Getränke Jägermeister braucht eine Kurskorrektur

Jägermeister gehört zu den zehn erfolgreichsten Spirituosen der Welt. Doch jetzt stockt das Wachstum, der Konzern wirkt angeschlagen. Der große Unbekannte in der Zukunftsstrategie ist der neue, erst 33 Jahre alte Hauptaktionär.

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Marketinggenie Günter Mast

Um den Boden unter den Füßen zu verlieren, benötigen die meisten Menschen viel Alkohol. Bei den 22 Gästen des Jägermeister-Hochsitzes ist das keine Voraussetzung. Sie nehmen an einer orangefarben-schwarzen Theke Platz, werden festgeschnallt und von einem Kran 50 Meter in die Höhe gezogen. Sodann schwebt die Bar an 16 Seilen durch die Lüfte, während sich die Mitreisenden die Kehlen volllaufen lassen.

Der Hochsitz ist in diesem Sommer die Attraktion auf den großen deutschen Open-Air-Musikfestivals wie Rock am Ring, Wacken oder Southside. Eine Viertelstunde dauert der Luftstand über den Köpfen Zehntausender Musikfans, der einen atemberaubenden Blick freigibt, mal auf Rammstein oder die Fantastischen Vier, mal auf Iron Maiden oder Kiss.

Von solchen Höhenflügen kann der Sponsor der Attraktion, der Spirituosenhersteller Mast-Jägermeister in Wolfenbüttel, inzwischen nur noch träumen. Die langjährigen Überflieger aus Niedersachsen müssen sich bei ihrer Schnapsmarke auf neue Zeiten einstellen. Zwar konnte das Unternehmen mit seinen 500 Mitarbeitern den Rekordabsatz des Vorjahres mit 82 Millionen verkauften Flaschen noch einmal wiederholen – trotz der weltweiten Wirtschaftskrise. Der Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass Mast-Jägermeister erstmals seit zehn Jahren nicht mehr wächst. Der Umsatz ging sogar leicht auf 396 Millionen Euro zurück.

Jagd auf andere Schnapsmarken

Preisdruck, drohende Steuererhöhungen und Werbeverbote, dazu Rauchverbote in Kneipen und Bars sind auch bei Jägermeister angekommen. Vor allem in der Gastronomie werden weniger Spirituosen getrunken. Und diejenigen, die eher daheim süffeln, die über 30-jährigen, mehr auf Genuss eingestellten Trinker, hat Jägermeister bislang als Zielgruppe vernachlässigt.

Hinzu kommt Unruhe im Top-Management, die Branchenkenner registrieren. Im Frühjahr teilte der erfolgreiche Export-Chef Jack Blecker überraschend sein Ausscheiden mit. Ein Nachfolger ist noch nicht bekannt gegeben worden.

Ans Eingemachte aber geht die Ankündigung von Jägermeister-Chef Paolo Dell’Antonio, andere Schnapsmarken kaufen zu wollen. Trauen die Jägermeister-Brenner der eigenen Marke nicht mehr viel zu? Und wie will der Mittelständler das überhaupt bewerkstelligen? Marken, die weltweit vermarktbar sind, haben Seltenheitswert und sind selbst für ein mit einer Eigenkapitalquote von fast 90 Prozent gesegnetes Unternehmen wie Mast-Jägermeister kaum zu finanzieren. Wären die Aktionäre überhaupt bereit, für eine große Übernahme tief in die Tasche zu greifen?

Der große Selbstdarsteller

Antwort auf all die Fragen könnte Florian Rehm geben, der gerade mal 33 Jahre alte Mehrheitsaktionär der Familien-AG. Doch Rehm wirkt, von außen betrachtet, wie eine Art Phantom. In Wolfenbüttel bekannt wie das Reiterdenkmal von Herzog August auf dem Stadtmarkt, glänzt der Spross der traditionsreichen Schnapsfamilie ansonsten durch ungewöhnliche Zurückgezogenheit. Obwohl Hauptanteilseigner, sitzt er – und das ist eine Seltenheit in der deutschen Wirtschaft – nicht mal im Aufsichtsrat seiner Firma. Journalisten will Rehm weder Rede noch Antwort stehen.

Da waren frühere Clan-Abkömmlinge von anderem Schlag. Das Unternehmen wird 1878 von Wilhelm Mast als Essigfabrik und Weinhandlung in Wolfenbüttel gegründet. Sein Sohn Curt Mast erfindet 1934 das Rezept für den Kräuterlikör Jägermeister und bringt ihn 1935 erstmals unters Volk.

Dann übernimmt der legendäre Günter Mast, ein Neffe des 1970 verstorbenen Curt, das Kommando. Günter Mast ist der große Selbstdarsteller mit dem Händchen für Werbung und macht Jägermeister in der Bundesrepublik groß. Als Erster bringt er den Jägermeister-Schriftzug auf Fußballtrikots – beim damaligen Bundesliga-Club Eintracht Braunschweig. Unsterblich wird Mast durch den legendären Werbespruch „Ich trinke Jägermeister, weil ...“. Die Kampagne lief mit weit über 3000 Motiven, lebt bis heute mit unzähligen Verballhornungen weiter – etwa dem Konterfei eines Zehnjährigen und der Zeile: „Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer im Knast ist.“

Ende des Aufstiegs

Am Ende der Ära Mast liegt jedoch Staub auf den grünen Flaschen. Sein Nachfolger Hasso Kaempfe, ein ehemaliger Top-Manager beim Kaffeeröster und Einzelhandelsriesen Tchibo und erster familienfremder Chef im Unternehmen, verjüngt das Image mit schrillem Marketing bis hin zum Wettbewerb für die schönste Hinterteil-Tätowierung des Landes. Kaempfe ist der Mann, der Jägermeister aus der Provinz auf das Parkett der Spirituosen-Weltmarken führt. Der Kräuterschnaps in der altväterlich aufgemachten Vierkantflasche mit dem Hirschkopf wird die meistgetrunkene deutsche Spirituose rund um den Erdball und ein hochprozentiger Exportschlager; vom überwiegend muselmanischen Malaysia und Libanon über Dänemark bis Südkorea. In mehr als 80 Ländern rauscht der aus 56 Kräutern, Gewürzen und Wurzeln destillierte Halbbitterlikör durch die Kehlen. Der Auslandsanteil am Gesamtabsatz beträgt mehr als 75 Prozent. Und so konnte sich Jägermeister – trotz Einbußen im US-Geschäft – im renommierten Impact-Ranking der 100 meistverkauften Spirituosen der Welt etablieren: auf Platz neun.

Kartell des Schweigens

Umso auffälliger wirkt, wie Mehrheitsaktionär Rehm sich von der großen weiten Welt fernhält. Dass ihm in fünfter Generation der überwiegende Teil von Jägermeister gehört, liegt an der Erbfolgeregelung. Beteiligt am florierenden Unternehmen wurde bisher nur, wer in direkter Linie vom Gründer abstammt, einfache Familienmitglieder wie Günter Mast oder gar fremde Manager wie Kaempfe oder dessen Nachfolger Dell’Antonio gehen leer aus. So rutschte Rehm in die Unternehmerrolle als Enkel der Anfang des Jahres im Alter von 88 Jahren verstorbenen Annemarie Findel-Mast, der Tochter des Jägermeister-Erfinders Curt Mast.

Wer mehr über den Wolfenbütteler erfahren möchte, stößt in der 50 000-Einwohner Stadt, in der er lebt und wirkt, auf ein Kartell des Schweigens. Ja, man kenne ihn, über ihn sprechen möchte man lieber nicht. Man möge ihn doch bitte selber fragen. Gerne. Nur: Rehm selber sagt nichts.

Dabei kann Rehm fast als Lokalmatador von Wolfenbüttel gelten. Der glückliche Erbe, der in Hannover an der Fachhochschule Betriebswirtschaft studierte, zeigte sich in der jüngeren Vergangenheit alles andere als introvertiert und scheute weder Kameras noch Mikrofone.

Bleibender Ruhm

An der FH etwa tat er sich als Sprecher der Diplomanden hervor und gab im Rahmen einer Verabschiedungsfeier zum Besten, dass sich der hohe Studienaufwand aufgrund der vorliegenden Job-Angebote gelohnt habe. Rehm gehörte auch der CDU-Fraktion im Wolfenbütteler Stadtrat an, wirkte als Moderator beim verkehrspolitischen Forum der Verkehrswacht Wolfenbüttel oder als Redner beim jährlichen Empfang der Stadt Wolfenbüttel („Ich bin stolz, ein Wolfenbütteler zu sein.“). Hier und da wagte er sich sogar an Themen heran, die weit über die Stadtgrenzen hinausgingen, etwa indem er vor einem Stammtisch Wehrpflicht des Junge-Union-Kreisverbands in Wolfenbüttel mutig erklärte: „Es stärkt die Gemeinschaft in unserem Land, wenn jeder für einen bestimmten Zeitraum der Gesellschaft dient.“

Bleibenden Ruhm in der Region sammelt Rehm vor allem als Vorsitzender der Curt-Mast-Jägermeister-Stiftung, die 2003 von seiner Großmutter gegründet wurde und bei der auch seine Frau Susanne arbeitet. Die Stiftung unterstützt in Wolfenbüttel soziale und kulturelle Einrichtungen sowie den Erhalt historischer Bauwerke. 178 000 Euro wird Rehm über die Familienstiftung in diesem Jahr für 21 Projekte lockermachen: für Wasserspielplätze, Spielgeräte in Kindertagesstätten oder Dauerleihgaben für die Herzog-August-Bibliothek, darunter ein Brief des deutschen Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessing, der in Wolfenbüttel als Bibliothekar arbeitete. Hinzu kommen 500 000 Euro, die für die Sanierung des Lessingtheaters bereitstehen. Und Rehm fördert die Stiftungsprofessur „Existenzgründung“ unter dem Dach der Ostfalia-Fachhochschule für angewandte Wissenschaften in Wolfenbüttel.

Mehrheitsaktionär Rehm

Rehm gilt als volkstümlich und unprätentiös. Als „freundlich“ und „kommunikativ“ schildert ihn ein Kommilitone. Rehm sei ein Student wie jeder andere gewesen, kaum jemand habe ihm seinen familiären Hintergrund angemerkt. Von Überlegungen, an die Spitze von Jägermeister zu streben, wurde bisher nichts bekannt. Nach dem Studium, berichten ihm Nahestehende, habe Rehm in Praktika und Hospitanzen ins Berufsleben hineingeschnuppert: bei Jägermeister, bei einem Unternehmen des französischen Spirituosenherstellers Remy und bei der Nord/LB. Danach war er beim regionalen Energieversorger E.On Avacon. Schließlich wechselte er auf das von seinem Großvater geerbte Landgut Reinau und widmete sich der Landwirtschaft.

Neuregelung in einer Viertelstunde

Dann kommt Rehms großer Tag. Schon gut ein Jahr vor ihrem Tod, im Oktober 2008, ordnet seine Großmutter Annemarie Findel-Mast die Besitzverhältnisse bei Jägermeister neu. Im Rahmen einer außerordentlichen Hauptversammlung im Privathaus der Hauptaktionärin überträgt die Seniorin in einem formalen Akt in weniger als einer Viertelstunde gut 18 Millionen Anteile ihrem Enkel. Im Gegenzug wird die Patriarchin zur Ehrenaktionärin erklärt, mit lebenslangem Teilnahme-, Rede- und Fragerecht bei Hauptversammlungen.

Seitdem hält Rehm mehr als 22 Millionen der insgesamt 40 Millionen Stückaktien, das entspricht einem Anteil von 55 Prozent. Florians 35-jährige Schwester Christina Stangl besitzt 15 Prozent. Die Anteile ihrer Mutter Susan Buschke blieben unverändert bei 30 Prozent. Die gelernte Diplomkauffrau zog es an den Starnberger See, wo sie seit über einem Jahrzehnt eine Praxis für Kinesiologie, eine wissenschaftlich umstrittene Heil- und Bewegungslehre, betreibt. Andreas, Florians Halbbruder aus der zweiten Ehe seiner Mutter, muss noch gut zwei Jahre warten. Er wird erst mit Erreichen des 25. Lebensjahrs Anteile übernehmen dürfen.

Schiffe und Top-Immobilien

Rehms unternehmerische Betätigung konzentriert sich auf Immobilien- und Vermögensverwaltungsgesellschaften, die Savarpa oder Solvia heißen. In ihnen überwacht, bündelt und investiert der Millionenerbe als geschäftsführender Gesellschafter das Vermögen der Familie. Dabei steht ihm Ralf Bauderer zur Seite, der ehemalige Vermögensberater der bayrischen Großgrundbesitzerfamilie Thurn & Taxis. Zu den Aktivitäten der Jägermeister-Sippe gehören Beteiligungen an der Frankfurter Privatbank Hauck & Aufhäuser, dem Immobilienunternehmen Conren Land, ebenfalls in Frankfurt, sowie der Hamburger Schiffsbeteiligungsgesellschaft Vilmaris. Conren Land investiert für Unternehmerfamilien wie den Jägermeister-Erben oder den früheren Stahlclan Röchling in hochwertige Immobilien.

Welchen Einfluss Rehm bisher auf die Geschäftspolitik von Jägermeister nahm, bleibt Außenstehenden verschlossen. Aus unternehmensnahen Kreisen heißt es nur, dass sich nach dem Tod seiner Großmutter nur wenig an der grundsätzlichen Firmenpolitik ändern wird. Es sei auch nicht geplant, dass Florian Rehm eine Funktion im Unternehmen einnehme.

Teilnehmerinnen der Miss-Arschgeweih-Wahl Quelle: Picture-Alliance/DPA

Mast-Jägermeister konzentriert sich seit Jahrzehnten nur auf eine Marke. Dass die weltweit derart ankommt, ist nicht gerade selbstverständlich: „Sie dürfen nicht vergessen: Die Kategorie Kräuterlikör ist in den meisten Teilen der Welt völlig unbekannt“, sagt Jägermeister-Chef Paolo Dell’Antonio, ein rundlicher Mittvierziger aus Südtirol. Er dockte 1999, vom Rasenmäherhersteller Wolf kommend, als Finanzchef beim Kult-Likörhersteller an und ist seit 2007 Vorstandssprecher.

Kenner der Familie glauben, dass die jüngsten Aktivitäten des Unternehmens für einen bewussteren Umgang mit Alkohol ganz im Sinne von Rehm seien, der behütet bei seiner Mutter am Starnberger See aufwuchs und im Schatten der Alternativmedizin wenig mit hässlichen Dingen wie Koma-Saufen und Flatrate-Partys zu tun hatte.

Jägermeisters dichtes Kontrollnetz

So hat Vorstandschef Dell’Antonio einen grundlegenden Schwenk im Unternehmen vollzogen. Die komplette Vermarktung soll keinen Zweifel aufkommen lassen, dass Jägermeister nichts für Jugendliche unter 18 sei. „Jedes unserer Werbemittel – vom Flyer bis zum Rucksack – geht durch eine Kontrollinstanz“, sagt Dell’Antonio. Auch wird das Unternehmen keine minderjährigen Auszubildenden mehr einstellen. Schulkooperationen, Praktikumsplätze oder Girls’ Days werden ebenfalls nicht mehr angeboten. Jugendliche sollen kompromisslos vom Alkohol ferngehalten werden.

Da wird dann die eine oder andere Pulle fehlen, denn Jägermeister – pur oder gemischt mit der Energie-Plörre Red Bull – ist bei Jugendlichen sehr beliebt. 2010 hält Dell’Antonio ohnehin für eine besondere Herausforderung. „Wir sind mit dem leichten Wachstum im ersten Halbjahr zufrieden. Die Rückgänge in der Gastronomie konnten wir durch Zuwächse beim Heimkonsum kompensieren.“

Das freut auch Ober-Jägermeister Rehm, der sich nach unzähligen Anfragen dann doch zu einem kleinen Statement per E-Mail überreden ließ: „Die Familie und ich sind mit der aktuellen Geschäftsentwicklung der Mast-Jägermeister AG sehr zufrieden. Insbesondere vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise hat sich das Unternehmen weit besser als die Branche entwickelt. Dieses ist ein großer Erfolg des Managements und des Aufsichtsrates, die beide unsere vollste Unterstützung haben.“

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