Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat in einem Schreiben erklärt, dass er den neuen Eigentümern von Urenco nicht nur strategische und finanzielle Vorgaben machen, sondern auch in Firmenentscheidungen eingreifen und notfalls Vorstände entlassen können will. Insgesamt will er 13 Vorgaben machen. Ist damit die Privatisierung nicht tot?
Ich habe den Brief von Minister Gabriel gelesen und es gibt andere Briefe im Umfeld der niederländischen Regierung, die ähnliche Überlegungen äußern. Ich möchte das nicht kommentieren.
Die lange Suche nach einem Atommüllendlager
Am 11. November 1976 bringt der niedersächsische Wirtschafts- und Finanzminister Walther Leisler Kiep (CDU) laut eigenen Aufzeichnungen Gorleben ins Spiel. Zuvor waren die Salzstöcke Wahn, Lutterloh und Lichtenhorst (alle Niedersachsen) favorisiert worden.
Die niedersächsische Landesregierung unter Ernst Albrecht (CDU) beschließt, in Gorleben an der Grenze zur damaligen DDR ein nukleares Entsorgungszentrum zu gründen. Ein transparentes Auswahlverfahren fehlt - die Hoffnung ist auch, dass der arme Kreis Lüchow-Dannenberg durch Investitionen der Atomindustrie einen Aufschwung erfährt.
Tiefbohrungen beginnen, um den Salzstock auf seine Eignung als Atommüllendlager zu erkunden.
Die Bauarbeiten für das oberirdische Zwischenlager Gorleben starten. Es liegt nur einige hundert Meter entfernt vom Salzstock.
Die Erkundung des Salzstocks unter Tage beginnt. SPD und Grüne werfen der Regierung von CDU-Kanzler Helmut Kohl vor, politischen Einfluss bei der Durchsetzung von Gorleben genommen zu haben. 2010 wird dazu ein Bundestags-Untersuchungsausschuss eingerichtet.
Von massiven Protesten begleitet, trifft im oberirdischen Zwischenlager der erste Castor-Behälter mit Atommüll ein.
Nach dem Regierungswechsel richtet Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) den Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AK End) ein. Er soll Ideen für ein neues Suchverfahren entwickeln.
Im Atomkonsens vereinbart die rot-grüne Bundesregierung mit den Stromversorgern den Ausstieg aus der Kernenergie. Die Erkundung in Gorleben wird bis spätestens 2010 ausgesetzt.
Trittin legt einen Entwurf für ein Standortauswahlgesetz vor: In einem bundesweiten Verfahren sollen neben Gorleben auch andere Standorte untersucht werden. Die Neuwahl lässt den Plan scheitern.
Nach der Wahl vereinbart die große Koalition, das Problem „zügig und ergebnisorientiert“ zu lösen. Während die Union an Gorleben festhält, fordert Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ein neues Auswahlverfahren. Es gibt keinen Fortschritt.
Norbert Röttgen (CDU), Bundesumweltminister in der seit 2009 amtierenden schwarz-gelben Bundesregierung, teilt die Aufhebung des Erkundungsstopps mit. Gorleben habe weiter „oberste Priorität“.
Am 30. Juni 2011 beschließt der Bundestag den Atomausstieg bis 2022. Über Gorleben hinaus sollen andere Endlager-Optionen geprüft werden. Bayern und Baden-Württemberg zeigen sich offen für eine neue Suche.
Bei zwei Spitzentreffen von Bund und Ländern gibt es Fortschritte. Eine Einigung scheint zum Greifen nahe.
Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wird für den CDU-Spitzenkandidaten Röttgen zum Debakel. Er wird von Kanzlerin Angela Merkel entlassen. Nachfolger wird Peter Altmaier (CDU).
SPD und Grüne werfen Altmaier vor, eine Lösung zu verzögern - aber beide Parteien lähmen selbst den Prozess, weil sie uneinig sind, was den künftigen Umgang mit Gorleben betrifft.
Am 27. September 2012 weist Merkel vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss Vorwürfe zurück, sie habe in ihrer Zeit als Umweltministerin in den 1990er Jahren versucht, Gorleben als Endlager durchzudrücken.
Am 20. Januar 2013 gewinnt Rot-Grün die Landtagswahl in Niedersachsen, SPD und Grüne in Hannover wollen ein Aus für Gorleben durchsetzen.
Am 24. März 2013 gelingt Altmaier ein vorläufiger Durchbruch: Bis 2015 soll eine aus 24 Personen bestehende Enquetekommission Grundlagen und Vergleichskriterien für die Suche erarbeiten. Gorleben soll im Topf bleiben - Niedersachsen setzt aber auf ein rasches Ausscheiden. In einem Suchgesetz soll festgelegt werden, dass am Ende zwischen den beiden besten Optionen entschieden wird. Atommülltransporte in das Zwischenlager Gorleben soll es vorerst nicht mehr geben.
Beweist Gabriels Brief nicht, dass die Privatisierung von Urenco für ihn ein beachtliches Sicherheitsrisiko darstellt?
Ich glaube, dass Urenco das Gegenteil ist – denn durch unsere multinationale Zusammenarbeit sind wir ein Modell dafür, wie man global mit derart sensitiven Technologien umgehen sollte. Urenco wird von drei Regierungen kontrolliert sowie von der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom- und der Internationalen Atomenergiebehörde überwacht.
Wie stark mischt sich die Politik aktuell in ihre Geschäftsführung ein?
Wir berichten den drei Regierungen zweimal im Jahr, aber sie haben normalerweise keinen Einfluss auf unsere geschäftliche Strategie. Wenn diese aber Elemente enthalten sollte, die im Zusammenhang mit Technologiesicherheit oder der Nicht-Verbreitung Anlass zu Besorgnis geben sollte, dann haben die Regierungen das Recht, sich einzumischen.
Wie oft passiert das?
Wenn wir einen neuen Kunden beliefern wollen, müssen wir vorher mit den Regierungen darüber reden, ob der akzeptabel ist. Alles, was mit angereichtem Uran und mit der Anreicherungstechnologie zu tun hat, ist Gegenstand der Überwachung und der Kontrolle durch die Regierungen.
Wie wirksam die Überwachung ist, zeigte sich in den 1970er Jahren, als der pakistanische Forscher Abdul Kadir Khan das Wissen aus der Tätigkeit bei Urenco genutzt haben soll, um seinem Heimatland den Bau von Atomwaffen zu ermöglichen.
Es ging damals um eine Technologie, die in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren in Russland entwickelt wurde. Wie sie funktioniert, ist heute im Internet nachlesbar.
Trotzdem fragt man sich, wie Sie sicherstellen, dass etwas Ähnliches nicht wieder passiert, wenn zum Beispiel ein Finanzinvestor Urenco übernimmt.
Die Urananreicherung ist eine komplexe Technologie, die nicht spontan entwickelt werden kann. Ihre Prinzipien sind zwar weltweit bekannt. Jeder weiß, wie eine Zentrifuge funktioniert, die den Anteil des radioaktiven Urans am natürlichen anreichert. Doch wenn Sie die Technologie zur kommerziellen Reife zu bringen wollen, kostet das erhebliche finanzielle Mittel und viel Zeit...
... was die Weitergabe der Technologie zum Bau der Atombombe aber grundsätzlich nicht verhindert.
Die Sorge ist unbegründet, denn die Verträge von Almelo machen klar, dass diese Technologie nur mit Regierungsgenehmigung anderen zur Verfügung gestellt werden kann.