60 Jahre Fernsehwerbung Prozesse, Waschmittel und Social Media

Oh Schreck, ein Fleck: Vor 60 Jahren kam der erste Werbespot ins deutsche Fernsehen. Der Bayerische Rundfunk zeigte Waschmittel-Werbung. Doch Streaming-Portale stellen heute die Zukunft der Spots in Frage,

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„Der gebildete Mensch sagt nur: Persil!“ Quelle: dpa

München Ein Mann, eine Frau, ein Fleck auf der Tischdecke und der Retter in dieser schweren Not: ein Waschmittel. Vor 60 Jahren, am 3. November 1956, zeigte das Bayerische Fernsehen den ersten Fernsehwerbespot in Deutschland. Die Kabarettistin Liesl Karlstadt und der Schauspieler Beppo Brehm sitzen dabei in einem Lokal am Tisch, als Brehm („Xaver“) ein Unglück geschieht und die Hälfte der „Mahlzeit“ (so der Titel des Spots) auf der weißen Tischdecke landet. Seine Frau ist ganz aufgeregt, doch der Wirt bleibt ruhig, denn: „Dafür gibt's doch - Gott sei Dank - Persil, nicht wahr, gnäd'ge Frau?“ Zum Schluss grinst „Xaver“ zufrieden in die Kamera. Seine Frau mache immer gleich ein „Trara“. Aber: „Der gebildete Mensch sagt nur: Persil!“

„Ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Deutschen Fernsehens hat begonnen“, hieß es damals auf einer Titelseite, wie das Historische Archiv des Bayerischen Rundfunks heute noch weiß. Bis April 1959 zogen alle anderen Rundfunkanstalten nach – auch wenn Fernsehwerbung in ihrer Anfangszeit hochgradig umstritten war. Stärkster Kontrahent war damals der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der gegen Werbung im Bayerischen Rundfunk klagte, nach mehreren Verhandlungen aber 1957 vor Gericht unterlag.

Heute ist TV-Werbung nach Angaben des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) das werbestärkste Medium in Deutschland mit Netto-Werbeeinnahmen von 4,4 Milliarden Euro und einem Marktanteil von 29 Prozent im Jahr 2015. Zum Vergleich: 1956 war das Fernsehen das werbeschwächste Medium mit Brutto-Werbeeinnahmen von 0,2 Millionen D-Mark und einem Marktanteil von 0,02 Prozent. Allerdings stieg die Zahl der Fernseh-Haushalte in Deutschland auch von rund 2,5 Millionen im Jahr 1959 auf mehr als 37 Millionen im Jahr 2015.

Und das ist natürlich nicht das Einzige, was sich in mehr als einem halben Jahrhundert Werbegeschichte getan hat. „Früher wie heute soll Werbung Aufmerksamkeit erregen oder die Einstellung zu einem Produkt beziehungsweise einer Marke verbessern und so am Ende des Tages dafür sorgen, dass die Produkte gekauft werden - aber damit haben sich die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft“, sagt Manfred Schwaiger vom Institut für Marktorientierte Unternehmensführung der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Die Werbungen von damals wirken heute lustig bis peinlich auf uns.“


„Werbung muss schneller, lauter und greller werden“

Der Grund: „Man hat damals Produkteigenschaften in den Mittelpunkt gestellt.“ Das reiche heute nicht mehr. „Es wird schon weiß waschen; es ist ja ein Waschmittel. Aber was genau habe ich davon? Das muss Werbung heute zeigen. Es geht um den persönlichen Nutzen, und die Aufmachung ist sehr viel emotionaler als früher.“ Die beste Werbung, so sagt er, sei allerdings die, von der man es nicht vermute. „Die in Cannes prämierten Werbespots - die meisten sind auf Humor ausgerichtet - nutzen viel zu starke Reize, die in der Regel von der Markenbotschaft ablenken. Je stärker der Anreiz - Humor, Schock oder Erotik - desto eher gerät die Botschaft in den Hintergrund.“

Mehr als 3,8 Millionen TV-Spots liefen nach ZAW-Angaben im Jahr 2015 - das sind fast 1,5 Millionen mehr als noch 2001. Schwaiger sagt dennoch: „Fernsehwerbung insgesamt sehe ich auf dem absteigenden Ast.“ Denn: „Niemand setzt sich vor den Fernseher, um schöne Werbung zu schauen.“ Er spricht von einem „Paradigmenwechsel“. Die Zielgruppen wollten heute keine senderzentrierte Werbung mehr, sondern interagieren und die Kommunikation mitgestalten, wie es auf Social-Media-Plattformen möglich ist.

„1956 war die Familie frontal ausgerichtet auf das Fernsehgerät“, sagt der Medienwissenschaftler Guido Zurstiege von der Universität Tübingen. „Das ist heute anders. Heute findet diese intensive Auseinandersetzung mit Quality-TV auf Streaming-Plattformen statt. Da suhlt sich die Avantgarde in neuen Formaten. Wir schauen zwar immer noch fern - erstaunlicherweise - aber wir schauen anders fern. Wir schauen viel mehr nebenbei. Werbung, die uns da begegnet, muss also schneller, lauter und greller werden.“

Dass die Tage der Fernsehwerbung gezählt sind, glaubt er allerdings nicht. „Auch das Fernsehen entwickelt sich zu einem personalisierten Medium“, sagt er. „Viele Fernseher haben inzwischen einen Rückkanal. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass Zuschauer, die ein Fußballspiel gucken, auf ihrem Fernseher personalisierte Bandenwerbung sehen können.“ Sogar ganze Seifenopern mit personalisierter Werbung könnte er sich vorstellen. „Technisch ist das möglich.“

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