Energiewirtschaft E.Ons neues Flaggschiff heizt Sibirien ein

Seit dem Einstieg bei OGK-4 produziert E.On Strom im fernen Sibirien. Dort betreibt der deutsche Energieriese das mächtigste Gaskraftwerk auf dem europäisch-asiatischen Festland.

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E.On produziert im fernen Sibirien Strom

Was ist E.On? In Surgut, der Ölstadt im Westen Sibiriens, ist dieser Firmenname kaum wem ein Begriff. Offiziell scheint der Energieriese noch nicht eingezogen zu sein in die örtliche Stromfabrik Gres-II, die neuerdings zum Kraftwerkpark der Rheinländer zählt. Neben der Pforte des größten Gaskraftwerks auf europäisch-asiatischem Boden klebt ein schlichtes Messingschild. Sperrige, mit Raureif bedeckte Worte stehen drauf, in kyrillischen Lettern: „Russische Aktiengesellschaft Vereinigte Energiewerke. Filiale der vierten Erzeugungsgesellschaft für den Energiegroßhandel.“ Das ist Russlands neuer Energieversorger E.On. Dahinter stecken die Deutschen. Daran müssen sich die Sibirier erst einmal gewöhnen.

Den Stromversorger mit dem klotzigen Namen, abgekürzt OGK-4, hat der deutsche Energiekonzern vor mehr als einem Jahr gekauft. Bei einem Kaufpreis von 4,6 Milliarden Euro war der Deal der Düsseldorfer die zuletzt höchste deutsche Direktinvestition in Russland. Die Chance hatte sich eröffnet, als der russische Strommonopolist RAO UES ab 2007 zerschlagen und dessen privatisierte Teilgesellschaften versteigert wurden. E.On ergatterte mit die attraktivste Tochter: Neben schrottreifen Kraftwerken wie „Schatura“ bei Moskau betreibt die OGK-4 den Vorzeige-Generator Gres-II in Surgut. Sechs Blöcke liefern pro Jahr 4.800 Megawatt Strom – so viel wie kein E.On-Kraftwerk in Deutschland und mehr als jene vier Kohlebrenner zusammen, die OGK-4 im Land sonst noch betreibt.

Jewgenij Schiljajew ist stolz auf seine Stromfabrik. „Unser Kraftwerk ist das Beste, was Russland zu bieten hat“, frohlockt er. Dass die Deutschen ausgerechnet hier investieren, ist zumindest teilweise sein Verdienst. Nachdem der 56-Jährige vor zwei Jahren zum Generaldirektor aufgestiegen war, kamen bald die ersten E.On-Ingenieure und inspizierten vor Ort, was ihre Vorstände zu kaufen gedachten. Geduldig zeigte Schiljajew den peniblen Deutschen sein Mega-Kraftwerk – bis sie schließlich nach Düsseldorf reporteten, dass die Anlage gut in Schuss sei und aus technischer Sicht ein guter Kauf wäre.

Das Kraftwerk beeindruckt. Was im Innern des monströsen Betonbaus mit den drei rot-weißen Schornsteinen blitzt und blinkt, ist für russische Verhältnisse topmodern: Pro Schicht halten zwei Dutzend Ingenieure je zwei Blöcke am Laufen. Sie sitzen im klimatisierten Kontrollraum vor einem fünf Meter breiten Digitalbildschirm, auf dem Ströme von Dampf, Strom und Gas in unterschiedlichen Farben nachgezeichnet und mit allen möglichen technischen Daten versehen werden. Per Mausklick lässt sich die Anlage steuern. Im Störfall schaltet sie sich automatisch ab.

Normalerweise laufen russische Fabriken eher im manuellen Betrieb.

Nur drei Mann malochen. Sie checken im Herz des Kraftwerks die Generatoren, kontrollieren Rohre und müssen im Notfall das Schweißgerät ansetzen. Vermutlich haben diese Arbeiter den heißesten Arbeitsplatz Sibiriens, denn in der fünf Stockwerke hohen Halle liegt die Temperatur stets bei etwa 40 Grad. Das schirmt einen ab von den heftigen Temperaturschwankungen, die an der frischen Luft den Kreislauf der Sibirier strapazieren. „Im Frühling gehst du bei 20 Grad Plus im T-Shirt zur Arbeit“, erzählt einer der Angestellten, „und wenn du Abends nach Hause kommst, schneit es plötzlich bei Minustemperatur.“

Wirtschaftskrise? Nicht in Gres-II in Sibirien

Im Kraftwerk herrscht zwischen den gusseisernen Brennöfen stets äquatornahe Hitze. Die Arbeiter sind das ebenso gewohnt wie den Schnee und die Kälte vor der Tür. Kondenswasser tropft von der Decke. Durch tennisballgroße Gucklöcher lässt sich die 548 Grad heiße Gasfeuer beobachten, dessen Dampf in drei Druckstufen zu elektrischem Strom umgewandelt wird. Ein Arbeitsplatz der Kontraste.

Gres-II läuft am Limit. Der Strom fließt aus dem Kraftwerk in Hochspannungsleitungen, die wie ein riesiges Spinnennetz über halb Sibirien gespannt sind. Dass seine Generatoren heute wieder maximal ausgelastet sind, sieht Generaldirektor Schiljajew bei einem kurzen Blick auf den Monitor auf seinem Schreibtisch: Eine lineare grüne Linie flackert am oberen Bildschirmrand, mehr Strom spucken die Generatoren nicht aus. Wirtschaftskrise? Nachfrageeinbruch? Davon will der Kraftwerkschef nichts wissen. Der Elektroingenieur erwartet für sein Revier in Westsibirien bis 2015 einen Anstieg des Verbrauchs um ein Drittel – und davon will er profitieren: „Wir sind die einzigen Erzeuger, die überhaupt neue Anlagen bauen.“

Und zwar gleich nebenan. Seit vorigem Sommer lässt E.On am Ufer des Flusses Ob zwei neue 400-Megawatt-Blöcke hochziehen, die den Energiehunger Sibiriens stillen sollen. Während die Düsseldorfer an anderen Standorten erst einmal Geld in die Modernisierung bestehender Anlagen stecken, stellen sie in Surgut bis 2010 ein neues Kraftwerk ans Ufer des Ob. Rund 200 Arbeiter gießen derzeit das Fundament auf. Bis zu einer Temperatur von Minus 30 Grad können sie arbeiten. „Wenn’s kälter wird, bricht der Stahl“, sagt Generaldirektor Schiljajew, „die Arbeiter würden das aushalten.“

Ohne den Investor aus Düsseldorf, der das Kraftwerk aus dem Eigenkapital finanziert, würden die Russen den Neubau nicht finanzieren können. „Mit dem Einstieg von E.On ist plötzlich Geld da für solche Projekte“, freut sich Schiljajew und triumphiert: „Wir waren, sind und bleiben das Flaggschiff unter Russlands Kraftwerken.“ Egal, ob E.On drauf steht oder nicht.

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