Solarenergie Vision Desertec mit neuer Strahlkraft?

Die Gesellschafter und Partner der Industrieinitiative Desertec tagen in Kassel. Der Optimismus ist dem Realitätssinn gewichen. Möglicherweise ist das eine neue Chance für das Megaprojekt in der Wüste.

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Aus dem Gemeinschaftsunternehmen Desertec sind inzwischen viele große Investoren ausgestiegen. Wie geht es nun weiter? Quelle: AP

Es wird nicht mehr sehr lange dauern, bis die afrikanische Wüste Europa mit Strom versorgt. Riesige Sonnenkollektoren sollten dort aufgestellt werden, wo die Sonne am erbarmungslosesten brennt, in der Sahara. Das war seit Juni 2009 eine euphorische Vision der Desertec-Gründer und einer mit ihnen verbundenen Industrieinitiative, in der sich vor allem deutsche Konzerne zusammengeschlossen haben. Den nordafrikanischen Staaten, allen voran Marokko, sollte die Investition in riesige Solaranlagen schmackhaft gemacht werden, die Strom erzeugen und über neue Unterwasserleitungen durch das Mittelmeer ins industrielle Herz Europas schicken.

Das war lange vor Fukushima und der deutschen Energiewende, insofern sehr weitsichtig. Doch dann brach Zwist aus unter den Gründern in Hamburg  und der DII in München. Die DII, die Desertec-Industrie-Initiative, hatte bisher eine nicht klar definierte Rolle. Sie wusste vor allem, was sie nicht sollte: Keine Investition in den nordafrikanischen Staaten selbst anschieben, kein Geld einsammeln, keine Aufträge verteilen. Aber sie sollte Rahmenbedingungen schaffen für die "Ermöglichung", so formulierte es vor kurzem DII-Geschäftsführer Paul van Son, von Investitionen in Solarkraftwerke in Nordafrika.

Ein Projekt der Superlative

Die Zerstrittenheit zwischen Stiftern in Hamburg und Industrieinitiative in München lässt sich auf den zugespitzten Satz reduzieren: Gutmenschen in Hamburg kämpften gegen industrieerfahrene Realisten in München. Wer gewinnt? Wer kann der im Streit verfahrenen Kompetenz- und Richtungsdiskussion eine neue Linie geben. Wer gibt dem Desertec-Großprojekt neuen Schub und neue Strahlkraft?

Zurück zum Jahr 2009. Als das Desertec-Projekt bekannt wurde, überschlugen sich die Nachrichten geradezu mit Superlativen. Ging es nach den Chefs der führenden deutschen Konzerne, darunter E.On, RWE, Siemens, aber auch Deutsche Bank und Munich Re, sollten in den kommenden zwei Jahrzehnten die ungeheure Summe von 400 Milliarden Euro aufgebracht werden, um in der Sahara Solarkraftwerke zu bauen. Und die Vergleiche wurden nicht zu niedrig angesetzt: "Desertec ist das größte friedliche Gemeinschaftsprojekt, das deutsche Unternehmen jemals in Angriff genommen haben", sagte damals ein Brancheninsider, vergleichbar allenfalls mit der Bagdad-Bahn, der ab 1903 vom Kaiserreich geplanten Eisenbahnverbindung von Berlin über die Türkei bis zum Persischen Golf, an deren Bau und Finanzierung ebenfalls Siemens und die Deutsche Bank beteiligt waren.

Die großen Unternehmen stiegen aus

Inzwischen ist Siemens ausgestiegen, von der Deutschen Bank hört man in Sachen Desertec nichts mehr. Auch Bosch ging auf Distanz, wenn auch mehr im Hintergrund. Konkret passiert ist bei DII in der Zwischenzeit wenig. Die Stifter in Hamburg stellten plötzlich eigene Projekte vor, ohne Einbindung der Industrieinitiative. Dann stieg sogar der Ideenpionier des Wüstenstromprojekts aus, die Desertec-Stiftung. Übrig blieb eine ziemlich ratlose DII-Industrieinitiative, zu der noch 19 Gesellschafter gehören.

Nordafrika braucht Desertec nicht

Die Energiekonzerne RWE und E.On gehören noch dazu, die aber seit der Energiewende eigene Probleme, die Erfindung eines neuen Geschäftsmodells ohne Atomkraft, bewältigen müssen. Sonnenkraftwerke in der Wüste könnten theoretisch dazu gehören. Aber es fehlt für solche Megaprojekte das Geld, die konventionellen Kraftwerke der deutschen Versorger reißen tiefe Löcher in die Bilanz. Die Manager haben mit hausgemacht Problemen zu kämpfen.

Wie geht es weiter mit Desertec? Das ist die große Frage heute und morgen in Kassel. Die Mitgliedsbeiträge der Gesellschafter sind nicht gerade hoch, das Budget kommt auf knapp sechs Millionen Euro. Immerhin reichte es für eine Machbarkeitsstudie, die DII zusammen mit dem Kieler Institut für Weltwirtschaft erstellt hat. Das Votum der Kieler Wirtschaftsforscher lautet demnach: "Der nahezu komplette Umbau der Stromversorgung auf erneuerbare Energien ist möglich und keineswegs gesamtwirtschaftlich irrational", urteilten sie. 

Es sah aber bisher danach aus, als ob die nordafrikanischen Länder sehr gut auch ohne die DII auskommen. Solarkollektoren großen Stils werden schon jetzt in den nordafrikanischen Staaten gebaut. Marokko baut zur Zeit ein solarthermisches Kraftwerk in Quarzazate. Saudi Arabien baute bereits Pilotanlagen in der Wüste. Der Export soll durch eine neue Leitung in der Meerenge von Gibraltar nach Europa erfolgen, dort gibt es bereits eine alte Leitung, die aber nicht ausreicht für die avisierten Exportmengen.

Problem ist vor allem aber auch noch das spanische Netz, das durch die gewaltige Menge an Solarstrom arg belastet sein würde. Die Spanier wollen sich die Auslegung ihres Netzes für solche Durchleitung beispielsweise nach Deutschland natürlich bezahlen lassen. Es ist noch längst nicht ausgemacht, dass die gewaltigen Strommengen durch Spanien nach Mitteleuropa fließen können. Auch eine neue, immer wieder angekündigte Unterwasserstromleitung von Tunis nach Rom ist über das Stadium der Planung und der visionären Ankündigung noch nicht hinausgekommen.

Wohlmeinende DII-Auguren haben bereits den Satz geprägt: Große Visionen schaffen kleine Projekte. "Wenn diese Einsicht der Neustart des Desertec-Projektes der Industrie ist,  dann haben wir viel gewonnen", sagt ein Industrievertreter.

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