Fotograf Darchinger im Interview "Majestät, mehr Zähne bitte!"

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Josef Heinrich Darchinger Quelle: dpa-dpaweb

Welche Tricks hatten Sie?

„Schauen Sie auf meine Haare, da werden die Augen größer“, habe ich immer gesagt. Oder den Leuten einfach mal die Kamera in die Hand gedrückt und durch den Sucher schauen lassen. Damit die ein Gefühl dafür bekamen, was ich von ihnen wollte. Manchmal hab ich denen vorgespielt, wie ich mir das Foto vorstellte. Und mich daran erinnert, dass man mit leichter Untersicht die besseren Motive hat. Meine Devise war: „Arsch runter“. Und trotzdem den Leuten auf Augenhöhe begegnen.

Wie haben Sie das geschafft?

Ich habe darauf bestanden, bei Porträt-Terminen mit dem Porträtierten allein zu sein, wenigstens eine Stunde. Nur so kann man Vertrauen herstellen. Wer sich von mir fotografieren ließ, musste sich offenbaren. Das war fast wie nackt ausziehen. Ich konnte da ein schrecklicher Diktator sein.

Zum Beispiel?

Bei Brandts Moskau-Besuch 1981. Brandt und Breschnew saßen am Morgen vor Brandts Rückflug auf der Terrasse des Gästehauses in den Lenin-Hügeln. Breschnew bestand darauf, Wodka zu trinken, morgens um zehn Uhr – „Wanderstäbchen“ nennen die Russen diese Verabschiedungssitte. Und um gut nach Deutschland zurückzukommen, brauchte Brandt nach Meinung Breschnews mehrere Wanderstäbchen. Beim Abschiedsbild standen die beiden etwas angeschickert herum, wie bestellt und nicht abgeholt. Breschnews Entourage kam mir viel zu nahe – mir gefiel das alles nicht. Als er sich trotz meiner Bitte nicht zu Brandt hindrehen wollte, bin ich einfach zu Breschnew hingegangen, habe ihn an beiden Schultern gepackt und in die richtige Position gebracht. Seine Lakaien waren geschockt – aber die Aufnahme ist sehr schön geworden. Mit dem Schah war es einfacher.

Inwiefern?

Mit ihm konnte ich ein paar Brocken Französisch sprechen. Während eines Fototermins in Wien stürmten plötzlich seine Leibwächter rein, mit gezückten Waffen. Die dachten, jemand hätte auf den Schah geschossen, weil es laut geknallt hatte. Dabei war mir nur ein Lämpchen durchgebrannt. Das habe ich dann gewechselt, dem Schah alles erklärt. Und ihm gesagt, was ich gleich von ihm erwarte.

Nämlich?

„Majestät, mehr Zähne bitte“.

Einige der Herrschaften kamen ja zum Fotografieren sogar zu Ihnen nach Hause...

Alle SPD-Parteivorstände waren hier. Im Keller hatte ich ab 1959 ein einfaches Studio eingerichtet, um Porträts zu machen, etwa für Wahlplakate für Erich Ollenhauer. Der hat sich auch mal zu uns an den Mittagstisch gesetzt.

Was gab’s für den SPD-Vorsitzenden?

Gemüse aus unserem Garten – Wirsing, Kartoffeln, Möhren, Kopfsalat.

Mit Johannes Rau per Du

Und dann kam’s schnell mal zum Du?

Einer der wenigen, mit denen ich per Du war, war Johannes Rau. Wir waren etwa im gleichen Alter, ich kannte ihn schon seit den Fünfzigerjahren, als Jungpolitiker aus Wuppertal. Von ihm habe ich wunderbare Aufnahmen: Wie er nach seiner ersten Vereidigung als Ministerpräsident im Düsseldorfer Landtag von der Regierungsbank Richtung Zuschauertribüne geht, nach oben schaut, die Hand hebt und mehrmals ruft „Mutter! Mutter!“ Oder später, wie er als frisch gebackener Vater sein Kind mit der Flasche füttert. Ansonsten habe ich das Private tunlichst vermieden. Einladungen habe ich fast durchweg abgelehnt, ob mit Politikern wie Walter Scheel oder Industriellen wie Alfred Herrhausen. Das war mein Prinzip.

Warum?

Wer die Macht sucht, kommt darin um. Ich war Freund der Distanz. Wer zu nah rangeht, sieht zu wenig. Man muss Abstand halten können. Aber wenn mir Situationen politisch aussagekräftig schienen, saß mir die Chronistenpflicht im Nacken.

An welche Situationen denken Sie?

Etwa an das Foto von Willy Brandt und Günter Guillaume. Ich wollte Brandt fotografieren und Guillaume nicht im Bild haben. Aber der wollte der Stasi auch über westliche Medien demonstrieren, wie nah er an Brandt dran war. Ein impertinentes Ranschmeißen, mich hat das wahnsinnig gestört. Aber Brandt hatte diese Nähe zugelassen, das Bild musste also auf den Tisch. Das habe ich immer so gehalten.

Wann und bei wem konkret?

Auf dem CDU-Parteitag 1967 in Braunschweig etwa. Damals war die CDU nur noch ein Häuflein Elend, Ludwig Erhard als Parteivorsitzender vor dem Ende. Auf einmal entdeckte ich ihn, wie er mit seiner Zigarre auf einem winzigen Schemel kauerte. Ein Bild des Jammers. Der Niedergang der CDU, kulminiert in diesem Moment. Daran konnte ich nicht vorbei. Ich wählte ein Objektiv, das nicht unbedingt zum Schmeicheln angetan war. Zumal ich Erhards Rolle als Vater des Wirtschaftswunders für maßlos überschätzt hielt.

Auch Helmut Kohl hat Sie nicht überzeugt...

Anfangs lief es ganz gut, später gab es Friktionen.

Welcher Art?

Einmal, vor Beginn einer CDU-Fraktionssitzung, hat er mir vor allen Anwesenden lauthals unterstellt, im Auftrag des „Spiegels“ nur unvorteilhafte Fotos von ihm zu machen. Als er mich später bei einem Interview mit seiner Frau im Garten des Kanzlerbungalows sah, kam er herbei und rief: „Jetzt macht er sich schon an die Weiber ran“. Das hängt mir heute noch im Ohr. Absurd. Und Jahre vorher hatte er mir schon geraten: „Gehen Sie doch zum Mann mit der Mütz“.

Damit meinte er Helmut Schmidt, der Sie schon mal als „mein Freund“ bezeichnete.

Wir kommen heute noch gut miteinander aus. Er war immer gerade raus, wollte weder beschmust noch umschlichen werden. Man sagte, was man wollte, dann lief die Sache.

Schmidt ist auch auf einem Ihrer berühmtesten Bilder zu sehen – mit Erich Honecker.

Das war im Winter 1981, auf dem Bahnhof von Güstrow. Von dort sollte Schmidt die Heimreise nach Hamburg antreten. Und ich ahnte irgendwie, dass da noch was passieren würde. Also war ich schon drei Stunden vor Abfahrt des Zuges vor Ort, als einziger Fotograf. Ich habe mir den Arsch abgefroren, bei minus 15 Grad. Der Zug war zwar noch nicht da, ich habe also auf ein Phantom gewartet. Aber ich kannte den Zug von früheren Kanzlerreisen, konnte mir genau ausrechnen, in welchen Wagon, durch welche Tür Schmidt einsteigen, aus welchem Fenster er winken würde. Es gab ja nur eines, das man öffnen konnte. Ich stand also die ganze Zeit an der gleichen Stelle, unmittelbar hinter der Absperrung, direkt bei den Stasileuten, um mich bei denen ein bisschen anzubiedern. Die hätten mich ja auch behindern können. Aber wir haben gemeinsam gefroren, das schmiedet zusammen. Die sind dann auch im richtigen Moment den entscheidenden Schritt zur Seite gerückt.

Sie waren aber nicht der Einzige, der die Verabschiedung fotografiert hat.

Alle anderen Fotografen kamen im Tross mit Schmidt am Bahnhof an – die konnten das Schauspiel nur von hinten knipsen: Wie Honecker, als er nicht mehr wusste, was er mit Schmidt noch reden sollte, diesem zum Abschied mit drei spitzen Fingerchen ein Hustenbonbon zusteckte. Das dauerte nur wenige Sekunden. Aber ich stand genau zwei Meter davor. Ein Hit. Auch wegen der enttäuschten Gesichter der Kollegen, die ich gleich mitfotografiert habe. Ein bisschen Häme muss sein. Aber mein Lieblingsbild ist ein anderes.

Von wem?

Von Kardinal Ratzinger. Den habe ich schon vor Jahren im Vatikan besucht, lange bevor er Papst wurde. Eine Viertelstunde sollte ich damals Porträts von ihm machen – daraus wurden drei Stunden, in denen wir uns über Gott und die Welt unterhielten. Zwischendurch hat er noch Mutter Teresa empfangen, die ist vor ihm auf die Knie gefallen, hat ihm die Füße geküsst. Ein Bild wahrer Demut. Danach sind wir noch aufs Dach, im Hintergrund die Kuppel vom Petersdom. Da hatte ich das Gefühl: Junge, du wirst noch mal Papst.

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