Der Anruf kam am Mittwochabend kurz nach 20 Uhr. Am Ende der Leitung saß Maxim Efimow, der Sprecher des neuen Mehrheitsaktionärs des Westerwälder Windradbauers Fuhrländer. Im Namen der ukrainischen Investorengruppe, die er vertritt, teilte er Vorstandschef Werner Heer in einem halbstündigen Telefonat mit: Für Fuhrländer gebe es kein Geld mehr.
Heer reagiert sofort. Er informiert umgehend seine Vorstandskollegen. Einen Tag später, am Donnerstag, dem 20. September, stellt er beim Amtsgericht Montabaur den Antrag auf Insolvenz. Am vergangenen Mittwoch stimmte das Gericht dem Wunsch Heers vorläufig zu, seinen Posten behalten und das Insolvenzverfahren in Eigenregie durchziehen zu können. Zum vorläufigen Sachwalter wurde der Trierer Rechtsanwalt Thomas Schmidt bestimmt, der derzeit den insolventen Nürburgring saniert.
Lehrstück für Idealisten
Das Njet der Ukrainer war der Todesstoß für einen der ältesten deutschen Windradhersteller. Weder der totale Rückzug des 52-jährigen Gründers Joachim Fuhrländer noch die neuen Investoren aus Osteuropa brachten die erhoffte Rettung für das Unternehmen und seine 450 Mitarbeiter.
Der Niedergang von Fuhrländer ist ein Lehrstück über einen Idealisten aus einfachen Verhältnissen, der ob seines Erfolges das Kerngeschäft vernachlässigte und auf Veränderungen des Marktes nicht reagierte. Zugleich vertraute der Sonderling mit dem langen, lockigen Haar statt auf Profis auf den ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Verteidigungsminister Rudolf Scharping, der als Aufsichtsratschef, wie die Pleite beweist, heillos überfordert war.
Fuhrländer hebt ab und stürzt tief
Eigentlich steht Fuhrländer bis 2009 für einen der erfolgreichsten Aufsteiger der jüngsten deutschen Industriegeschichte. Binnen zweier Jahrzehnte macht er aus der Schmiede seines Vaters Theo ein Vorzeigeunternehmen der Zukunftsbranche Windenergie. Der Umsatz wächst unaufhaltsam, fast immer mit zweistelligen Raten. Fuhrländer gründet Niederlassungen in Polen, Spanien, Vietman, Bulgarien, Brasilien sowie der Ukraine, übernimmt ein Ingenieurbüro und Zulieferer, ja sogar ein Ausflugslokal.
Doch dann kommt der Moment, der für Fuhrländer wie für viele Mittelständler einen großen Einschnitt bedeutet. 2008 laufen die Geschäft so gut, dass er am Stammsitz in Waigandshain an die Kapazitätsgrenze stößt. Kurzerhand lässt er am sechs Kilometer entfernten Siegerland-Flughafen neue Produktions- und Verwaltungsgebäude aus dem Boden stampfen. Von nun an scheint Fuhrländer abzuheben. Mehr als 240 Millionen Euro erlöst sein Unternehmen inzwischen pro Jahr. In Interviews schwadroniert er vom Börsengang, von Umsätzen in Milliardenhöhe, ja sogar von der Gründung einer privaten Hochschule.
Keine Bestellungen wegen Mängeln
Dass er sein Geschäft vernachlässigt, entgeht Fuhrländer. Technische Mängel bei Getrieben einer Windanlagenserie ruinieren 2009 auf einmal den bisher glänzenden Ruf. In Deutschland bestellt über Nacht praktisch niemand mehr eine Windmühle aus dem Westerwald. Der Anteil des Absatzes im Inland bricht von rund 40 Prozent 2009 auf sieben Prozent im Folgejahr ein. 2010 wird Fuhrländer in Deutschland nur noch ganze fünf Windräder los. Ein Jahr später hat sich der Umsatz auf rund 140 Millionen Euro fast halbiert.
In dieser Situation hat Fuhrländer zudem Pech. Zu seinem Versagen gesellen sich nun auch noch die Nachwirkungen der abklingenden Finanzkrise. Denn die Kunden, deutsche und internationale Windparkentwickler, erhalten nicht genügend Kredite, um Windparks zu bauen. Von dieser Flaute kann sich das Unternehmen nie mehr erholen.
Schwelgen in der Vergangenheit
Doch bis Fuhrländer zu dieser Einsicht gelangt, vergehen noch zwei Jahre. Erst einmal feiert er 2010 das 50-jährige Bestehen seiner Firma, die sein Vater 1960 in einer alten Scheune in Waigandshain als Dorfschmiede gegründet hatte.
Der Jubilar hat allen Grund, in der Vergangenheit zu schwelgen; wie er, der gelernte Schmied, 1985 den elterlichen Betrieb übernahm; wie er in den Achtzigerjahren beim Urlaub an der Nordsee eine Windkraftanlage bestaunte; wie er einige Jahre später selber begann, solche Anlagen zu bauen; wie er 1991 die erste Anlage verkaufte, mit einer Leistung von 30 Kilowatt, einem Achtzigstel dessen, was seine Turbinen heute schaffen; wie er als engagierter Christ viele seiner Windmühlen mit der Inschrift "Schöpfung bewahren" versah; und wie er 2001 sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umwandelte, an der sich der Wella-Erbe Immo Ströher und der schwäbische Windparkprojektierer Willi Balz zusammen mit 20 Prozent beteiligten.
Auftragseingang bricht ein
Doch all dies ist Makulatur, als im Herbst 2011 der Wind immer kälter über die Westerwaldhöhen und über Fuhrländers Unternehmen pfeift. Denn weiterhin bleiben fest eingeplante Projekte aus, werden storniert oder verschoben. Der Auftragseingang bricht um 60 Prozent ein. Zur gleichen Zeit dreht auch noch der Weltmarkt. Starke asiatische Anbieter wie Sinovel, Goldwind oder China Guodian drücken immer heftiger auf die Preise.
Im Oktober, gerade ein Jahr nach der Jubelfeier, rast Fuhrländer immer schneller in Richtung Pleite. Die Banken verlieren das Vertrauen in seine unternehmerischen Fähigkeiten und schicken ihm Berater ins Haus. Zuerst rücken die Sanierungsexperten der Hamburger Beratungsgesellschaft Nexpert an. Doch die reichen den Instituten nicht. Im Januar 2012 holen sie die auf Familienunternehmen spezialisierten Berater von Wieselhuber & Partner aus München. Schließlich muss Fuhrländer auch noch akzeptieren, dass ihm die Banken einen weiteren Vorstand an die Seite stellen: den heutigen Vorstandschef Heer, der zuvor den Nähmaschinenhersteller Dürkopp-Adler in Bielefeld saniert hatte.
Fuhrländer hat sich verzettelt
Heer erkennt schnell, was Fuhrländer falsch gemacht hat. "Es war in den Jahren des starken Wachstums versäumt worden, entsprechende Strukturen aufzubauen", sagt er im typischen Beraterwelsch. Auf gut Deutsch: Fuhrländer hat keine klare Strategie und sich nicht auf bestimmte Märkte konzentriert, kurzum: Er hat sich verzettelt.
Der Neue leitet umgehend Notoperationen ein: Personalabbau, Kurzarbeit und die Konzentration auf das Kerngeschäft, die Herstellung von Windkraftanlagen. Fuhrländer selbst bekommt immer mehr Druck von den Banken und seinen Aktionären. Es dauert nicht lang, und allen Beteiligten wird klar: Eine Zukunft für Fuhrländer mit Fuhrländer wird es nicht geben.
Führungsspitze wird umstrukturiert
Mehr noch: Das Unternehmen, stellt Sanierer Heer fest, ist allein nicht überlebensfähig. Es "braucht dringend einen strategischen Investor, der am besten auch noch das Unternehmen kennt". Ende April haben die Banken und Aktionäre Mehrheitseigner Fuhrländer so weit. Sein 2009 noch so stolzes Unternehmen wird neu verteilt, ebenso die Macht an der Spitze.
Wella-Erbe Immo Ströher steigt aus, Windparkprojektierer Balz stockt auf, Fuhrländer legt seinen Vorstandsvorsitz nieder und trennt sich von seinem Anteil von 64 Prozent. Wie viel er dafür bekommen hat, ist nicht bekannt. Neuer Großaktionär wird das Unternehmen Windgröße aus Frankfurt, ein Konsortium aus ukrainischen Investoren um Manager Efimow. Windgröße hält 75,1 Prozent, Efimow und sein Landsmann Gennadi Molchanov rücken in den Aufsichtsrat. Scharping bleibt Chefkontrolleur, Sanierer Heer übernimmt den Vorstandsvorsitz.
Zwischenfälle in der Ukraine zerstören alle Hoffnungen
Fuhrländers Lebenswerk scheint gerettet. Immerhin ist Efimow Manager eines ukrainischen Stahlbaukonzerns und mit den Westerwäldern über ein Joint Venture verbunden. Zudem hatten die Ukrainer laut Aussage von Heer schon einen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag in das Unternehmen investiert.
Doch Zwischenfälle, ausgerechnet in der Ukraine, machen alle Hoffnungen zunichte. "Mal konnten wir unsere Turbinen nicht aufstellen, weil dort über Tage ein Sturm tobte, mal stand ein Kran nicht zur Verfügung", muss Heer erkennen. Fest eingeplante Zahlungen bleiben aus.
Weshalb die Ukrainer die fehlenden geschätzten rund 20 Millionen Euro nicht nachschießen wollten, ist offen. Auch Sanierer Heer ist ratlos: "Es ergibt einfach keinen Sinn zu diesem Zeitpunkt."