Strompreis Das schwarze Geheimnis der Energiewende

Im kommenden Jahr heben die Netzbetreiber ihre Preise an. Wieder einmal. Wofür das Geld verwendet wird, darüber rätseln selbst Experten. Denn die Zahlen werden einfach geschwärzt.

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Strommasten im Zwielicht. Quelle: imago images

Es sind die schwarzen Balken, die Kevin Canty zur Verzweiflung treiben. Mal finden sie sich über einzelnen Sätzen, dann machen sie gleich ganze Seiten unlesbar. Eines jedoch verhindern alle Schwärzungen: Dass Energie-Experten wie Canty, der früher selbst bei der Bundesnetzagentur arbeitete, die Kosten der Energiewende einsehen können.

So bleibt einer der Hauptposten auf der Stromrechnung fast intransparent. Doch genau dieser Posten steigt jährlich: die Entgelte der Übertragungsnetzbetreiber. Das sind jene Unternehmen, die die großen Stromautobahnen bauen und warten. Die Genehmigungsbescheide, die den Unternehmen die Entgelterhöhungen absegnen, verlassen die Regulierungsbehörde meist als schwarzgefärbte Blöcke. „Von den einzelnen Zahlen ist so gut wie alles geschwärzt, sogar das Ergebnis“, klagt Canty, „damit ist absolut nicht nachzuvollziehen, was hinter den Netzentgelterhöhungen steckt.“

Kaum ein Player in der Energiebranche hat so viel Macht wie die vier Übertragungsnetzbetreiber Tennet, 50 Hertz, Amprion und TransnetBW. Die vier Unternehmen bilden ein Oligopol, das von der Bundesnetzagentur kontrolliert wird. Mit Genehmigung der Behörde langten die Unternehmen zuletzt kräftig zu. Mit Preissteigerungen um bis zu 80 Prozent im vergangenen Jahr erwarben sich vor allem die Betreiber im Osten den Ruf, Preistreiber der Energiewende zu sein. Nun legt auch der Westen nach: Um 45 Prozent wird Amprion aus Dortmund seine Entgelte ab 1.1.2018 anheben. Weitergereicht werden diese Kosten zumeist an die Stromkunden.

Länder mit der größten grünen Stromproduktion

Die Netzbetreiber begründen die Preiserhöhungen durch den Ausbau der Stromautobahnen und die kostenintensiven Eingriffe ins Stromnetz. Überprüfen kann man diese Begründungen nicht. Denn durch die schwarzen Balken auf den Genehmigungsbescheiden lässt sich die Berechnung der Netzentgelte nicht nachvollziehen. Die Kritik an dieser Intransparenz wird nach der jüngsten Preiseskalation immer lauter. Die zuständige Bundesnetzagentur will die Unternehmen nun zu mehr Transparenz verpflichten.

Noch präsentiert sich die Lage allerdings wenig erhellend.  Für seine Studie „Transparenzdefizite der Netzregulierung“ sah sich Canty mit einer „desaströsen“ Datenlage konfrontiert. So waren von den 500 Genehmigungsbescheiden, welche die Bundesnetzagentur zwischen 2006 und 2009 erstellte, lediglich zwölf Prozent in der Datenbank der Behörde verfügbar. Und diese Unterlagen waren laut Studie „vollständig geschwärzt“.

Die Folgen einer solchen Schwärzungs-Praxis trägt laut Canty meist der Kunde: So würden „Regulierungsentscheidungen“ bei mangelnder Transparenz „eher zugunsten der regulierten Unternehmen und eher zulasten der Netznutzer getroffen werden“. Was das kosten kann, rechnete Canty ebenfalls bereits 2015 vor: So berechnete er, dass schon eine Kürzung der „Entgeltgenehmigungen um zwei Prozent“ die Netzkosten zum damaligen Zeitpunkt um 360 Millionen Euro vermindert hätte.

Seit Erstellung der Studie hat sich in Sachen Transparenz bei der Bundesnetzagentur laut Canty nichts Wesentliches geändert. „Trotz neuer Veröffentlichungspflichten sind die Beschlüsse noch immer nicht entschwärzt. Die einzelnen Posten sind unverändert komplett intransparent.“ Canty beklagt, dass die Bundesnetzagentur, aber auch die Landesregulierungsbehörden unter einer „Käseglocke mit den Netzbetreibern“ sitzen würden, „unter Ausschluss derer, die am Ende die Rechnung zu zahlen haben“.

Ähnlich sehen das andere Experten in der Energiebranche. „Wir können nicht schlüssig erklären, warum Amprion die Netzentgelte um 45 Prozent anhebt“, heißt es etwa vom Berliner Thinktank Agora Energiewende. Energieexperte Andreas Jahn vom Regulatory Assistance Project, der für Agora gerade die Kosten der Netzanstiege nachzurechnen versucht, steht vor einer fast unlösbaren Aufgabe: „Man weiß einfach nicht, woher die Kosten kommen, weil die Übertragungsnetzbetreiber bloß eine Prozentzahl ohne nähere Angaben veröffentlichen. Zu jeder Photovoltaik-Anlage gibt es besser einsehbare Angaben als zu den Entgelten der Übertragungsnetzbetreiber. Es herrscht hier nach wie vor ein Transparenzdefizit.“

"Wahrung von Geschäftsgeheimnissen"

Um die Zahlen von Amprion & Co nachzuprüfen, behilft sich Jahn mit den veröffentlichten Zahlen, etwa zu den sogenannten Re-Dispatch-Kosten, also den Eingriffen in das Stromnetz: „Nachdem sich die Re-Dispatch-Kosten 2016 von 400 Millionen auf 200 Millionen Euro halbiert haben, sind sie im ersten Quartal 2017 wieder gestiegen. Doch selbst wenn sich diese Kosten wieder verdoppeln, erklärt das noch nicht die 500 Millionen, die Amprion in 2018  zusätzlich berechnet.“

Was Jahn zudem stutzig macht, ist die unterschiedliche Entwicklung der Preise bei den einzelnen Übertragungsnetzbetreibern. „Kosten wie den Anschluss der Offshore-Windparks oder der Braunkohle-Sicherheitsreserve müssen von allen Übertragungsnetzbetreibern getragen werden. Wie können die Entgelte dann bei einem in diesem Maße steigen und bei anderen fallen?“

Gegenüber der WirtschaftsWoche beantworteten die Netzbetreiber Amprion und Tennet diese Frage mit einem nahezu identischen Schreiben. Darin heißt es, dass die Kostenentwicklung der einzelnen Netzbetreiber unterschiedlich seien, weil bestimmte Kostenfaktoren „jede Regelzone individuell beeinflussen“ würden. Dazu gehörten etwa die unterschiedlichen Investitionen in den Netzausbau und die „Kosten für netzstabilisierende Maßnahmen“.

Die Praxis der Schwärzungen verteidigen Amprion und Tennet. So würden „alle erforderlichen Zahlen und Fakten der Bundesnetzagentur transparent, vollumfänglich und nachvollziehbar dargestellt“. Allerdings müssten vor Veröffentlichung „sensible Daten“ wie „Kundendaten oder Geschäftsgeheimnisse“ geschützt werden. Daher schwärze die „Bundesnetzagentur Berichtsteile, die Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen und von Dritten sowie personenbezogene Daten“. Auch 50 Hertz spricht von der „Wahrung von Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnissen“ und „personenbezogene Daten.“

Dass es dabei erst die Unternehmen sind, welche die Schwärzungen veranlassen, geht aus den  Antworten der Unternehmen höchstens indirekt hervor. Deutlicher wird hier die Bundesnetzagentur. Laut der Behörde würden die betroffenen Unternehmen vor einer Veröffentlichung der Beschlüsse „die Möglichkeit“ erhalten, „geheimhaltungsbedürftige Textpassagen oder Zahlen zu schwärzen“.  

Zufrieden scheint man bei der Behörde mit der Schwärzungspraxis allerdings nicht zu sein. So teilte die Bundesnetzagentur der WirtschaftsWoche mit, dass sie die „Schwärzungen der Unternehmen zukünftig sehr viel restriktiver behandeln“ wolle. „Wir wollen ein deutlich höheres Maß an Transparenz gewährleisten“, hieß es von der Bundesnetzagentur.

Konkret sollen Schwärzungen „zukünftig deutlich detaillierter als bisher“ von den Unternehmen zu begründen sein. „Beruft sich ein Unternehmen auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, muss es insbesondere darlegen, warum zu erwarten ist, dass die Veröffentlichung dieser Information mit wettbewerblichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist. Allgemeine Erwägungen reichen nicht“, heißt es von der Bundesnetzagentur.

Stromkunden können sich nur darauf verlassen, dass die Bundesnetzagentur diese Ankündigung einlöst. Denn im Gegensatz zum Stromanbieter kann man den Übertragungsnetzbetreiber nicht wechseln.

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