Gastronomie Bratwurst mit Gleisanschluss

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Für die Ladenbetreiber heißt das meist hohe Mieten, die sich aus einem Mix aus festen Monatssätzen und umsatzabhängigen Komponenten zusammensetzen. Je nach Standort, Branche und Ladengröße variiert die Miete. Für einen einfachen Kiosk kommen so schon mal mehr als 100 000 Euro Jahrsmiete zusammen.  Zugleich muss ein margenstarker Kaffeestand pro Quadratmeter deutlich mehr zahlen als etwa ein Supermarkt. „Wir brauchen eben auch den Branchenmix im Bahnhof“, sagt Zeug. Um den hinzubekommen, mischt sich die Bahn mitunter selbst in die Sortimentsgestaltung ihrer Pächter ein – bis hin zur Frage, ob ein Wurststand auch Fritten anbieten sollte, um die Erlöse zu treiben.

Die Regionalbahn aus Bonn kommt auf Gleis 1 an und läutet die zweite Pendlerphase ein. In den nächsten drei Stunden strömen Wanderarbeiter aus Düsseldorf, Frankfurt, Bonn und Aachen zurück nach Köln – oder fahren von hier aus in die entgegengesetzten Richtungen. Die Züge sind rappelvoll, und spätestens beim Kampf um den Sitzplatz endet der rheinische Frohsinn. Vorher also noch schnell Stärkung organisieren. Rund um den Ditsch-Stand ballen sich Brezel- und -Pizzafans. McDonald’s hat eigens einen separaten Schalter an der Bahnhofsaußenseite eingerichtet, um das Mitnahmetempo zu erhöhen.

Der Bulettenbrater betreibt bereits 82 Bahnhofsfilialen und plant acht neue in diesem Jahr. Schon 2010 kamen sieben dazu. Auch die Fischkette Nordsee, bisher an 15 Bahnhöfen präsent, sucht nach weiteren Flächen. Und Chiquita fahndet nach Amigos und Amigas, die in Fruit Bars Shakes und Smoothies mixen.

„Wir suchen auch Einzelhändler, die bereit sind, neue Konzepte auszuprobieren“, sagt Bahn-Manager Zeug. Bahnhöfe sollen sich zu einem „Trendsetter“ für Gastro- und Handelsideen entwickeln.

Stuttgart 21 war rentabel für die Bahngastronomie

„Ein Vapiano im Kleinformat würde uns gefallen“, sagt SSP-Chef Everke und meint die Italo-Kette, die mit frisch zubereiteter Pasta einen neuen Gastrotrend kreiert hat. Auch der „ganze Bereich ‚healthy food‘“, also frisches Obst und Salate, sei im Kommen. Demnächst will Everke im Hamburger Hauptbahnhof einen Kamps-Shop neuen Typs eröffnen. Neben Schnittbrötchen soll es dort bald Suppen geben – rund um die Uhr. Der Laugenbäcker Ditsch experimentiert in Mainz derweil mit dem Kontrastprogramm: liebesperlenbesetzte Brezeln und Laugencroissants, die mit Mohrenköpfen belegt sind.

Ob derlei Konzepte funktionieren, können auch Experten nur schwer kalkulieren. Selbst grundsolide Wurstbuden scheiterten schon an zu viel Erdnusscreme und Feigensoßenchichi.

Dabei kennen die Gastromanager das Geschäft aus dem Effeff. Sie wissen, dass die Heimspiele von Fußballmannschaften mitentscheidend sind für die Füllgrade der Restaurants. Dass Pendler die preissensibelsten Kunden sind. Und dass selbst Demonstrationen umsatzbelebende Wirkung entfalten. Der Wirbel um das Bahn-Projekt Stuttgart 21 habe sich ausgezahlt, heißt es unisono bei den großen Anbietern. „Auch Wutbürger haben Appetit“, bilanziert Le-Crobag-Chefin Stöver. Und die Streiks?

Die seien „tendenziell schlecht fürs Geschäft“, lautet der Tenor der Aussagen. Wer kann, steigt auf das Auto um. Nur „wenn sich die Pendler vorher nicht darauf einstellen können“, würde der Bahnverdruss in mehr Konsum umschlagen, sagt Everke.

Unten in der Passage rücken drei DB-Sicherheitskräfte zum Fast-Food-Einsatz aus: Rosinenstriezel und Käsebrötchen gilt es zu überwältigen.

Oben, an Gleis 7, schaut eine Dame im ockerfarbenen Mantel, Typ gealterte Barbie, auf die Anzeigetafel. Der letzte Zug des Tages, der IC 2003 nach Frankfurt, soll in drei Minuten eintreffen. Theoretisch. Tatsächlich kündigt die Anzeige 30 Minuten Verspätung an. Barbie richtet ihren Blick minutenlang auf einen Automaten und scheint die Getränke-Flaschen durchzuzählen. Nebenan fischt ein Trio Müllmänner in orangefarbenen Warnwesten die Überbleibsel des Tages aus dem Gleisbett: Servietten und Pappteller, Brötchentüten und Burgerkartons.

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