Getränke Jägermeister braucht eine Kurskorrektur

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Ende des Aufstiegs

Am Ende der Ära Mast liegt jedoch Staub auf den grünen Flaschen. Sein Nachfolger Hasso Kaempfe, ein ehemaliger Top-Manager beim Kaffeeröster und Einzelhandelsriesen Tchibo und erster familienfremder Chef im Unternehmen, verjüngt das Image mit schrillem Marketing bis hin zum Wettbewerb für die schönste Hinterteil-Tätowierung des Landes. Kaempfe ist der Mann, der Jägermeister aus der Provinz auf das Parkett der Spirituosen-Weltmarken führt. Der Kräuterschnaps in der altväterlich aufgemachten Vierkantflasche mit dem Hirschkopf wird die meistgetrunkene deutsche Spirituose rund um den Erdball und ein hochprozentiger Exportschlager; vom überwiegend muselmanischen Malaysia und Libanon über Dänemark bis Südkorea. In mehr als 80 Ländern rauscht der aus 56 Kräutern, Gewürzen und Wurzeln destillierte Halbbitterlikör durch die Kehlen. Der Auslandsanteil am Gesamtabsatz beträgt mehr als 75 Prozent. Und so konnte sich Jägermeister – trotz Einbußen im US-Geschäft – im renommierten Impact-Ranking der 100 meistverkauften Spirituosen der Welt etablieren: auf Platz neun.

Kartell des Schweigens

Umso auffälliger wirkt, wie Mehrheitsaktionär Rehm sich von der großen weiten Welt fernhält. Dass ihm in fünfter Generation der überwiegende Teil von Jägermeister gehört, liegt an der Erbfolgeregelung. Beteiligt am florierenden Unternehmen wurde bisher nur, wer in direkter Linie vom Gründer abstammt, einfache Familienmitglieder wie Günter Mast oder gar fremde Manager wie Kaempfe oder dessen Nachfolger Dell’Antonio gehen leer aus. So rutschte Rehm in die Unternehmerrolle als Enkel der Anfang des Jahres im Alter von 88 Jahren verstorbenen Annemarie Findel-Mast, der Tochter des Jägermeister-Erfinders Curt Mast.

Wer mehr über den Wolfenbütteler erfahren möchte, stößt in der 50 000-Einwohner Stadt, in der er lebt und wirkt, auf ein Kartell des Schweigens. Ja, man kenne ihn, über ihn sprechen möchte man lieber nicht. Man möge ihn doch bitte selber fragen. Gerne. Nur: Rehm selber sagt nichts.

Dabei kann Rehm fast als Lokalmatador von Wolfenbüttel gelten. Der glückliche Erbe, der in Hannover an der Fachhochschule Betriebswirtschaft studierte, zeigte sich in der jüngeren Vergangenheit alles andere als introvertiert und scheute weder Kameras noch Mikrofone.

Bleibender Ruhm

An der FH etwa tat er sich als Sprecher der Diplomanden hervor und gab im Rahmen einer Verabschiedungsfeier zum Besten, dass sich der hohe Studienaufwand aufgrund der vorliegenden Job-Angebote gelohnt habe. Rehm gehörte auch der CDU-Fraktion im Wolfenbütteler Stadtrat an, wirkte als Moderator beim verkehrspolitischen Forum der Verkehrswacht Wolfenbüttel oder als Redner beim jährlichen Empfang der Stadt Wolfenbüttel („Ich bin stolz, ein Wolfenbütteler zu sein.“). Hier und da wagte er sich sogar an Themen heran, die weit über die Stadtgrenzen hinausgingen, etwa indem er vor einem Stammtisch Wehrpflicht des Junge-Union-Kreisverbands in Wolfenbüttel mutig erklärte: „Es stärkt die Gemeinschaft in unserem Land, wenn jeder für einen bestimmten Zeitraum der Gesellschaft dient.“

Bleibenden Ruhm in der Region sammelt Rehm vor allem als Vorsitzender der Curt-Mast-Jägermeister-Stiftung, die 2003 von seiner Großmutter gegründet wurde und bei der auch seine Frau Susanne arbeitet. Die Stiftung unterstützt in Wolfenbüttel soziale und kulturelle Einrichtungen sowie den Erhalt historischer Bauwerke. 178 000 Euro wird Rehm über die Familienstiftung in diesem Jahr für 21 Projekte lockermachen: für Wasserspielplätze, Spielgeräte in Kindertagesstätten oder Dauerleihgaben für die Herzog-August-Bibliothek, darunter ein Brief des deutschen Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessing, der in Wolfenbüttel als Bibliothekar arbeitete. Hinzu kommen 500 000 Euro, die für die Sanierung des Lessingtheaters bereitstehen. Und Rehm fördert die Stiftungsprofessur „Existenzgründung“ unter dem Dach der Ostfalia-Fachhochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel.

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