Ex-DFB Trainer Gero Bisanz „Als Damentrainer belächelt“

Gero Bisanz hat den DFB-Damen zum internationalen Durchbruch verholfen. Im Interview erklärt der Ex-Bundestrainer, wie sich Frauenfußball entwickelt hat - und was er mit dem FC Barcelona gemein hat. VON JAN GULDNER

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Gilt als Pionier des deutschen Frauenfußballs: Gero Bisanz. Quelle: handelsblatt.com

Herr Bisanz, sie waren von 1982 bis 1996 Trainer der Frauenfußball-Nationalmannschaft. Sie haben den Frauenfußball in Deutschland von Beginn an maßgeblich begleitet und aufgebaut. Wenn Sie sehen, welche Möglichkeiten und welche Aufmerksamkeit ihre Nachfolgerin Silvia Neid heute bekommt: Juckt es Sie da nicht manchmal in den Fingern, wieder einzusteigen?

Nein, noch mal einsteigen will ich auf keinen Fall. Ich beneide Silvia Neid auch nicht, aber ich bewundere die Möglichkeiten, die meine ehemalige Spielführerin heute hat. Sie hat ein großes Funktionsteam mit Physiotherapeuten, Ärzten, Co-Trainer und Mentaltrainer. Sie kann sich länger als einen Monat auf die Weltmeisterschaft vorbereiten. Das sind optimale Bedingungen. Ich hoffe, dass dann auch ein gutes Turnier herauskommt.

Als Sie 1982 angefangen haben, war der deutsche Frauenfußball noch nicht so weit wie heute. Mit welchen Problemen hatten Sie zu kämpfen?

Zunächst einmal wusste ich eigentlich nicht viel vom Frauenfußball. Ich musste mich informieren, sprach viel mit Trainerkollegen. Außerdem konnte ich direkt in meiner Nähe die Frauenmannschaft von Bergisch Gladbach beobachten, die damals das dominierende Team in Deutschland war.

Und was war das Ergebnis ihrer damaligen Beobachtungen?

Die größte Schwierigkeit, die ich gesehen habe, war der Mangel an jungen Nachwuchsspielerinnen. Bei meinem ersten Länderspiel zeigten die erfahrenen Spielerinnen zwar eine gute Leistung. Aber um nachhaltig etwas aufzubauen, bedurfte es trotzdem junger Nachwuchskräfte.

Was war der Grund für die fehlende Jugend?

Die Mannschaften, die oben mitspielten, haben jahrelang in der gleichen Formation zusammengespielt, das waren alles etablierte, ältere Spielerinnen. Zudem gab es wenig Jugendtrainerinnen, die den Nachwuchs gefördert hätten. Deshalb waren die ersten Jahre auch sehr schwer. Ich merkte schnell, dass ich das alleine nicht bewältigen kann...

... und deshalb holten Sie sich Verstärkung in Form ihrer damaligen Assistentin Tina Theune-Meyer.

Ja, eine bessere Jugendarbeit war nötig, um international bestehen zu können. Ich habe den DFB darum gebeten, mir meine ehemalige Studentin Tina Theune-Meyer zur Seite zu stellen. Nach einigem hin und her wurde das auch genehmigt und wir haben angefangen junge Spielerinnen zu sichten.

Zwanziger wichtigster Entwicklungshelfer

Zu den Sondertrainingseinheiten reisten Spielerinnen aus ganz Deutschland an. Wie waren ihre ersten Eindrücke von den damaligen Nachwuchskickerinnen?

Ich habe gemerkt, dass diese jungen Spielerinnen unheimlich begeisterungsfähig sind, dass sie Fußball spielten aus Liebe zum Sport selbst. Sie haben viele Opfer gebracht. Das Training begann um 18 Uhr und viele sind nachts wieder 100, 200 Kilometer nach Hause gefahren.

Jetzt hatten Sie zwar junge Spielerinnen im Kader, aber es fehlte trotzdem noch an medialer Aufmerksamkeit und – vor allem – an Geld.

Natürlich gab es auch finanzielle Probleme. Wenn ich Geld für Lehrgänge beantragt habe, um meine Mannschaft mal eine Woche oder nur mehrere Tage zusammen zu haben, musste ich den damaligen Männer-Bundestrainer fragen. Dazu kamen dann noch andere Trainerkollegen, die sagten, das Geld dürfe aber bloß nicht unserer männlichen Jugend weggenommen werden. Diese Schwierigkeiten konnten wir überwinden, weil der damalige Generalsekretär Horst R. Schmidt half, unsere Forderungen beim Präsidium durchzudrücken.

Das Präsidium war also nicht immer begeistert davon, Geld in den Frauenfußball zu stecken?

Sagen wir es mal so: Der jetzige DFB-Präsident Theo Zwanziger ist ein Freund des Frauenfußballs. Das konnte man von anderen Präsidenten vorher eigentlich nicht sagen. Sie haben den Frauenfußball akzeptiert und unterstützt, aber als Freund hatte sich keiner geoutet. Heute ist der Präsident eine ganz wichtige Figur in der Entwicklung des Frauenfußballs. Theo Zwanziger fördert ihn ungemein.

Das klingt so, als wäre es früher in der Männerdomäne Fußball sehr schwierig gewesen, Unterstützung für die Frauen-Mannschaft zu finden. Fühlten Sie sich ernst genommen?

In den Anfangstagen mit Sicherheit nicht. Vom Generalsekretär schon, allerdings nicht von meinen Trainerkollegen. Ich glaube, die waren froh, dass sie das Amt nicht übernehmen mussten und man es mir aufgebürdet hatte. Damals wurde ich noch als „Damentrainer“ belächelt, aber das hat mir nichts ausgemacht.

Sie hatten damals bereits mit männlichen Profis gearbeitet, besaßen sogar die höchste Trainerlizenz. Was waren für Sie die größten Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfußball?

Der wesentliche Unterschied ist die Physis. Männer-Fußball ist schneller, es gibt spannendere Momente. Frauen müssen technisch und taktisch sauberen Fußball spielen. Deshalb ist der Frauenfußball aber nicht unästhetischer. Wenn man das Champions-League-Finale gesehen hat, sah man vom FC Barcelona Spielkunst höchster Güte. Aber die hatten auch kaum Körperkontakt, weil sie es nicht zugelassen haben. So stell ich mir das – natürlich nicht auf dem Niveau – im Frauenfußball vor.

Nicht einmal Mädchenumkleiden gab es

Hatten Sie anfangs Schwierigkeiten, sich auf die Frauen umzustellen?

Ich denke, ich habe die Spielerinnen gut erreicht, sonst hätten wir die späteren Erfolge nicht einfahren können. Ich wurde akzeptiert als eine Art väterlicher Freund, der bemüht war, das Können der Spielerinnen zu verbessern. Das Weibliche hat bei mir keine Rolle gespielt. Ich habe genau so trainiert, wie ich vorher zehn Jahre mit Männern trainiert habe. Ich habe den Anspruch hoch gesetzt, den Leistungsgedanken in den Vordergrund gestellt.

Viele der Frauen waren damals Amateurfußballerinnen. Konnten die Spielerinnen Ihrem Leistungsanspruch von Anfang an überhaupt gerecht werden?

Zunächst habe ich die Spielerinnen auch erstmal unterschätzt. Ich musste erst lernen, sie ernst zu nehmen. Aber als ich merkte, dass sie unheimlich wissbegierig waren, dass sie Fußball aus Leidenschaft gespielt haben, habe ich das auch zu meiner Leidenschaft gemacht. Mein Ziel war es, sie in ihren Schwächen zu unterstützen und ihre Stärken zu verbessern. Und wir kamen dann technisch und taktisch auch auf ein gutes Niveau.

Das kann man wohl sagen. Im Jahr 1989 – nach nur sieben Jahren Aufbauarbeit – gewannen Sie die erste Europameisterschaft.

Wir schlugen den amtierenden Europameister Norwegen mit 4:1. Das war der Durchbruch.

Und dieser Erfolg rief nun endlich auch die Medien auf den Plan.

Ja, wir hatten ein volles Haus in Osnabrück mit über 23.000 Zuschauern. Wir sind während des ganzen Spiels angefeuert worden, durch das Stadion gingen die La-Ola-Wellen. Das hat die Medien aufmerksam gemacht.

Inwiefern war ihr erster persönlicher Erfolg auch ein Erfolg für den Frauenfußball in Deutschland?

Durch die höhere Aufmerksamkeit haben viele Eltern ihre Aversion gegen Frauenfußball abgelegt und haben ihre Mädchen spielen lassen. Es gab einen Zuwachs an Mädchen-Anmeldungen, den manche Vereine gar nicht bewältigen konnten, weil sie nur auf Jungenfußball ausgerichtet waren. Die hatten gar nicht genug Umkleiden und Sportplätze zur Verfügung.

Frauenfußball steckt noch in Kinderschuhen

Dieser EM-Sieg sollte nicht Ihr einziger bleiben. Sie gewannen die Europameisterschaften 1991 und 1995, wurden zwischenzeitlich WM-Zweiter...

Eine solche Entwicklung von Null bis an die Spitze war unglaublich. Als die ersten Erfolge kamen, habe ich mich noch mehr reingekniet. Ich arbeitete auch verstärkt mit den Vereinstrainern zusammen, um ihnen die Defizite und Stärken ihrer Spielerinnen zu erklären. Dann kam plötzlich die Idee auf, eine Frauen-Bundesliga zu gründen...

... die 1991 dann auch in die Tat umgesetzt wurde.

Möglich wurde das alles durch viel Überredungskunst und die tatkräftige Unterstützung von Hannelore Ratzeburg. Sie war sehr engagiert und hat mir sehr geholfen. Es gesellte sich ein Mosaiksteinchen zum anderen und am Ende wurde ein gutes Bild daraus.

Hatten Sie damit ihr Ziel erreicht, den professionellen Frauenfußball in Deutschland zu etablieren?

Ich habe den EM-Sieg 1989 immer als Ausgangspunkt betrachtet und wollte ein Fundament hinterlassen auf dem man weiter aufbauen kann. 1996 konnte ich guten Gewissens sagen, mein Antrieb ist erfolgreich gewesen, ihr macht jetzt weiter.

Das kann man durchaus wörtlich nehmen. Ihre Nachfolger haben Sie handverlesen. Und auch in anderen Funktionen der DFB-Frauenabteilung finden sich ihre früheren Spielerinnen.

Das stimmt. Ich habe zunächst darauf gedrungen, dass die Frauen sich selbst trainieren müssen und habe Tina Theune-Meyer als meine Nachfolgerin empfohlen und Silvia Neid als ihre Assistentin.

Andere Ihrer Spielerinnen trainieren die Jugendauswahlen des DFB, Doris Fitschen ist sogar DFB-Managerin geworden.

Das sind alles Spielerinnen aus der ersten Europameistermannschaft von 1981. Das hänge ich mir natürlich auch an, weil ich diese Spielerinnen ausgesucht, gefördert, zu Nationalspielerinnen gemacht habe und zu Persönlichkeiten mitgeformt habe. Das macht mich schon ein bisschen stolz.

Wenn Sie ihr Erbe heute betrachten, sind Sie dann zufrieden mit dem was Sie sehen?

Auch heute noch ist der Frauenfußball nicht aus den Kinderschuhen heraus. Spricht man vom gesamten Frauenfußball in Deutschland, gibt es noch sehr viel zu tun. Es gibt drei oder vier Vereine, die medienwirksam sind, wo sich alle Nationalspielerinnen tummeln. Was darunter kommt ist förderungswürdig.

Hoffen aus das kleine Sommermärchen

Aber die Nationalmannschaft ist doch so erfolgreich wie nie, ist das kein Pluspunkt?

Sicherlich, aber wenn wir von Erfolgen sprechen geht es auch in der Regel nur um die Nationalmannschaft. Die ist ohne Zweifel sehr erfolgreich, und drei oder vier Vereinsmannschaften ebenfalls. Aber man spricht nicht von der Bundesliga insgesamt, da sehe ich unheimlich viel Entwicklungspotenzial.

Egal wen man fragt, Fifa, Organisationskomitee und DFB: Glaubt man den Einschätzungen der Organisatoren der Weltmeisterschaft, steht dem Frauenfußball jetzt endgültig der große Durchbruch bevor. Sehen Sie die Zukunft auch so rosig?

Was man an den Zahlen sehen kann ist klar: Der Mädchenfußball hat sich rasant entwickelt, da kommen sehr viele neue Anmeldungen. Diese Entwicklung wird auch weitergehen, aber wie so viele sich das denken, dass dem Frauenfußball die Zukunft gehört, so einfach ist das auch nicht. Das wird kein Selbstläufer, das muss nach meiner Auffassung hart erarbeitet werden. Außerdem hängt sehr viel vom Geld ab. Es ist ein schwerer Weg und ich sehe das nicht so euphorisch, wie das viele andere sehen.

Sie treten auf die Euphoriebremse. Was ist nötig, damit der Frauenfußball dem Männerfußball näher kommt?Es braucht sehr, sehr viel Zeit und Geduld den Frauenfußball gleichberechtigt im Amateurbereich neben dem Männerfußball zu etablieren. Man muss sich das realistisch vorstellen: Ein Verein der vom Männerfußball geprägt ist hat einen Sportplatz und zwei Kabinen. Wie sollen dort Männer und Frauen zusammen trainieren? Das kann noch nicht in allen Verbänden funktionieren, weil da immer noch der Männerfußball an erster Stelle steht.

Ist Ihrer Meinung nach Änderung in Sicht?

Man kann es hoffen. Warum sollen Frauen nicht die gleiche Berechtigung haben wie Männer, Fußball zu spielen? Aber da wären wir wieder bei der leidigen Geldfrage. Es hängt alles davon ab. Die Bundesliga der Männer spielt sehr viel Geld ein, aber bei den Frauen sind es immer nur eine handvoll Mannschaften, die erfolgreich sind. Alle anderen laufen hinterher.

Randvolle Stadien bleiben also auch weiterhin die Ausnahme beim Frauenfußball?

Es ist Potenzial da, aber das ist weiterhin ausbaufähig. Von den Zuschauerschnitten kann man die Frauenliga mit dem unteren Drittel der dritten Männerliga vergleichen. Die spielen vor 800, 1000 Leuten. Bis sich das ändert, muss die Qualität noch unheimlich steigen. Es müssen bessere Trainer zur Verfügung stehen, die müssen aber auch bezahlt werden. Und natürlich sind die Vereine auch abhängig vom Fernsehen.

Gerade vor dem Hintergrund mehr Aufmerksamkeit und dadurch mehr Zuschauer zu gewinnen: Wie wichtig ist die Weltmeisterschaft im eigenen Land?

Es kommt ganz darauf an, wie unsere Frauen spielen. Ich rede nicht von Titeln, sondern von der Qualität der Spiele. Sie müssen Spiele auf höchstem Niveau zeigen, damit die Zuschauer das anerkennen.

Und dann steht dem Boom nichts mehr im Wege?

Wenn es gelingt ein kleines Sommermärchen zu schaffen, werden sich auch wieder viele Mädchen wieder mehr für Fußball interessieren. Und gerade in Deutschland ist der Frauenfußball beliebter, als viele etablierte Sportarten. Aber das wird eher peu à peu geschehen – einen nachhaltigen Boom sehe ich nicht.

 

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