Gefängnis-Report Nadelstreifen hinter Gittern: Manager berichten aus dem Knast

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KfW-Vorstand Ulrich Schröder: Quelle: dpa

Andererseits können sich viele verurteilte Wirtschaftsstraftäter dank überdurchschnittlicher Qualifikationen schneller als andere Häftlinge in der Knasthierarche hocharbeiten und in den offenen Vollzug kommen. Wie JVA-Insasse und Ex-Vorstand Sommer, der sich jeden Morgen an der Euskirchener Anstaltspforte abmeldet und mit einem Kleinwagen zur Arbeit fährt. Der Ex-Vorstand ist nun kleiner Angestellter eines Immobilienunternehmens, dessen Objekte im Rheinland und in Hessen er betreut. Abends kommt er zur JVA zurück und wird wieder eingebuchtet. 21 Nächte im Jahr plus Vor- und Folgetag darf er daheim bei der Familie verbringen. Sommer ist Freigänger, wie Häftlinge im offenen Vollzug heißen. Er hat seinen Wohnsitz zwar in der JVA, muss dort auch schlafen, geht aber außerhalb des Gefängnisses einer Arbeit nach. „White-collar-Straftäter wollen kein Hartz IV, sondern selber was tun“, sagt der Euskirchener Anstaltschef Beckheuer.

Rund 600 Personen dürften derzeit in den 203 deutschen Gefängnissen wegen Delikten einsitzen, die dem engeren Kreis der Wirtschaftsvergehen zuzurechnen sind. Das sind zwar gerade mal ein Prozent der rund 61.000 Häftlinge hierzulande. In einem Umfeld, das durch Klassiker wie „Papillon“, „Der Graf von Monte Christo“ und „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ berühmt und dank Anstalten wie Sing-Sing, Alcatraz und Guantanamo berüchtigt ist, bleiben straffällige Bosse Exoten.

Doch die Liste inhaftierter Wirtschaftsstraftäter wird lang und länger: Der frühere Chef des Geldtransportunternehmens Heros, Karl-Heinz Weis, verbüßt wegen schwerer Untreue und Bankrott zehn Jahre Haft. Anfang Oktober wurde der ehemalige Leiter der Sportredaktion des Hessischen Rundfunks, Jürgen Emig wegen Untreue und Bestechlichkeit verurteilt: zu zwei Jahren und acht Monaten Freiheitsentzug. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Im Knast herrschen andere Gesetze

Wer diesen Weg geht, muss sich auf den brutalst möglichen Einschnitt gefasst machen. Jede Chefattitüde gerinnt zur Farce, jeder Wunsch, den eben noch andere geflissentlich erledigten, wird zum Problem, jedes Problem zum Antrag. Eine Schreibmaschine, ein Buch von zu Hause, ein privates Kleidungsstück, etwas Besonderes zum Essen, alles geht nur per Formular. Ein Laptop? Ausgeschlossen. Ein Handy in der Zelle? Verboten. Schokolade? Alle zwei Wochen im JVA-Shop mit privatem Taschengeld zu kaufen. Als „erschütternde Deprivatisierung“ beschreibt der Münchner Anwalt Stefan Kursawe, der Klienten im Siemens-Management hat, wie Manager ihre Einlieferung in den Knast empfinden. Gegen echte oder vermeintliche Schikanen aufzubegehren, habe auch für frühere Top-Entscheider keinen Sinn. „Legen Sie sich nicht mit den JVA-Beamten an“, rät Kursawe seinen Mandanten, „die sitzen am längeren Hebel. Im Knast herrschen andere Gesetze.“

„Löwengrube“ heißt zum Beispiel die Arrestzelle des Münchner Polizeipräsidiums in der Ettstraße. Wer nach der Festname hier landet, muss gemeinsam mit Betrunkenen und Drogensüchtigen ausharren – im Extremfall das ganze Wochenende, bis zu 48 Stunden lang. „Ein Bau aus dem 19. Jahrhundert“, sagt Kursawe, „der Zustand ist je nach dem, mit wem sie da sitzen, ekelerregend und angsteinflößend.“

Das Leben im Knast ist ein Leben ohne Intimsphäre. Zwar sind in U-Haft Einzel- oder Doppelzellen die Regel. Doch häufig besitzen die Zellen keine abgetrennten Toiletten – dann kann jeder Aufseher durch das Guckloch in der Tür bei der Verrichtung zusehen. Geduscht wird in Gemeinschaftsräumen auch mal Seit’ an Seit’ mit dem Gewaltverbrecher von nebenan. Wenn die Staatsanwaltschaft Verdunklungsgefahr sieht, dann hören Beamte bei privaten Besuchen jedes Wort mit. Mehrmals im Monat wird die Zelle ohne Ankündigung gefilzt, um Verbotenes aufzuspüren, etwa Rauschgift oder Handys.

Knast nicht gleich Knast

„Niemand springt auf, wie früher die Sekretärinnen, wenn du was willst“, erinnert sich Häftling Sommer an seine erste Woche in der U-Haft. „Du kannst plötzlich nicht mehr spontan telefonieren und mailen.“ Alle Briefe werden von den Staatsanwälten kontrolliert und sind, heißt es in Häftlingsforen im Internet, schon mal zwei Wochen unterwegs. Immobilien-Betrüger Schneider fand „das bürokratische Schneckentempo höchst gewöhnungsbedürftig“.

Knast ist in Deutschland nicht gleich Knast. In Werl bei Dortmund sitzen beispielsweise vor allem Gefangene mit langen Haftstrafen. Dort sind die Kontrollen schärfer, die Regeln strenger, ist der Umgangston rauer. Die muskelbepackten und tätowierten Männer, die im Betriebshof unter freiem Himmel alte Stromkabel recyceln, indem sie Kunststoff von Kupfer trennen, würden in jeden Film passen. Wer hier als Manager landet, hat einen schweren Stand. Ausgeschlossen ist das nicht: In welches Gefängnis man kommt, hängt nicht vom sozialen Status ab, sondern von der Länge der Strafe.

Auf Mitleid aber darf niemand hoffen. Schließlich haben Wirtschaftsstraftäter Anleger betrogen, Lieferanten und Handwerker in die Insolvenz getrieben, früheren Mitarbeitern den Job gekostet, private Lebensträume zerstört. „99 Prozent der Jungs“, sagt Ex-Vorstandschef Sommer über seinesgleichen in Haft, „sind nicht ohne Grund da.“

Moderater als im Langzeit-Knast geht es in Anstalten wie der JVA Nürnberg zu, die sich auf Häftlinge mit bis zu zwei Jahren Haft konzentrieren. Das Risiko brutaler Übergriffe durch Mitgefangene ist hier geringer, der Umgang zwischen Häftlingen und Personal nicht so angespannt.

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