Filmkritik "Der Baader Meinhof Komplex": Kultureller Totalverlust

Bernd Eichingers “Baader Meinhof Komplex” banalisiert den Terrorismus auf denkbar raffinierte Weise.

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Die Schauspielerinnen Johanna Quelle: dpa

So verständnisreich und gewaltarm einige Filmemacher von einst die RAF auch ästhetisiert haben mögen; sie versuchten dabei stets, den Motiven der Terroristen auf die Spur zu kommen - und sie sorgten damit für Gesprächsstoff. Nicht so Bernd Eichinger (Produzent), Uli Edel (Regie) und Stefan Aust (Buch/Vorlage): Sie jagen in ihrem “Baader Meinhof Komplex” (Filmstart: 25. September) verständnisarm und gewaltreich den Fakten hinterher - und machen einen sprachlos. Das Trio will der angeblichen Ästhetisierung des Terrors im Namen historischer Genauigkeit ein Ende bereiten - und ästhetisiert die Terroristen auf Kosten der historischen Redlichkeit. Es ist ein schlimmer, kapitaler Bankrott, ein kultureller Totalverlust: Dieser Film taugt nicht einmal als Einstieg in das Thema für den Hauptschulunterricht. Höchstens für einen Oscar.

Hauptschüler aber sollen mit dem “Baader-Meinhof-Komplex” auch gar nicht erreicht werden, eher die “Multiplikatoren” in den deutschen Redaktionsstuben (und über sie die breite Öffentlichkeit): Schönschreiber, Feuilletonchefs und Springer-Redakteure, die sich dem Thema seit jeher meinungsstark verschrieben haben - und die sich dann, flügelübergreifend, rechts wie links, am Thema müde dichteten. Heute verzehren sie sich in Hass und Selbsthass auf ihre Übertreibungen und Irrtümer, verwünschen die “bleierne Zeit” und sehnen sie weg, ihre intellektuelle Düsternis und eminente Strahlkraft, deren Fluchtpunkt die RAF als gewalttätiger Arm der Woodstock-Lümmel stets war. Diese RAF und mit ihr das Jahrzehnt der Nackten, Kommunarden, Maoisten, soll nun - persönlich, nachholend und breitenwirksam - zur Strecke gebracht werden: Darum geht es. Deshalb, nur deshalb, dürfen wir Andreas Baader und seiner Bande in den nächsten Wochen beim Morden zuschauen: Damit wir nicht mit uns selbst über diese widersprüchliche Zeit im Gespräch bleiben.

Das alles ist zeitgeistgemäß, gewiss, schon im “Untergang” hat Eichinger die Komplexität der Ereignisse reduziert, Geschichte personalisiert, das Volk zu Statisten degradiert - und damit nachholend nationalkollektive Selbstzweifel zerstreut. Diesmal aber geht er noch einen Schritt weiter: Ließen sich hinter den letzten Tagen im Führerbunker die Kriegs-, Vernichtungs- und Terrorjahre davor zumindest erahnen, verdichtet sich das Dezennium 1967 - 1977 im “Baader-Meinhof-Komplex” zu einem zeitlos grauen Block, auf den die Kriminalgeschichte der RAF in umso grelleren Farben gepinselt wird, Das lenkt ab von den eigenen Irrungen und Wirrungen, von den unterdrückten Sympathien für Aufruhr, Revolution, Gewalt, das reinigt Seele und Nation, das erzeugt Stimmung, gutes Gefühl und Aufmerksamkeit, das schafft eine einzige, höhere, endgültige Wahrheit: Die RAF war eine Bande von Mördern. Und siehe da: Artig gratuliert der “Spiegel” seinem ehemaligen Chef Stefan Aust zur “Entmythologisierung” der RAF, während die FAZ in der Person Frank Schirrmachers mit der Terrorgruppe gleich lustvoll die 68er beerdigt: Aus die Maus, endlich Schluss mit Mao- und Marxismus-Kitsch, mit Heinrich Böll-Verblödung und Peter-Weiss-Wascherei, Vorhang zu und keine Fragen offen: einmal noch Eichinger gucken, einmal noch Aust lesen, das ist hier die Antwort. Ende der Geschichte.

Wie gesagt, der Film scheitert auf der ganzen Linie. Er ist nicht nur kein Beitrag zur kulturellen Selbstverständigung; er zeigt nicht nur kein Interesse am Stoff, den er zu erzählen vorgibt; er verhöhnt auch noch die Opfer. Zweieinhalb Stunden geht es ihm erkennbar nur darum, dass Stefan Aust über seine (!) Geschichte noch mal ein Tränchen verdrücken kann. Was inhaltlich nicht mehr ist als eine chronologische Rekonstruktion der kriminellen Spur der RAF und dramaturgisch changiert zwischen einem Aktenzeichen-xy- Einspieler und Guido-Knopp-TV (“Szene nachgestellt“), verharkt sich schließlich allein celebrity-ästhetisch, durch die handverlesene Schauspielschar, durch Moritz Bleibtreu (Andreas Baader), Martina Gedeck (Ulrike Meinhof) und Johanna Wokalek (Gudrun Ensslin), in unserem Gedächtnis. Eichinger schenkt den drei Terroristen, die sich in Stammheim so trefflich zu inszenieren verstanden, nicht nur frische, sympathische, eindrucksvolle Gesichter; er ikonisiert sie, post mortem, fürs Nationalgedächtnis: Was für ein Bombentrio!

Das reine Straßenbühnengeschehen des Bleibtreu-Terrorismus wird uns dabei als eine Art Film-Ploetz ins Hirn gepaukt: perfekt inszenierter Frontalunterricht mit originalen Peterwagen und Kajalstiftaugen, mit täuschend echten Haschichtüten und Mustertapeten - und mit einem Dutschke-Klon, der im Audimax wie gestern “Ho-Ho-Ho-Chi-Minh” skandiert. Die Daten und Taten werden aktenkundig erzählt, mit archivarischem Stolz in Reihe gebracht, mit Pressefotos und Tagesschau-Schnipseln überblendet: der sterbende Ohnesorg vor dem VW-Käfer…, der junge Boock, der zur scharfen Ensslin in die Wanne steigt…, der Blumenstrauß, mit dem sich Susanne Albrecht bei den Pontos Einlass verschafft… - das alles reiht sich zu einer Digitalkopie der terroristischen Bildergeschichte, ganz analog zu der, wie sie sich den Zeitgenossen vor drei, vier Jahrzehnten darbot - mit dem Unterschied, dass sie heute, als Roadmovie der Baader-Meinhof-Clique in Zeiten der Pendlerpauschale, als Homestory der Stammheim-WG in Zeiten der Schwulenehe, notwendig aus der Zeit fällt. Keine Frage: Eichinger, Edel und Aust wollen die Bedingungen, aus denen der Terrorismus hervorgegangen ist, nicht verstehen.

Und so wird der Terrorismus im “Baader-Meinhof-Komplex” dreifach banalisiert, auf denkbar raffinierte Weise: politisch korrekt als Film übers Töten, für das es keine Gründe gibt und kein kulturelles Klima; journalistisch qualifiziert als gründlich recherchierte Faktenreihung, die den Blick auf die Umstände willentlich verstellt; cineastisch professionell als rasante Bonnie-und-Clyde-Travestie, die aus realexistierenden Terroristen nachträglich fiktive Helden macht.

Dass Eichinger, Edel und Aust damit den Zeitgeist ausbeuten, ginge ja noch hin, Aber dass sie hinter dem Vorhang ihrer Kriminalgeschichte, Schnitt für Schnitt, ein wichtiges Stück deutscher Zeitgeschichte verschwinden lassen; dass sie mit ihrer detailgenauen Spurensicherung, Szene für Szene, jedes aufklärerische Interesse dementieren; dass sie mit ihrer Ästhetisierung der Terroristen als schießwütige Mördercombo, Bild für Bild, die Gefühle der Angehörigen der Opfer aufwühlen - das ist schlicht unverzeihlich.

Es kommentiert WirtschaftsWoche-Chefreporter Dieter Schnaas

Was die Opfer quält, haben nie eindringlicher die Geschwister Gerold von Braunmühls, einen Monat nach dessen Ermordung am 10. Oktober 1986, zu Papier gebracht: “Was wolltet Ihr mit diesem Mord erreichen? Was sind Eure Ziele, und was glaubt Ihr, wird passieren, wenn Ihr so weitermacht?” (zitiert aus: “An die Mörder unseres Bruders”, tageszeitung vom 7.11. 1986). Es sind diese Fragen nach den Beweggründen, diese Fragen, auf die es nie eine endgültige Antwort geben wird, diese Fragen, denen der “Baader-Meinhof-Komplex” so konsequent ausweicht, die immer wieder neu gestellt werden müssen - auch wenn das Feuilleton ihrer noch so satt und überdrüssig ist - so sehr, dass es frühe Versuche einer Verständigung in den ideologisch versteinerten 70er Jahren als “Heinrich-Böll-Kitsch” denunziert und heute lieber einen “Film über die Liebe” sehen will (Schirrmacher). Ihnen, den scheinheilig Wetterfesten von damals und den postmodernen Chefironikern von heute, hat Böll am 10.01.1972 (“Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit”) ins Stammbuch geschrieben, “etwas glattzüngige Mechaniker” zu sein, “die alles gut und das meiste besser wissen, im Vollgefühl ihrer Etabliertheit hin und wieder mit gelinder Wehmut sich nach Ideologie sehen…, ein bisschen zu wenig Ideologie, Weltanschauung, Metaphysik in Erinnerung…”

Dass es damals viel zu viel Weltanschauung gab und viel zu wenig Gelassenheit und Zuversicht - geschenkt. Die zentralen Fragen aber, warum sich 1967/1968 die ideologischen Fronten versteinerten und warum kaum vier Jahre später sechs (Terroristen) gegen 60.000.000 (Bürger) standen (Böll), warum der rigorose Moralismus in moralischen Rigorismus umschlug, der antiautoritäre Reflex in die “Propaganda der Tat”, die idealistische Hoffnung in die sinnlose Gewalt, warum eine ethisch eifernde Adoleszenz halb willentlich, halb ahnungslos (und schließlich vollständig besessen) der Welt entrückte und der persönlichen Hybris erlag, warum sie ihre Intelligenz einer halsbrecherischen Dialektik opferte und ihrem Humanismus zugunsten trivialmarxistischer Dogmen entsagte, warum schließlich wenige in die Brutalität hinein gerieten, um schließlich im Firlefanz eines lächerlichen Märtyrerkults zu enden - diese Fragen blendet der Film einfach aus. Bruno Ganz alias BKA-Chef Horst Herold darf sie im “Baader-Meinhof-Komplex” nur höchst verschämt und schwundstufenhaft stellen. Die Antwort des Drehbuchs darauf zeigt sich in der Reaktion des Regierungsbeamten: Schulterzucken - wen interessiert’s?

Und so erfährt der Zuschauer nichts von Peter Urbach, dem Spitzel des Berliner Verfassungsschutzes, der Kommunarden und Krawallmacher, von denen einige später unter dem Namen RAF firmierten, mit Waffen und Sprengstoff versorgte - ganz offensichtlich, um die Situation auf die gewünschte Spitze zu treiben. Nichts von der eskalierenden Rolle der stets erregungsbereiten Springer-Presse, die genüsslich ihren vorverurteilenden Sud gegen die “Gesinnungslumperei” anrührte und den Widerstand gegen den Widerstand organisierte: “Man darf auch nicht die ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen… Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt!” (Bild vom 7. Februar 1968). Man erfährt nichts vom intellektuellen Schlussverkauf einer zur Flagellanz neigenden Schriftstellerei, die Che Guevara zum “vollkommensten Menschen unserer Zeit” (Sartre) verklärte und den Mythos von der in Deutschland stattzufindenden Weltrevolution gegen den imperialistischen Faschismus erst begründete: “Sind wir mitschuldig an diesem Tod? Sind wir Verräter?”, geißelt sich Peter Weiss nach Guevaras Tod und: “Er zeigte: Das einzig Richtige ist, ein Gewehr zu nehmen und zu kämpfen”. Man erfährt nichts von den stillen Sympathisanten, die sich zwei, drei Jahre später beim Sektempfang damit brüsteten, der Ulrike und der Gudrun für eine Nacht ihre Wohnung…

Schlimmer noch: Man erfährt nichts von den kulturellen Vorbedingungen des Terrorismus, der in Futurismus, Dadaismus, Surrealismus und Situationismus jahrzehntelang künstlerisch durchgespielt worden war, Nichts von Robespierre (“Tugend ohne Terror ist machtlos”), Johannes Most (“Philosophie der Bombe”), Franz Fanon, Guy Debord, die dem Terrorismus als Befreiung von staatlichem Terror rhetorisch den Weg bereiteten. Nichts vom internationalen Kontext des deutschen Terrorismus, von Vietnam, Kuba, Palästina, Castro, Guevara und den Tupamaros in Uruguay, nichts von der lateinamerikanischen Stadtguerilla (Carlos Marighela), den amerikanischen “Weathermen”, der Actien Directe (Frankreich). Nichts von den Sonderbedingungen in Deutschland, vom erfolgreichen Überdauern der Nazi-Eliten in der Bundesrepublik, vom “nachträglichen Ungehorsam” gegen die Jasagerei der Eltern, vom “unterbliebenen Aufstand gegen die Diktatur”, die eine zunehmend selbstbornierte Jugend “durch chronische Aufsässigkeit gegen die bürgerliche Liberalwelt” wettmachte (Odo Marquard) - und nichts vom “totalen Verblendungszusammenhang” (Theodor W. Adorno) einer Jugend, die zunehmen verquast und geschwollen gegen den Faschismus agitierte und an der Seite der Palästinenser gegen die jüdisch-imperialistische Weltverschwörung anrannte.

Natürlich ließe sich die Liste der historischen Blindstellen beliebig fortsetzen. Die größte ist sicher, dass der RAF-Terrorismus in den 70er Jahren sich nicht nur aufgrund seiner zunehmenden Brutalität und seiner zunehmenden Engführung als Baader-Befreiungs-Aktion mit jeder Tat mehr von seinem angeblich “politischen Ziel“ entfernte, die Massen für das Fernstenleid der Dritten Welt zu interessieren, sondern dass er die zunehmende Liberalität der Bundesrepublik unter Kiesinger, Brandt und Schmidt, die flexible Aneignung jugendlicher Begehrlichkeiten, die stillen transformatorischen Prozesse in Gesellschaft und Politik leugnet. Wenn Terror eine Kommunikationsstrategie ist, weil er über Zweite (die Opfer) vor allem Dritte (die Öffentlichkeit) erreichen will, dann war der Terrorismus spätestens seit 1972 nichts als hirnloses Scheitern.

Der Film immerhin scheitert mit friedlichen Mitteln: Er stellt die Ereignisse chronologisch dar - und übersieht die politischen Prozesse. Er dröselt die Details auf - und verklumpt die Geschichte. Es ist ein Trauerspiel.

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