Drei, nein, vier Tage wach. So fühlt es sich zumindest an. Dabei war es nur eine einzige, ziemlich kurze Nacht. Das Einschlafen zog sich hin, es folgten unruhigen Stunden: Rumwälzen auf der Matratze, regelmäßiges Hochschrecken, Schweißausbrüche und der stete Gedanke "Schlaf endlich, sonst bist Du morgen nicht fit."
Jeder hat mal eine unruhige Nacht, keine Frage. Laut Robert-Koch-Institut hat etwa jeder vierte Deutsche Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen. Andere haben den Schlafverzicht gar zum Statussymbol erhoben, rühmen sich, mit nur wenigen Stunden Schlaf auszukommen. Eine eklatante Fehleinschätzung, wie Schlafforscher unisono erklären. Denn egal ob der Schlafverzicht freiwillig oder unfreiwillig ist: zu wenig oder schlechter Schlaf wirkt wie ein Burnout.
Richtiges Schlafen wird Kult
Dutzende Untersuchungen haben die handfesten Nachteile belegt. Gedächtnis und Denkvermögen lassen nach, die Leistungsfähigkeit sinkt, die die Fehlerquote steigt. Laut einer Studie sind 25 Prozent aller tödlichen Autounfälle in Deutschland auf Schläfrigkeit am Steuer zurückzuführen. "Wer über lange Zeit nicht ausreichend schläft, kann zudem schwere Folgekrankheiten bekommen", sagt Schlafforscher Jürgen Zulley von der Universität Regensburg. Die reichen von leichten Magenbeschwerden bis zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Falsche Volksweisheiten rund um den Schlaf
Falsch. Menschen haben unterschiedliche Schlafbedürfnisse. Als optimal gelten im Schnitt sieben Stunden. Aber letztlich muss jeder sein Optimum finden. Bestes Indiz: Wer sich tagsüber fit fühlt, hat nachts genug geschlafen.
Falsch. Die Qualität des Schlafs hat damit nichts zu tun. Unserem Körper ist es egal, wann wir einschlafen. Viel wichtiger ist, genügend Stunden tief und fest zu schlummern. Doch klar ist: Je später wir ins Bett gehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dieses Pensum zu erreichen.
Falsch. Kurzfristig geht das vielleicht, langfristig sind unregelmäßige Schlafzeiten eher schädlich. Unser Körper liebt Beständigkeit, sie ist essenziell für guten Schlaf. Arbeiten Sie lieber an Ihren Gewohnheiten unter der Woche, anstatt am Wochenende Schlaf nachzuholen. Oder fühlen Sie sich fit, wenn Sie zwölf Stunden durchgeschlafen haben?
Falsch. 45 Prozent der Deutschen gehen zwar davon aus, der Mond habe Einfluss auf ihren Schlaf. Ein Zusammenhang zwischen Mondphase und Schlafdauer ließ sich bisher aber nicht nachweisen. Erklären lässt sich dieser Volksglaube eher mit dem Phänomen selektiver Wahrnehmung: Wer nachts wach liegt und am Himmel den Vollmond entdeckt, prägt sich solche Momente stärker ein.
Weil immer mehr Menschen erkennen, dass sie ausreichend Schlaf brauchen, um leistungsfähig zu sein, wächst der Bedarf nach Unterstützung – und damit das Geschäft. "Schlaf und vor allem schlechter Schlaf bekommen in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit – auch von der Industrie", sagt Zulley.
Mit dem Kult um den erholsamen Schlaf ist derzeit ein gutes Geschäft zu machen, weiß auch Jürgen Weyrich. Der Konsumforscher der GfK erkennt deutliche Trendverschiebungen. "Die Einstellungen der Kunden haben sich die letzten Jahre geändert", sagt Weyrich. "Aus dem tristen Schlafzimmer wird zunehmend ein Wohlfühl-, Komfort- und Kommunikationszimmer."
Dafür sind die Deutschen bereit zu investieren. Das niedrige Zinsniveau und die dadurch aktuell geringe Sparneigung führen bei Zweit- und Dritteinrichtern bereitwillig zu höherer Ausgabebereitschaft. Schon der durchschnittliche Verkaufspreis für ein komplettes Schlafzimmer aus Holz – mit Bett, Nachtkonsole, Schrank und zusätzlichen Beimöbeln – lag 2014 im Möbelhandel bei 2000 Euro. Das waren 150 Euro mehr als 2010. Dabei geht die Preisschere deutlich auseinander: 2700 Euro lassen die Deutschen durchschnittlich in konventionellen Möbelhäusern, gerade einmal 600 Euro in Möbelmitnahmemärkten und -discountern.
Besonders auffällig: "Die deutschen Käufer kaufen seltener komplett angebotene Schlafzimmer. Stattdessen dominieren immer stärker individuelle Zusammenstellungen", sagt Weyrich. Eine preiswerte Schrankwand wird so durch eine kostspielige Schlafgelegenheit ergänzt. Im Trend liegen seit mehreren Jahren die Boxspring- und Polsterbetten, die sich die Käufer einiges kosten lassen.
Betten zum Kleinwagenpreis
Einer, der das wachsende Interesse am Schlaf zu schätzen weiß, ist Jan Bobe. Bobe lenkt in Zentraleuropa die Geschicke des schwedischen Bettenbauers Hästens und erklärt: "Wir profitieren stark davon, dass das Bewusstsein für Qualität und Nachhaltigkeit steigt."
Hästens ist für Betten, was Rolls-Royce für Autos ist: extrem edel, gut zum Angeben und ziemlich teuer. 5000 Euro kostet ein Bett aus dem Hause Hästens. Das billigste. Für das Luxusmodell Vividus werden mehr als 50.000 fällig.
Wer Betten zum Kleinwagenpreis anbietet, verkauft auch ein Lebensgefühl. Stolz verweist Bobe auf die "Vision des gesunden Schlafs" seines Unternehmens. Jedes Bett sei ein "Werkzeug", das sie ermöglicht. Seine Luxus-Schlafmöbel produziert Hästens von Hand und nur aus edelsten natürliche Materialien: Rosshaar und handgeknüpftem Leinen zum Beispiel.
Diese Materialien werden in Matratzen verwendet
Mittlerweile machen Matratzen nicht einmal mehr einen Prozent Marktanteil aus, obwohl die Stiftung Warentest das Material lobt. Die Matratzen sind seht haltbar und die bekannte Latexallergie muss bei Matratzen niemand fürchten.
Die Deutschen schlafen am liebsten auf Schaumstoff. Jede zweite der hierzulande verkauften Matratzen ist aus Kaltschaum gefertigt.
Boxspringbetten liegen im Trend. Im Test überzeugten die teuren Matratzen allerdings nicht. Nur ein Bett wird am Ende mit „gut“ bewertet. In allen anderen bilden sich mit der Zeit spürbare Liegekuhlen.
Taschenfederkernmatratzen wurden zwar nicht von der Stiftung Warentest untersucht, werden aber dennoch empfohlen. Sie gilt mittlerweile als der Klassiker in deutschen Schlafzimmern und erfreut sich auch weiterhin großer Beliebtheit.
Damit treffen die Schweden offenbar einen Nerv, die Geschäfte laufen gut. Gemessen am Umsatz von Möbel-Riesen wie Ikea ist Hästens zwar ein Winzling, aber auf Wachstumskurs in einer stagnierenden Branche. Im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen seinen Umsatz zum wiederholten Mal in Folge steigern. 48 Millionen Euro machte Hästens 2014. 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Unternehmen expandiert, eröffnet immer neuer Showrooms in den großen Metropolen.
Ihre Produkte verkaufen die Skandinavier längst nicht mehr nur an russische Oligarchen, Fünf-Sterne-Hotels und das schwedische Königshaus gehören sie zu den Hoflieferanten. "Unser Kundensegment wird immer breiter", sagt Bobe. Mittlerweile kommen offenbar auch Kunden, die lange sparen müssen, um sich überhaupt ein Hästens-Bett leisten zu können.
Ikea oder Luxus-Bett?
Dass Preis und Schlafqualität immer in angemessenem Verhältnis stehen, bezweifeln Forscher freilich. "Es ist meines Wissens wissenschaftlich nicht bewiesen, dass man in einem 30.000-Euro-Bett besser schläft, als in einem für 2.000 Euro", sagt Zulley. "Allenfalls liegt man besser." Wer sich auch auf der Ikea-Matratze gut gebettet fühlt, müsse deshalb keine Unsummen in Luxus-Betten investieren.
Dass sich die Investition in eine gute Schlafstätte für Schlecht-Schläfer lohnt, bezweifelt der Experte hingegen nicht. "Studien zeigen, dass es nicht längst nicht egal ist, worauf man schläft." Entscheiden sind für Zulley, dass die Matratzen punktelastisch sind, also an den richtigen Stellen nachgeben, und auch für ein richtig temperiertes und vor allem trockenes Klima in der sogenannten Betthöhle sorgen. Wer eine Matratze sucht, die diese Anforderungen erfüllt, muss aber schon etwas tiefer in die Tasche greifen. Gute Matratzen kann es schon ab etwa 500 Euro geben, weniger als 200 sollte man nicht investieren, sagen die Experten der Stiftung Warentest.
Was Apps und Schlaf-Tracker taugen
Vom Traum des guten Schlafs will aber längst nicht nur die Bettenindustrie profitieren. Technik hält immer stärker Einzug in den deutschen Schlafzimmern. Findige Ingenieure und Entwickler schicken sich an, jede Phase unseres Schlafs zu optimieren.
Die Einschlaf-Optimierer
Das beginnt schon beim Einschlafen. Dutzende Apps für iPhones, Android-Geräte und das Windows-Phone versprechen einen sanften Übergang ins Reich der Träume. Die Kosten sind gering. Einschlaf-Apps gibt es schon für wenige Euro, viele sogar kostenlos.
Ihre Funktion ist immer gleich: Mit Walgesängen, Meeresrauschen oder Regengeräuschen wollen sie die Gedanken im Kopf übertönen, verhindern dass der Stress und Tagesgeschehen das Einschlafen unmöglich machen.
Nicht die schlechteste Investition, findet Zulley. "Positive monotone Stimulation erleichtert das Einschlafen. Denken Sie doch mit welchen Gesängen man kleine Kinder in den Schlaf bekommt." Wer es schafft, das Gedankenkarussell im Kopf zu stoppen, findet tatsächlich leichter in den Schlaf. Das Problem: Die Geräusche wirken nicht für alle gleich. Ist ein singender Wal für den einen wirklich beruhigend, treibt er den anderen zur Verzweiflung. Am Ausprobieren kommt niemand vorbei, sagt Zulley deshalb. Für viele Menschen genüge aber auch beruhigende Musik oder ein Hörspiel.
Die Aufwecker
Für manche ist es der bitterste Moment des Tages: das Aufwachen. Lichtwecker sollen den Start in den Tag so angenehm wie möglich machen. Statt den Schläfer mit lauter Musik aus dem Schlaf zu schrecken, erhöhen sie 20 bis 60 Minuten vor der eingestellten Weckzeit schrittweise die Helligkeit im Raum. So simulieren sie den Sonnenaufgang. Aus Sicht der Wissenschaft ist das einigermaßen sinnvoll. "Helles Licht unterdrückt das Schlafhormon Melatonin und wirkt deshalb als Wachmacher", erklärt Experte Zulley. Weil die Helligkeit nur langsam steigt, wird morgens niemand aus seiner Tiefschlafphase gerissen.So geweckt fällt der Start in den Tag tatsächlich leichter.
Kleiner Nachteil: Die positive Wirkung hält nur kurz. Spätestens zwei Stunden nach dem Aufwachen ist der Körper so oder so auf Normalbetrieb hochgefahren. Und die Wecker haben ihre Tücken. Das Licht vieler preiswerter Modelle ist nur schwach ausgeprägt. Wer tief oder mit dem Rücken zum Wecker schläft, wird von dem Schein kaum geweckt werden. Wirklich gute Lichtwecker sind hingegen teuer. Schnell kosten sie 150 Euro und mehr.
Die Alles-Überwacher
Während Lichtwecker und Einschlafhilfen bereits einen festen Platz in vielen Schlafzimmern haben, hat der Boom in einem anderen Segment gerade erst begonnen. Schlaf-Tracker erobern derzeit Deutschlands Bettenburgen. Sie zeichnen die Bewegung im Schlaf auf, registrieren die Geräusche in der Umgebung und erkennen, ob gerade eine Tiefschlaf- und Traumphase angesagt ist.
Die Vielfalt der Tracker ist groß: Bereits kostenloses Smartphone-Apps spucken Diagramme und Werte zum Schlafrhythmus aus. Vor dem Einschlafen auf die Matratze gelegt, aktivieren sie den Wecker, wenn im Bett gerade besonders viel Bewegung herrscht.
Auch die Hersteller von Fitness-Armbändern haben neben der Jogging-Strecke das Schlafzimmer als Einsatzort für sich entdeckt. Wearables wie das JawBone Up und das Fitbit Flex zeichnen die Schlafbewegungen auf – und wecken je nach Modell durch leichte Vibrationen zu richtigen Zeit.
Der französischen Hersteller Withings treibt die Entwicklung zum privaten Schlaflabor sogar noch weiter. Sein intelligentes Lichtsystem Aura kontrolliert nicht nur das Schlafverhalten sondern steuert es durch den Einsatz bestimmter Wellenlängen: Zum Einschlafen strahlt das Gerät rotes Licht aus, das die Ausschüttung des Müdigkeits-Hormons Melatonin erhöht wird. Am Morgen leuchtet das Gerät blau und erreicht so die gegenteilige Wirkung.
Weil sich Aura auch mit einem kabellosen Blutdruckmessgerät von Withings und dem hauseigenen Fitnesstracker Pulse koppeln lässt, gilt es als eine der umfassendsten Möglichkeiten, mit der Privatleute ihren Schlaf steuern können. Das hat freilich seinen Preis: Schon für Aura allein werden 300 Euro fällig.
Hästens-Manager Bobe etwa hält von der ganze High-Tech-Ausrüstung im Schlafzimmer freilich wenig. In seinen Luxus-Betten sieht er sie gar nicht gern: "Das passt einfach nicht zu Philosophie, den natürlichen Schlaf zu fördern."
Auch Schlafforscher Zulley bezweifelt, dass Gadgets die Heilsbringer für Wenig-Schläfer sind. Nicht nur, dass ihre Ergebnisse nur grob und ungenau sind. Wer zu viel Aufhebens um seinen Schlaf macht, schade sich am Ende sogar. "Je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, desto unentspannter werde ich", sagt Zulley. "Der Königsweg in den Schlaf ist die Entspannung. Mangelt es daran, bleiben wir wach."