen übernommen hatte. 2014 musste E.On insgesamt 5,4 Milliarden Euro abschreiben, einen Großteil davon im Kraftwerksgeschäft in Großbritannien. In den ersten neun Monaten dieses Jahres verringerte sich das Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen (EBITDA) dort um acht Millionen Euro auf 204 Millionen Euro, was die Konzernführung mit geringeren Margen und höheren Kosten für Regulierung begründete.
Die Probleme gehen noch weiter: Anfang November hatte die britische Aufsichtsbehörde Ofgem E.On ein Bußgeld in Höhe von sieben Millionen Pfund aufgebrummt, weil der Versorger es bei Zweidritteln seiner Kunden versäumt hatte, moderne Zähler einzubauen. Ofgem-Manager Anthony Pygram warnte den Konzern vor noch höheren Strafgeldern und einem Betriebsverbot, wenn er seinen Kundenservice nicht verbessere. Im April hatte Ofgem gegen E.On wegen überteuerter und unzulässiger Gebühren bereits eine Strafe von 7,75 Millionen Pfund verhängt.