Finanzkrise im Mittelstand Bei der Nachfolge nicht zögern, sondern anpacken

Wer sich als Unternehmer ziert, die eigene Nachfolge zu regeln, riskiert die Zukunft seines Lebenswerks. Zu viele Betriebe sind auf den Tod des Chefs nicht vorbereitet. Zu viele Betriebe sind an dem sich anschließenden Chaos schon zerbrochen. Und die Finanzkrise erhöht den Druck zusätzlich.

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Rüdiger Paulmann mit Sohn Detlev von Paulmann Licht: Zwei Jahre haben Vater und Filius den Wechsel vorbereitet - die Übergabe ist gelungen Quelle: Nils Hendrik Müller für WirtschaftsWoche

Genervte Eltern kennen das. Wieder einmal balgen sich die lieben Kleinen auf dem Spielplatz um eines dieser quietschroten Bobby-Cars. Die Zwei- bis Fünfjährigen schubsen, zetern und brüllen. Körperkraft und Lautstärke geben den Ausschlag, wer ans Lenkrad darf. Danach, immerhin, ist erst einmal wieder Ruhe.

Beim Hersteller der Rutscheflitzer, der BIG Spielwarenfabrik aus Fürth, war alles viel komplizierter. Klare Verhältnisse wie beim Nachwuchs gab es nicht. Lange, zu lange war nicht klar, wer bei BIG ans Steuer durfte - am Ende ist das Unternehmen fast daran zerbrochen.

Je länger Firmenlenker brauchen, die Kurve in den Ruhestand zu kriegen und die Nachfolge zu regeln, desto eingeschränkter sind im Fall der Fälle ihre Möglichkeiten - und die ihrer Erben. Die Übergabe zu verschleppen kostet Geld und Arbeitsplätze, sorgt für hastige Fehlentscheidungen, lässt Familien und Firmen auseinanderbrechen.

Umso wichtiger ist es, die Nachfolgeplanung frühzeitig und beherzt anzugehen, und das gerade jetzt. Denn die Alternativen werden unattraktiver, je länger die Finanzkrise grassiert. Zwar können Mittelständler ihr Unternehmen auch verkaufen statt zu vererben. Doch im Desaster an den Börsen und Weltmärkten sinken auch die möglichen Verkaufserlöse. Und die Banken tun sich zudem schwerer, Interessenten eine Übernahme zu finanzieren.

Dass es wichtig ist, zeitig die Übergabe zu planen, wissen Unternehmer sehr wohl - zumindest theoretisch. In einer Studie der Unternehmensberatung IMAP M&A-Consultants sagten 95 Prozent der Befragten, die Nachfolgefrage sei "für deutsche Unternehmen ein wichtiges Thema". Für "persönlich relevant" hielten es 87 Prozent.

Jahr für Jahr reichen rund 71 000 Unternehmer ihren Betrieb an einen Nachfolger weiter, schätzt das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn. Jedes vierte von ihnen erwischt es dabei kalt - wenn der Chef erkrankt oder überraschend stirbt, oft ohne sich vorher um seinen Nachfolger zu kümmern. Oder auch nur darum, einen Notfallordner zu deponieren: mit Zugangsdaten und Passwörtern, technischen Produkt- und Maschinendaten, Bauplänen oder Rezepten sowie nötigen Vollmachten, beispielsweise für Geschäftskonten. "Acht Prozent der Unternehmen überleben den Bruch an der Spitze nicht", sagt IfM-Geschäftsführer Frank Wallau.

Jahrzehntelang hatte auch Firmengründer Ernst Bettag den Bobbycar-Hersteller BIG geprägt. Noch heute ist auf der Internet-Seite zu lesen, der Patriarch habe den "schönsten Job der Welt" gehabt. Er hielt die Zügel fest in der Hand; Bettag gewährte niemandem Einblick in Zahlen oder Strategie. Sein Tod im Jahr 2003 traf das Unternehmen völlig unvorbereitet. Einen Nachfolger hatte der Gründer nicht aufgebaut.

Dabei hinterließ Bettag drei Söhne. Einer von ihnen, Claus Bettag, war sogar von 1976 bis 1986 technischer Leiter im väterlichen Betrieb gewesen. Doch er gab schließlich auf, um sein eigenes Unternehmen aufzuziehen. Auch seine Brüder hatten sich längst anderweitig orientiert. Nach Ernst Bettags Tod blieb BIG ein Jahr praktisch kopflos. In ihrer Verzweiflung bot die Witwe die Firma sogar dem Erzkonkurrenten Playmobil zum Kauf an - um zu verhindern, dass der Spielwarenimporteur Simba Dickie einsteigt. Die Witwe und die Mitarbeiter fürchteten Kahlschlag und Stellenabbau. Es half nichts: Am Ende musste sich BIG von Simba Dickie übernehmen lassen.

Hinauszögern ist der falsche Weg

"Die Nachfolgeplanung hinauszuzögern ist der größte unternehmerische Fehler überhaupt", sagt Daniel Terberger. Der Westfale übernahm im Jahr 2000 den Vorstandssprecherposten bei der Katag AG, einem Textil-Einkaufsverband in Bielefeld, der Terbergers Familie gehört. Für rund 400 Händler in der Region beschafft Katag günstig Markenkollektionen. Durch Kontakte zu den Händlern hat Terberger viel über Nachfolgeprobleme im Mittelstand gelernt. Seine Doktorarbeit schrieb er über Konfliktmanagement in Familienunternehmen. "Mit einer verpatzten Nachfolge können Sie mehr zerstören, als mit einer schlechten Marktstrategie", warnt er. "Der Schaden ist schnell irreparabel groß und lässt sich nur mit viel Glück korrigieren."

Doch noch immer tun sich die meisten Unternehmer schwer, zu dieser Erkenntnis zu gelangen, weiß Michael Keller, Teilhaber der Unternehmensberatung Klein & Coll aus dem hessischen Griesheim, die sich auf kleine und mittelständische Unternehmen spezialisiert. Viele Unternehmer trifft Keller häufig zum Mittagessen. "Wollen wir mal über das Thema Nachfolge sprechen?", fragt er schon mal zum Dessert. Und einer seiner Gesprächspartner entgegnet dann immer: "Herr Keller, hetzen Sie mich nicht." Der Mann ist 87 Jahre alt.

Den Namen des Unternehmers möchte Keller nicht nennen. Doch er verrät, dass der Mann nach wie vor sämtliche Fäden seines Unternehmens mit 130 Mitarbeitern in der Hand hält. Wenn der alte Herr stirbt, malt sich Keller aus, muss wohl ein Amtsgericht über das Lebenswerk beraten. Familienangehörige hat der unverheiratete, kinderlose Senior wohl nicht. "Das Unternehmen wird am Ende wahrscheinlich dem Staat gehören", erwartet Keller.

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