Strom, Öl, Gas Die Energie-Preisspirale

Die Preissteigerungen für Strom, Gas und Benzin werden zum ernsten Problem für den Standort Deutschland. Forciert vom Atomausstieg, von zu wenig Wettbewerb unter den Konzernen sowie von unbekümmerten Politikern, nagen die Ausgaben für Energie am Wohlstand breiter Schichten und an der Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen.

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Energiepreis-Schock: Die Preise für Strom, Öl und Gas sind geradezu explodiert Quelle: Getty Images

Die Transparente waren gemalt. "Wir wollen nicht die Opfer der Energiewende sein", stand auf einem der Plakate, die sich die Belegschaft von E.On in Hannover hatte einfallen lassen. Die Aktivisten der beiden Gewerkschaften Verdi und IG BCE planten Sternmärsche an allen großen Standorten, die der Düsseldorfer Energiekonzern in Deutschland unterhält. Ziel der Arbeiterführer war es, gegen mögliche betriebsbedingte Kündigungen auf die Straße zu gehen. 6000 Stellen will E.On-Chef Johannes Teyssen in Deutschland streichen, sein Kollege Jürgen Großmann vom Essener Wettbewerber RWE sogar 8000. Das weckte Erinnerungen an die Stahl- und Bergarbeiter, die vor einem Vierteljahrhundert mit Großdemonstrationen gegen Zechen- und Werksschließungen Mitleid in der Bevölkerung erregten und die Öffentlichkeit mobilisierten.

Doch die geplante Neuauflage des Massenprotests durch E.On- und RWE-Mitarbeiter vor Weihnachten fällt aus. Derlei solle "tunlichst unterbleiben", heißt es in einem Papier der Gewerkschaften, das der WirtschaftsWoche vorliegt. Denn, so die Begründung: "Mitarbeiter von Energieversorgern können in Zeiten immer teurerer Energie kaum auf Mitgefühl der Öffentlichkeit setzen, sondern müssten sogar eher mit Häme rechnen."

Preistreiber vom Dienst

Warum die Energiepreise steigen
Euroscheine stecken an einer Steckdose Quelle: dpa
Logos der vier großen Engergiekonzerne EnBW (l, oben), RWE (r, oben), Vattenfall (l, unten) und Eon (r, unten) Quelle: dpa
Ölpumpen stehen im Sonnenuntergang auf einem Ölfeld bei Los Angeles Quelle: dpa
Bild einer Raffinerie auf einem Bildschirm der Firma Gazprom Quelle: REUTERS
Ein Mitarbeiter eines Heizöllieferanten bereitet die Betankung eines Mehrfamilienhauses mit Heizöl vor Quelle: dpa
Ein Tankwagenfahrer beliefert einen Privathaushalt mit Heizöl Quelle: AP
Ein Monteur verkabelt einen Strommast Quelle: dapd

Drastische Preissteigerungen

Angst vor ätzendem Spott anstelle warmer Empathie, und das bei Tausenden, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten? Das ebenso stille wie ungewöhnliche Kalkül der Werktätigen bei E.On und RWE markiert eine neue Eskalationsstufe in einer Entwicklung, die sich zu einem ernsten Problem auswächst – der ungezügelte Anstieg der Energiepreise. Ob Strom oder Sprit, Öl oder Gas, praktisch jede Energieart verteuerte sich in den vergangenen fünf Jahren drastisch und dürfte sich nach Meinung der meisten Experten in naher Zukunft weiter verteuern.

  • Geradezu explosionsartig steigt der Preis für Strom, der seit 2006 um gut ein Drittel nach oben schnellte und allein im kommenden Jahr durchschnittlich um mindestens vier Prozent steigen wird.
  • Der Gaspreis legte im gleichen Zeitraum zwar nur um zehn Prozent zu. Dafür wollen die Versorger bis März 2012 nun gleich acht bis zehn Prozent auf einmal draufschlagen, so viel wie in den vergangenen fünf Jahren insgesamt.
  • Traurige Preisrekorde stellen die Abkömmlinge des Erdöls auf: Heizöl plus 43 Prozent, Benzin plus 30 Prozent, Dieseltreibstoff plus 33 Prozent.

Energiekosten verdoppeln sich

 Stromzähler mit Anzeige der Kilowattstunden Quelle: dpa

Damit droht das Budget von Millionen Verbrauchern aus den Fugen zu geraten. Ein Haushalt, der 4000 Kilowattstunden im Jahr verbraucht, zahlt heute gut 250 Euro mehr für Strom als 2006 – Tendenz: steigend. Wer mit Fernwärme heizt, zahlt ab 2012 sieben Prozent mehr, bei einer 70-Quadratmeter-Wohnung ergibt das aufs Jahr verteilt ein Plus von 64 Euro. Die ganze Dramatik zeigt sich in der Langfristbetrachtung. Betrug die durchschnittliche monatliche Stromrechnung eines Drei-Personen-Haushaltes 1998 noch 49, 95 Euro, so liegt sie im ablaufenden Jahr nach Erhebungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bei 72,77 Euro. Das ist ein Plus von fast 50 Prozent. Im gleichen Zeitraum blieb das verfügbare Nettorealeinkommen bestenfalls konstant. Gleichzeitig drohen die steigenden Energiepreise das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu bremsen. "Schon dieses Jahr hatte der starke Anstieg bei den Energiepreisen Auswirkungen", sagt Klaus-Jürgen Gern, Konjunkturexperte beim Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW). Öl importierende Länder wie Deutschland seien besonders betroffen gewesen. Die Gewinnspanne von Unternehmen schrumpfe, Verbrauchern werde bei hohen Energiepreisen generell Kaufkraft entzogen, sagt Gern. "Da waren vor allem das Transportgewerbe und teilweise die chemische Industrie betroffen."

Michael Hüther geht noch einen Schritt weiter. "Wir beobachten bei der energieintensiven Industrie seit 2003 durchweg schwache Investitionen", sagt der Chef des arbeitgebereigenen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Das sei eine schleichende, aber eindeutige Entwicklung und schade dem Standort Deutschland. Und die mittelfristigen Aussichten sind eher düster. Für die nächsten fünf bis zehn Jahre sei klar, dass Strom durch die Energiewende künstlich knapper werde, sagt IfW-Konjunkturfachmann Gern. "Das kostet Wachstum." Ob 0,2 Prozent oder etwas weniger, ließe sich allerdings noch nicht genau beziffern.

Doppelt so hohe Kosten bis 2030

Auf welche Schocks sich die Endverbraucher einstellen müssen, geht aus einem Papier der EU für die Energiepolitik nach dem deutschen Atomausstieg hervor. Die Skizze entstand unter Verantwortung von Energiekommissar Günther Oettinger. Ihr zufolge werden sich die Ausgaben der privaten Haushalte in Europa für Energie bis 2030 verdoppeln. Betragen diese heute durchschnittlich sieben bis acht Prozent des Einkommens, werden es in knapp 20 Jahren 15 Prozent sein. Eine der Ursachen ist der Strompreis, der laut Oettingers Papier bis 2030 inflationsbereinigt um bis zu 50 Prozent steigen wird.

Schuld an der drohenden Strangulierung zahlreicher Unternehmen und Verbraucher durch die Energiepreise haben vor allem vier Akteure. An erster Stelle steht der Staat, der Energie mit Steuern und Abgaben verteuert: 90 Cent pro Liter beträgt inzwischen beim Benzinpreis der Obolus an den Fiskus, 1990 waren es noch 37 Cent. Dann kommen die Stromkonzerne, die ihre Preise zum Beispiel auch dann erhöhen, wenn sie Kohle und Gas preiswerter beziehen. Nicht minder langen die Ölkonzerne zu, die 2010 die Tankstellenpreise 196-mal erhöhten, fast fünfmal so häufig wie 1999. Und schließlich holt der russische Staatskonzern Gazprom, der mehr als ein Drittel des importierten Gases hierzulande liefert, bei den Deutschen, was zu holen ist.

Preistreiber Staat

Tankstellenbesitzer montiert Zahlen für Benzinpreis Quelle: AP

Die Gründe für die gigantischen Preissteigerungen und die Methoden, mit denen die Unersättlichen abkassieren, sind so bunt wie die Farben eines Ölfilms im Sonnenschein. Am kreativsten erweist sich der Staat. Seit Jahrzehnten exerzieren Politiker vor, wie sich die Steuern auf Öl und Benzin und damit die Preise fast grenzenlos erhöhen lassen. Vor 25 Jahren kassierte der Fiskus zum Beispiel umgerechnet 23 Cent Mineralölsteuer pro Liter Diesel. Inzwischen sind es bis zu 70 Cent. Hinzu kommt die Mehrwertsteuer, die wie ein Turbolader auf den Spritpreis wirkt. Schlagen die Ölkonzerne von sich aus zum Beispiel acht Cent auf den Dieselpreis drauf, erhöht der Fiskus das Angebot durch die Mehrwertsteuer um weitere rund 1,5 Cent. Gleiches passiert, wenn der Staat die Mineralölsteuer erhöht.

Als hätten die Politiker davon gelernt, praktizieren sie Ähnliches nun immer mehr auch bei der Elektrizität. Nach Berechnungen der Bundesnetzagentur in Bonn sind die staatlich verordneten Sonderabgaben wie die Umlage für Ökostrom von insgesamt 2,48 Cent pro Kilowattstunde 2006 auf 5,18 Cent im Jahr 2011 gestiegen, eine glatte Verdopplung. Eine noch kaum abschätzbare Hypothek bürdet der Staat den Stromkunden mit dem gesetzlich verordneten Ausstieg aus der Atomkraft auf. Zwar gehen die Prognosen auseinander, wie sehr die Abschaltung der 17 Atommeiler in Deutschland bis 2022 den Strompreis beeinflusst. Nach Meinung der staatlichen Deutschen Energie-Agentur (Dena) wird es aber auf jeden Fall eine Erhöhung geben, vermutlich um vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde bis 2020.

20 Milliarden Euro für Kraftwerke

Schuld daran sind der Bau und die Zuschaltung teurer Wind- und Solar-, aber auch neuer Kohle- und Gaskraftwerke, deren Betriebskosten ebenfalls höher liegen als die der Atommeiler. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, werden Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro allein für neue Kraftwerke nötig, die vor allem mit Kohle und Gas arbeiten. Ebenso werden die Ausgaben für den Ausbau der Stromnetze, den die Politiker mit ihrem Anti-Atom-Ukas erzwungen haben, am Ende bei den Stromkunden landen. Geschätzte zehn Milliarden Euro wird es erfordern, um mithilfe neuer Leitungen die Elektrizität von den Windparks im Norden Deutschlands in den industriell dichtbepackten Süden und Südwesten mit seinen Automobil- und Technologiefabriken zu transportieren.

Eine besondere Rolle spielt die Umlage nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG). Diese bezahlen Haushalte und Unternehmen für den teureren Strom, den Solar-, Wind- und Biokraftwerksbetreiber vorrangig ins Netz einspeisen dürfen. Die EEG-Umlage verneunfachte sich seit 2003 auf zurzeit 3,5 Cent pro Kilowattstunde. Vor fünf Jahren zahlte ein Drei-Personen-Haushalt dafür monatlich noch 2,57 Euro, in diesem Jahr sind es durchschnittliche 10,30 Euro – genau viermal so viel.

Umlage wächst

Und das ist erst der Anfang. Eine Studie im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) kommt zu dem Ergebnis, dass die EEG-Umlage bis 2025 kontinuierlich auf sechs Cent je Kilowattstunde hoch rauscht. "Es ist nicht zu schaffen, die Umlage für erneuerbare Energien auf rund 3,5 Cent je Kilowattstunde zu begrenzen", warnt Dena-Chef Stephan Kohler, dessen Wort als Vertreter einer regierungsnahen Einrichtung Gewicht hat. "Die Umlage wird spürbar steigen, und die Politik sollte das ehrlich einräumen." Kommt es zu den von der Dena prognostizierten 5,0 bis 5,5 Cent im Jahr 2020, muss ein durchschnittlicher Haushalt dann rund 17,50 Euro im Monat für die Umlage bezahlen – etwa 210 Euro im Jahr.

Preistreiber Stromkonzerne

Ein Mann trägt ein in Geschenkpapier eingeschlagenes Paket Quelle: dpa

Eine wachsende Zahl von Großverbrauchern soll aber von der Abgabe ausgenommen werden. Dies wird dafür sorgen, dass die Zahl der Stromabnehmer sinkt, auf die der Milliardenbatzen umgelegt wird. Damit steigt die Belastung für die verbleibenden Zahler. Insbesondere stromintensive Unternehmen hoffen, die EEG-Umlage erlassen zu bekommen. "Es gibt einen Ansturm auf Strompreisgeschenke", beobachtet ein Stahlmanager. Laut Bundeswirtschaftsministerium waren bis zum 2. Dezember 159 Anträge von Unternehmen auf eine vollständige Befreiung eingegangen. Möglicherweise müsse deshalb die Umlage für die privaten Haushalte völlig neu berechnet werden, heißt es in Berlin. Wie viel auf Konsumenten und Unternehmen abgewälzt wird, entscheidet sich am 21. Dezember. Dann müssen die Netzbetreiber erklären, wie in ihrem Einzugsgebiet die Ausnahmeregelungen für die stromintensive Industrie wirtschaftlich zu Buche schlagen.

Von den Stromabnehmern kaum wahrgenommen wird die Preistreiberei durch die Konzessionsabgaben. Die kassieren die Gemeinden von den Versorgern dafür, dass diese den Strom durch ihr Hoheitsgebiet leiten dürfen. Die Abgaben werden nach Berechnungen des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen im kommenden Jahr um 1,7 Milliarden Euro höher liegen als 2009. "Das ist eine Art heiße Progression", schimpft Holger Krawinkel, Energieexperte des Verbraucherverbandes.

Eine Hand hält einen Stromstecker vor das Logo von Eon. Quelle: dpa

Versorger erhöhen ohne Ende

Eine unrühmlich Rolle spielen die Stromerzeuger. Dies sind die vier Konzerne E.On, RWE, EnBW und Vattenfall sowie die rund 900 Stadtwerke, darunter deren große Verbünde wie Thüga und Trianel. Was auch immer passierte, die Versorger erhöhten bis zuletzt ostentativ die Strompreise. Dabei müsste das nicht unbedingt sein. Beispiel: Emissionszertifikate. Diese müssen Kraftwerksbetreiber vom kommenden Jahr an erstmals kaufen, um das klimaschädliche Kohlendioxid in die Luft pusten zu dürfen, das durch die Verbrennung von Kohle oder Gas entsteht. Bisher bekamen die Versorger die Papiere vom Staat geschenkt, durften den Preis, den die Zertifikate an der Börse bereits haben, jedoch in den Strompreis einfließen lassen. Danach hätte der Strompreis in den vergangenen Monaten aber durchaus sinken können. Denn die Luftverschmutzungsrechte haben sich seit dem Sommer von rund 17 auf 7 Euro pro Tonne C02 verbilligt. Das bringt vor allem dem RWE-Konzern mit seinen emissionsreichen Braunkohlekraftwerken eine kräftige, ungeplante Kostenentlastung. Wer hoffte, die Essener würden einen Teil des Windfall-Profits an die Endkunden weiterreichen, sah sich getäuscht.

Zu wenig Wettbewerb treibt die Preise

Der Grund für die Preistreiberei liegt zum einen im unzureichenden Wettbewerb, zum anderen in der jahrelang mangelnden Kostendisziplin. Der Wegfall der Supergewinne aus den wirtschaftlich abgeschriebenen Atommeilern, die E.On, RWE und EnBW auf Anordnung der Bundesregierung im Frühjahr abschalten mussten, legte die bisherigen Versäumnisse offen. E.On wird nach EnBW in diesem Geschäftsjahr erstmals einen Verlust verbuchen, wurde nach der Aufsichtsratssitzung Anfang vergangener Woche klar. Der Verfall der Gaspreise, teure Akquisitionen durch Teyssens Vorgänger Wulf Bernotat sowie doppelt und dreifach besetzte Funktionen schlagen gnadenlos durch. Ein großer Teil der nun überzähligen Stellen rührt aus der Fusion der einstigen Energiekonzerne Veba und Viag im Jahr 2000 und der anschließenden Übernahme von Ruhrgas 2003. Die Kosten tragen seitdem die Stromkunden.

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