Streit um South Stream Eine Pipeline als politische Waffe

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Gazprom hält sich nicht an EU-Regeln

Konkret stört sich Brüssel an mehreren Punkten: Gazprom agiert gleichermaßen als Gaslieferant und als Betreiber der Pipeline, was den EU-Regeln für den Energiebinnenmarkt widerspricht. Außerdem war der Auftrag für das Projekt nicht ordnungsgemäß ausgeschrieben, meint Oettinger. Zudem müsse gewährleistet sein, dass andere Lieferanten ebenfalls Zugang zu der Leitung bekommen. Inzwischen hat Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet; im letzten Schritt könnte die EU-Kommission hohe Geldstrafen gegen Bulgarien verhängen. „Wir meinen das ernst“, sagt der scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und kündigt an, dass bei Rechtsverstößen auch Verfahren gegen andere Transitländer folgen würden.

Sorgen in Bulgarien

Angesichts der Ukraine-Krise haben sich die Töne aus Brüssel zuletzt weiter verschärft. Zuvor hatte Oettinger eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der Russland und die EU die rechtlichen Probleme aus der Welt schaffen wollten. Doch seit Anfang April ist die Gruppe nicht mehr zusammengekommen. „In der jetzigen Lage werden wir sicher nicht zu einem politischen Abschluss unserer Verhandlungen kommen“, sagt Oettinger.

Besonders unangenehm ist dieser Streit für die Bulgaren, die sich von der EU unverstanden fühlen. An einem heißen Sommernachmittag sitzt Yavor Kuyumdziev auf der Terrasse des Radisson-Hotels in Sofia. Von hier geht der Blick über einen weitläufigen Platz mit Kopfsteinpflaster hinüber zum Parlamentsgebäude, dem Arbeitsplatz von Kuyumdziev. Der Mann ist stellvertretender Vorsitzender des Energieausschusses im bulgarischen Parlament – und ein vehementer Verfechter der geplanten Pipeline. „So wie das Projekt geplant ist, verletzt es nicht eine einzige EU-Richtlinie“, behauptet der Bulgare mit Blick auf die kritisierte Dominanz von Gazprom. South Stream sei ja nicht eine einzelne Pipeline. Vielmehr bestehe das Projekt aus mehreren Röhren, und in jedem Land, durch das die Leitung führe, seien die Beteiligungsverhältnisse an South Stream anders. Das stimmt. Allerdings hält in jedem einzelnen Land Gazprom mindestens 50 Prozent an der jeweiligen Projektgesellschaft.

Kuyumdziev verspricht, dass auch andere Gaserzeuger die neue Leitung nutzen dürften. „Sie müssen nur ihre eigene Röhre bis zum Knotenpunkt Varna an der bulgarischen Schwarzmeerküste bauen und können dann dort einspeisen“– ein Szenario, das Experten für unwahrscheinlich halten. Das Projekt South Stream sei nicht endgültig gestoppt, glaubt der Politiker, und das sei ja auch für Deutschland wichtig. „An der Pipeline hängen viele deutsche Arbeitsplätze.“

Was die Russen in der Ostukraine wollen
Greift das russische Militär ein?Das russische Militär positioniert sich in der Ostukraine. Die Spezialeinheiten der russischen Armee stehen den pro-russischen Separatisten bei, die einen Anschluss an Russland wollen. Die Regierung in Moskau kann sich unterdessen überlegen, wie man ein weiteres Krim-Szenario erreichen könnte. 45.000 Soldaten sind bereits an der Grenze stationiert. „Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Moskau müsse seine Truppen, zu denen auch Spezialeinheiten gehörten, von der ukrainischen Grenze zurückziehen, forderte der Nato-Chef. Quelle: AP
Rund 45.000 russische Soldaten - „Dies sind beachtliche Streitkräfte von hoher Einsatzbereitschaft. Und sie sind in der Lage, sich sehr rasch zu bewegen“, sagte der britische Brigadegeneral Gary Deakin, Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons. Nach Nato-Angaben sind an mehr als 100 Standorten Artillerie, Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge sowie die dazugehörenden Logistikeinheiten stationiert. Die meisten Einheiten befänden sich in provisorischen Unterkünften, Flugzeuge und Fahrzeuge stünden im Freien. „Das sind keine Truppen, die sich immer dort befinden, wo sie gerade sind“, sagte Brigadegeneral Deakin. Die Einheiten würden seit drei bis vier Wochen auch nicht - etwa zu Manöverzwecken - bewegt: „Es ist sehr ungewöhnlich, eine so große Truppe so lange einfach in der Landschaft stehen zu lassen.“ Quelle: REUTERS
Kämpfen russische Soldaten bereits mit?Viele sehen die russischen Soldaten als eine erneute Provokation aus Moskau. Auch US-Außenminister Kerry beschuldigt Putin. Er spricht von "russischen Provokateuren und Agenten". Viele der Separatisten sind schwer bewaffnet. Innenminister Awakow spricht von einer "Aggression der Russischen Föderation". Spiegel Online berichtet von Internet-Videos, in denen Truppen zu sehen sind, die über eine militärische Ausbildung verfügen. Diese Kämpfer der selbsternannten "Armee des Süd-Ostens" gingen bei dem Sturm der Polizei-Einheit in Slawjansk sehr geplant vor. Quelle: AP
Moskau dementiert Kiew wirft Russland offen „Aggression“ in der russisch geprägten Region vor. Moskau wolle das Gebiet durch bezahlte Provokateure destabilisieren und dann dort einmarschieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies mit Nachdruck zurück. Er sagte, das russische Militärs sei nicht aktiv. Während der Krim-Krise hatte Putin allerdings genau das auch behauptet. Dennoch hat Moskau offiziell offenbar noch keine regulären Einheiten in die Ostukraine verlegt. Quelle: REUTERS
Was will Russland?Moskau macht sich in der Ostukraine für die Rechte der russischsprachigen Bürger stark. Der Anteil in Donezk liegt bei etwa 70 Prozent. Spiegel Online berichtet, dass dort 33 Prozent aller Bewohner einen Anschluss an Russland befürworten. Die Regierung in Kiew hat nun ein hartes Vorgehen angekündigt. Das wiederum könnte Moskau zu weiteren Schritten provozieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, ein gewaltsames Eingreifen der Regierung in Kiew gefährde ein für Donnerstag in Genf geplantes Treffen von russischen, ukrainischen, US- und EU-Vertretern. Quelle: REUTERS
Folgen für Russland Wenn das russische Militär eingreift, könnte das zu weiteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland führen. Das macht eine Intervention Moskaus unwahrscheinlich. "Es geht nicht um Annexion, sondern darum, zu zeigen, dass die aktuelle ukrainische Führung nicht in der Lage ist, für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sagt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations, gegenüber Spiegel Online. Quelle: REUTERS

Zumindest da hat er nicht ganz unrecht. Die an dem Großprojekt beteiligten deutschen Unternehmen beobachten die Entwicklung mit wachsender Nervosität. Siemens etwa liefert für den fast 1000 Kilometer langen Offshore-Teil im Schwarzen Meer unter anderem Automatisierungs- und Telekomsysteme. An Land bestückt der Technologiekonzern die Pipeline mit Kompressorstationen. Die sorgen dafür, dass das Gas mit gleichbleibendem Druck fließt. Insgesamt geht es für Siemens um Aufträge im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Von einer „kurzzeitigen Verzögerung“, spricht ein Siemens-Manager in Österreich, der das Projekt betreut. Am Ende werde die Pipeline ganz sicher gebaut.

Das Prinzip Hoffnung regiert auch bei der BASF-Tochter Wintershall. Das Unternehmen aus Kassel ist zu 15 Prozent an der Gesellschaft für den Bau des Offshore-Teils von South Stream beteiligt und investiert rund 1,5 Milliarden Euro. Wintershall-Vorstandsmitglied Mario Mehren sieht „die derzeitigen Schwierigkeiten als ein vorübergehendes Problem“ und schiebt Brüssel die Schuld zu. Die EU-Kommission habe das Projekt „politisch aufgeladen“, giftet Mehren. „Das ist für die Umsetzung des Vorhabens nicht hilfreich.“

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