Energiemarkt Gazproms heiße Flirts

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Traum von der Lieferkette

Griff nach Europa

Geht das Geschäft von EnBW mit Novatek über die Bühne, läge Gazprom-Chef Miller bald nicht nur bei einem weiteren größeren deutschen Versorger im Bett. Der mächtige Russe wäre auch einen großen Schritt weiter in seinem Angriffsplan, den er mit Ministerpräsident Putin abgestimmt hat: Gazprom soll kein reiner Rohstoffexporteur mehr sein, der Gas nur bis an die Grenze liefert. „Miller träumt davon, die gesamte Lieferkette zu kontrollieren“, sagt der unabhängige Moskauer Energieexperte Michail Krutischin. „Sie wollen ihr Produkt vom sibirischen Gasfeld bis in die deutsche Küche liefern.“

Damit steht Gazprom-Chef Miller an der Spitze derer, die seit Jahren die in Russland gültige Staatsdoktrin endlich in die Tat umsetzen: die Emanzipation vom allzu leicht verdienten Geld, das der Rohstoffreichtum dem Land beschert, den Wandel der Wirtschaft zu höherwertiger Produktion zugleich aber bremst. Miller will vormachen, wie es anders geht. Dazu möchte er Gazprom in einen Konzern umbauen, der Gas fördert, Pipelines baut und betreibt, Kraftwerke hochzieht, Strom mit Gas produziert, direkt mit Industrie- und Privatkunden Geschäfte macht.

Kühle Kanzlerin

Der Miller-Plan gewinnt umso rasanter an Konturen, je länger der Atomausstieg in Deutschland läuft und die Versorger neue Geschäftsmodelle suchen. Denn die Gazprom-Strategen, die den freiwilligen Abschied Deutschlands aus der Kernenergie fassungslos belächeln, rechnen mit einem drastisch steigenden Gasbedarf der Industrienation im Herzen Europas. Diese Lücke, glauben die Russen, kann einzig und allein Gazprom schließen.

Aus diesem Grund schickte der Gazprom-Chef vorige Woche zum Beispiel seinen Diplomaten Viktor Subkow zum deutsch-russischen Gipfel nach Hannover. Russlands spröder Vize-Premier, treuer Putin-Paladin und Gazprom-Chefaufseher, sollte Kanzlerin Angela Merkel den Blanko-Segen für Gazprom-Investitionen in Deutschland abringen. Denn Gazprom-Lenker Miller will sicher sein, dass er zwischen Rhein und Oder willkommen ist und jene politischen Störfeuer ausbleiben, die bislang alle Einstiegs- und Übernahmegerüchte begleiteten.

Dazu brachte Gazprom-Aufsichtsratschef Subkow ein Dokument mit, in dem er der Kanzlerin ein Gasdefizit nach der Energiewende vorrechnete. Insgesamt, so Subkows Prognose, erwarte er in Deutschland einen „zusätzlichen Gasbedarf von 30 bis 35 Prozent“. Kanzlerin Merkel setzte ihr ironisches Lächeln auf und antwortete kühl: „Schau’n wir mal.“

Großen politischen Widerstand gegen seine Expansionspläne in Deutschland muss Miller hierzulande deswegen aber kaum fürchten. Politiker wie Martin Lindner, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, begrüßen die Gazprom-Pläne. „Ohne Atomkraft“, ließ der Liberale verlauten, „ist Deutschland an russischen Gaslieferungen noch mehr interessiert als früher.“

Wie groß das Interesse ist, zeigt EnBW-Chef Villis, dessen Unternehmen bisher bis zu 50 Prozent vom Atomstrom abhing. Zwei Meiler sind schon abgeschaltet, es muss dringend Ersatz her. „Der kann mittelfristig nur in Form von Gaskraftwerken dargestellt werden“, sagt ein Insider bei EnBW, „dafür muss sich der Konzern aber dringend einen Partner suchen.“ Und die Not für EnBW, einen starken Partner für das Gasgeschäft zu finden, steigt dramatisch. Im ersten Halbjahr 2011 fiel ein Verlust von 600 Millionen Euro an – auch infolge des Ausstiegs aus der Atomenergie.

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