Gefängnis-Report Nadelstreifen hinter Gittern: Manager berichten aus dem Knast

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Bosse hinter Gittern

Anwälte behaupten, es gebe bei Gefängnissen ein Süd-Nord-Gefälle in Deutschland. Besonders liberal und resozialisierungsfreundlich handhaben demnach Länder wie Nordrhein-Westfalen und Berlin den offenen Vollzug. Der Heidelberger Strafverteidiger Alexander Keller, zu dessen Mandanten der wegen Betrugs verurteilte Flowtex-Chef Manfred Schmider gehörte, versucht Mandanten deshalb „möglichst nach NRW“ zu bekommen. Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Hessen gelten als restriktiv. Die Chance, gleich als Freigänger die Haft anzutreten, sei dort geringer. JVA-Chef Beckheuer warnt bereits vor „Vollzugstourismus“. Gefangene hätten ihren Wohnsitz schon von Hessen nach NRW verlagert, um ihre Strafe dort abzusitzen. Aber die strenge Ordnung der süddeutschen JVA hat auch etwas für sich, sagt Feldmayer-Anwalt Reymann-Brauer: „Für bürgerliche Häftlinge bedeutet sie einen besseren Schutz vor Übergriffen. Wo es lockerer zugeht, dominieren diejenigen, die sich im Knast-Milieu zu Hause fühlen.“

Der Neuanfang ist extrem schwierig

Und nach der Haft? Der Neuanfang ist extrem schwierig. Oft steht nur noch die Familie hinter den gefallenen Größen – wenn überhaupt. Der Gastronom und frühere Präsident des Fußballvereins 1860 München, Karl-Heinz Wildmoser senior, bekannte nach drei Tagen U-Haft im Frühjahr 2004: „Als ich nach der Entlassung durch den Biergarten ging, das war mit das Schlimmste. Da braucht man eine innere Überwindung, weil man sich doch schämt.“ Ermittelt wurde gegen ihn wegen Schmiergeldzahlungen beim Bau des Münchner Fußballstadions Allianz-Arena. Das Verfahren gegen Wildmoser senior wurde eingestellt, weil sein Sohn ihn entlastete und 2005 wegen Untreue und Bestechlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Michael Kölmel, der zwei Tage in U-Haft saß und eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten aufgebrummt bekam, feierte dagegen ein erfolgreiches Comeback. Der ehemalige Kinowelt-Chef, der mit dem Filmrechtehändler 2002 pleitegegangen war, kaufte zurück, was von dem bankrotten Unternehmen übrig war. Dann baute er es zu Deutschlands größtem DVD-Händler mit rund 20 Tochtergesellschaften auf. Im Januar dieses Jahres schließlich verkaufte er die neue Kinowelt nach Brancheninformationen für 70 Millionen Euro an die französische Filmgruppe Studio Canal.

Knast als Therapie

Es gibt aber auch Manager, die ihre Haft zur überfälligen Läuterung nutzen. „In der Untersuchungshaft fallen einem alle Sünden ein“, sagt Anlagebetrüger Sommer. Für ihn sei der Knast „sogar heilsam“. „Man kommt als der Größte dort an“, erinnert er sich, „der Türrahmen ist für das Ego zu niedrig.“ Die ersten zwei Anwälte – „teure Leute, bekannte Namen“ – setzten ihm Hirngespinste in den Kopf, sie würden ihn ganz schnell rausholen aus dem Gefängnis. Erst der dritte Anwalt habe ihm die Augen für seine „wirkliche Lage“ geöffnet.

Über sein Vorleben als Manager sagt Sommer heute: „Im Grunde war ich krank. Ich konnte nicht schlafen, ich nahm Morphine und lag mit zitternden Beinen im Bett. Das war kein Leben mehr.“ Jahrelang hatte er mit allen legalen und illegalen Mitteln versucht, sein Unternehmen zu retten. Dass das Lügen- und Finanzkonstrukt am Ende zusammenbrach, sagt er nun und lächelt, das war „meine Lebensrettung“.

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