Ukraine Naftogaz wird zum Spielball der Politik

An der Sanierung des maroden staatlichen Energieriesen Naftogaz hängt die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine.

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Der Gashahn könnte schon bald zugedreht werden. Quelle: dpa

Igor Kolomoisky ist der mächtigste Oligarch der Ukraine. Viele Ukrainer lieben ihn, weil er Bataillone gegen die prorussischen Separatisten im Osten des Landes mitfinanziert. Zudem verhinderte er als Gouverneur von Dnepropetrowsk, dass der bewaffnete Konflikt im Donbass auf den Rest des Landes überschwappt. Und dann passierte dem 52-Jährigen so etwas: Erst setzte der staatliche Energieriese Naftogaz den Chef der Konzerntochter Ukratransneft ab. Der Mann war ein Günstling Kolomoiskys. Er erlaubte dem Multimilliardär, die strategisch wichtige staatliche Gaspipeline-Gesellschaft der Ukraine zu kontrollieren.

Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl

Am selben Tag verlor Kolomoisky auch noch den Einfluss beim Ölkonzern Ukrnafta, der zu 42 Prozent ihm und zu 58 dem ukrainischen Staat gehört. Dafür hatte das Parlament mit einer Änderung des Aktienrechts gesorgt. Kolomoisky war darob so erbost, dass er in Kiew Männer mit Kalaschnikows aufmarschieren ließ, um seine Macht zu demonstrieren.

Gigantische Misswirtschaft

Genützt hat der Waffengang dem Wahl-Schweizer nichts. Denn seine Entmachtung, die wenig später in der Entlassung als Gouverneur gipfelte, ist der Anfang einer groß angelegten staatlichen Aufräumaktion im maroden und korrupten Energiesektor der Ukraine.

Brancheninsider sind sich einig: Den Hieb gegen Kolomoisky hätte es nicht ohne die Zustimmung von Präsident und Co-Oligarch Petro Poroschenko gegeben. Zudem hält sich hartnäckig das Gerücht, die USA und die EU hätten ihn dazu gedrängt.

„Es ist ein erster Schritt zu mehr Transparenz im Energiesektor“, sagt Boris Dodonov, Energieexperte des Kiewer Think-tanks Neue Sozial- und Wirtschaftspolitik. „Und es ist ein Versuch, dessen Einnahmen wieder in die Staatskasse zu lenken.“

Der Schritt ist mehr als überfällig. Denn kein Unternehmen in der Ukraine steht so sehr für die verrottete und von Ineffizienz zerfressene Wirtschaft des Landes wie der staatliche Energiegigant Naftogaz. Acht Milliarden Euro Verlust machte das Unternehmen 2014. Ein Fehlbetrag, den der Staat tragen muss – und der den Marsch des finanziell ausgebluteten Landes in die Pleite derzeit kräftig forciert.

Das Ausmaß der Misswirtschaft bei Naftogaz ist für westliche Beobachter unvorstellbar. Das jährliche Defizit entspricht 5,7 Prozent des ukrainischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und rechnerisch etwa den 7,5 Milliarden Euro, mit denen die EU das Land unterstützen will. Die Lage ist so dramatisch, dass die US-Ratingagentur Fitch im Februar die Note CCC für das Unternehmen bestätigte, was eine mögliche Pleite beinhaltet.

Ohne tiefe Einschnitte würde die Regierung in Kiew die zugesagten 17,5 Milliarden Dollar des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Rettung des Landes in den kommenden zwei Jahren allein für Naftogaz verpulvern.

Die politischen Baustellen 2015
Arbeit und SozialesDie Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt konstant bei gut einer Million – Ministerin Andrea Nahles (SPD) will sie unter anderem mit „Aktivierungszentren“ innerhalb der Jobcenter reduzieren. Für Ältere sind flexiblere Übergänge in die Rente geplant. Auch dürfte die Diskussion über... Quelle: dpa
... eine Anti-Stress-Verordnung wiederkommen – die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin dürfte nach einem Prüfauftrag von Nahles Ergebnisse vorlegen. Quelle: dpa
EnergieBundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) muss klären, ob Kraftwerke Sonderprämien dafür bekommen sollen, dass sie anders als Sonne und Wind rund um die Uhr Strom liefern und die Versorgung sichern. Die Energiewirtschaft pocht auf einen solchen Kapazitätsmarkt, in dem nicht nur der produzierte Strom bezahlt wird. Quelle: dpa
Die Energiewirtschaft betont, viele Kraftwerke rentierten sich im Zuge der Energiewende nicht genug, und warnt vor zu vielen Stilllegungen. Zugleich könnten durch so ein System neue Strompreisrisiken drohen. Quelle: dpa
G7-GipfelDie vielleicht größte internationale Aufgabe der Regierung ist die Präsidentschaft der sieben großen Industrienationen mit dem G7-Gipfel am 7. und 8. Juni auf Schloss Elmau in Bayern. Bis zuletzt dürfte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versuchen... Quelle: dpa
... Russlands Staatschef Wladimir Putin in diesen Kreis wieder einzubinden, aus dem er wegen der Krim-Annexion ausgeschlossen wurde. Berlin will die Finanz- und Wirtschaftspolitik, Umwelt- und Gesundheitsfragen thematisieren. Die Regulierung der Schattenbanken kommt Merkel zu langsam voran. Quelle: AP
MautStraßennutzer zahlen für die Straßennutzung – damit will Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) 2015 vorankommen, um Geld für Investitionen hereinzuholen. Quelle: dpa

Große Widerstände

So hängt das wirtschaftliche Überleben der Ukraine eng mit der Sanierung des Öl- und Gaskonglomerats zusammen, das rund 180.000 Mitarbeiter beschäftigt und umgerechnet vier Milliarden Euro Umsatz macht. „Die finanzielle Gesundheit von Naftogaz ist ein übergreifendes Ziel des Programms“, heißt es in der Absichtserklärung der ukrainischen Regierung gegenüber dem IWF. In diesem Jahr soll Naftogaz deshalb die Verluste auf gut drei Prozent des BIPs senken und bis 2017 kein Minus mehr machen.

„Nach 20 Jahren Stillstand soll es jetzt offenbar ganz schnell gehen“, sagt Georg Zachmann, Mitglied einer deutschen Beratergruppe und Energiespezialist beim Brüsseler Thinktank Bruegel. „So viel Optimismus wie jetzt herrschte noch nie.“

Wie weit der trägt, ist allerdings fraglich. Denn die Sanierung des Konzerns wird die Regierung nur gegen große Widerstände durchsetzen können. Besonders viel Sprengstoff birgt die Erfordernis, die Energiepreise massiv zu erhöhen, vom Gas über den Strom bis zur Fernwärme. Vor allem mit der Verteuerung des Gases droht die erst im vergangenen Oktober gewählte Regierung, ihren Vertrauensvorschuss bei der Bevölkerung zu verlieren.

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