Alibaba gegen Amazon „Jetzt ist die Welt dran“

Das Wachstum des Onlinehändlers Alibaba kennt scheinbar keine Grenzen, Gründer Jack Ma forciert weltweit das Wachstum. Selbst der US-Riese Amazon muss die chinesische Superplattform fürchten.

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Das Riesenreich des Jack Ma. Quelle: Getty Images

Es kommen sogar Touristen. Eine halbe Stunde brauchen sie mit dem Taxi aus Hangzhou südlich von Shanghai zum Sitz des Unternehmens Alibaba. Über den weitläufigen Campus fahren Mitarbeiter mit orangefarbenen Fahrrädern, die Besucher knipsen am Eingang ein Foto vor dem Firmenlogo und decken sich dann in einem Laden mit Fanartikeln ein. Es wirkt, als wären sie zum Stadion ihres Lieblingsvereins gepilgert – und nicht zum Hauptquartier eines Unternehmens.

Ganz falsch ist der Eindruck nicht. Denn Alibaba und sein charismatischer Gründer Jack Ma sind in China nicht nur groß, sondern auch Kult. Ausgehend von einer Internethandelsplattform, hat das ostchinesische Unternehmen sein Geschäft in den vergangenen Jahren technisch immer weiter aufgerüstet und um immer mehr Angebote erweitert.

Dadurch ist ein gigantisches Konglomerat entstanden, das mit seinen vielfältigen Aktivitäten in Handel, Logistik, Finanzen und Medien allenfalls noch vom US-Riesen Amazon übertroffen wird.

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Mit zuletzt 136 Milliarden Dollar setzt Amazon zwar noch ein Vielfaches von Alibaba um. Doch allein schon wegen seiner gigantischen Zuwachsraten ist der Chinakonzern das einzige Unternehmen, das den globalen Siegeszug des Handelsriesen aus Seattle ernsthaft gefährden kann. Im Vergleich zum Vorjahr hat Alibaba den Umsatz in den vergangenen Quartalen jeweils um mehr als 50 Prozent gesteigert, seit 2011 sind die jährlichen Erlöse von umgerechnet 992 Millionen auf 23,5 Milliarden US-Dollar geklettert.

Bisher sind sich beide Internetriesen weitgehend aus dem Weg gegangen. Amazon dominiert das Geschäft in den USA und Europa, Alibaba in China und zunehmend auch in Südostasien. Auf den Märkten des Gegenspielers spielen beide jeweils nur eine kleine Rolle. Mit jedem Wachstumsschritt gerät allerdings das Gleichgewicht in Gefahr, in einzelnen Ländern treffen Alibaba und Amazon bereits aufeinander. Der Wettbewerb dort dürfte nur das Vorgeplänkel für den globalen Konkurrenzkampf sein.

Gründer Ma jedenfalls scheint dazu bereit. In den vergangenen 15 Jahren habe Alibaba China verändert. „Jetzt ist die Welt dran“, kündigte er jüngst an. Zwei Milliarden Konsumenten und zehn Millionen Händler will er in den kommenden Jahren weltweit gewinnen, bis zu 100 Millionen neue Jobs schaffen. Anders als Amazon will Ma traditionelle Händler nicht ersetzen, sondern über Alibabas Plattformen verbinden. So soll ein allumspannendes Netzwerk entstehen – mit ihm selbst im Zentrum.

Zahlen per Gesichtserkennung

Wie das funktionieren soll, kann Terry von Bibra bestens erklären. Der hochgewachsene amerikanische Manager spricht fließend Deutsch und hat früher für Yahoo und Karstadt gearbeitet. Nun steuert er in München die Expansion Alibabas in Europa. „Bei Suchmaschinen und Chatdiensten hat Europa keinen Nachholbedarf“, sagt er. Und Amazon biete „gute Lösungen“ für die einzelnen europäischen Märkte. Was jedoch überall fehle, seien überzeugende Konzepte für den grenzüberschreitenden Handel.

Die will er nun liefern. In Zukunft sollen Unternehmen auf der einen Seite des Planeten mithilfe von Alibaba problemlos mit Kunden auf der anderen handeln können. Innerhalb von 72 Stunden soll so etwa ein Händler aus Deutschland Waren an Kunden in China, Brasilien und Indien verschicken können, ohne dafür im Land eine Niederlassung gründen oder sich mit dem Zoll und anderen Bestimmungen auskennen zu müssen.

Alibaba kümmere sich um Vermittlung, Logistik und die Abwicklung der Bezahlung, sodass jeder Händler am weltweiten Austausch von Waren teilnehmen kann.

Jack Ma: „Ich bin ein Krokodil im Fluss Yangtze“

Erfolgreich entwickelt hat Ma dieses Konzept in China mit der Plattform Taobao, die er 2003 gegründet hat. Über die können Händler landesweit ihre Produkte verkaufen. Heute sind neun Millionen Anbieter registriert, in der Rangliste der meistbesuchten Internetseiten liegt Taobao in China auf Platz drei, weltweit auf Platz zwölf. Allein durch die Rabattschlacht am „Singles' Day“ am vergangenen Wochenende machte Alibaba 22 Milliarden Euro Umsatz.

Derartige Dimensionen waren bei den bescheidenen Anfängen der Plattform kaum vorstellbar. 1995 machte Ma während einer Reise in den USA erste Erfahrungen mit dem Internet. Er tippte das Wort Bier in eine Suchmaschine ein, als Ergebnis zeigte sie Sorten aus den USA und Deutschland, aber keine aus China. Auch die Suche nach seinem Heimatland habe keine Ergebnisse geliefert. Da, so erzählt es Ma, habe er beschlossen, im Internet aktiv zu werden.

Heute gehört der 54-Jährige zu den reichsten Männern Asiens. Und nicht nur in China ist Ma ein Idol. Auch in Afrika und Südostasien kommt er gut an, wenn er, wie in diesem Sommer in Nairobi, vor Gründern über seine Ideen spricht. Ma ist ein guter Redner, aber vor allem der Sohn armer Eltern, der anfangs gerade mal 20 Dollar im Monat verdiente, zwei Mal durch die Abschlussprüfung in der Schule fiel, zehn Mal in Harvard abgelehnt wurde und es nun trotzdem mit den Größen des Silicon Valley aufnimmt.

Alibaba hat bei seinem Einkaufsevent so viel Umsatz gemacht wie nie zuvor. Rund 25 Milliarden Dollar nahm der chinesische Onlinehändler ein.

Porter Erisman kennt Ma genau. Der amerikanische Manager mit den blonden Haaren und der runden Brille hat acht Jahre für Alibaba gearbeitet, er war dabei, als Taobao an den Start ging. Schon da habe Ma die US-Konzerne als Wettbewerber gesehen. „Ebay ist vielleicht ein Hai im Ozean, aber ich bin ein Krokodil im Fluss Yangtze“, habe Ma gesagt und schelmisch gelächelt. Der Kampf David gegen Goliath, die Idee des schlauen Angreifer, der es mit übermächtigen Konkurrenten aufnimmt, habe dem Alibaba-Gründer stets gefallen. Tatsächlich habe Ma, anders als Amazon, stets für und nie gegen andere Unternehmen gearbeitet. Kleine Händler habe er nicht zerstören oder kontrollieren, sondern ihnen über sein Netzwerk Chancen eröffnen wollen.

Ma selbst pflegt den Mythos. „Die westlichen Handelsplattformen wollen immer nur mit großen Unternehmen Geschäfte machen, sie wollen die Wale. Wir aber konzentrieren uns auf die Shrimps“, hat er seine Strategie erklärt.

Um sein Erfolgskonzept zu exportieren, ist Ma viel unterwegs. Im vergangenen Jahr, so hat er vorgerechnet, verbrachte er mehr als 800 Stunden in der Luft, um Werbung zu machen und Partner ins Boot zu holen. Auch bei Donald Trump in New York machte er halt und versprach ihm eine Million neue Jobs in den USA. Der Präsident zeigte sich begeistert und verkündetet, dass er mit Ma „große Dinge“ vollbringen werde.

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Bei seiner globalen Expansion konzentriert sich Alibaba bisher vor allem auf Entwicklungs- und Schwellenländer, in denen Handel, Logistik und Finanzsektor ähnlich unterentwickelt sind wie in China vor zehn Jahren. So hält der Konzern etwa Anteile an Bezahldiensten in Singapur, Indonesien, Malaysia, Thailand und Südkorea.

Dem deutschen Inkubator Rocket Internet hat er 2016 Anteile an der Handelsplattform Lazada abgekauft. Die ist in Singapur, Malaysia, Indonesien, den Philippinen, Thailand und Vietnam aktiv. In Singapur hat sich Lazada mit dem Fahrtvermittler Uber, der Videoplattform Netflix und dem Lebensmittellieferanten Redmart, der ebenfalls zu Alibaba gehört, verbündet. Kunden können sich Bestellungen über Lazada und Taobao kostenlos liefern lassen und diverse Dienste für rund 36 Dollar pro Jahr nutzen.

In Europa wagt sich Alibaba schrittweise vor

Prognosen gehen davon aus, dass der Umsatz im Onlinehandel in der Region von 5,5 Milliarden Dollar im Jahr 2015 innerhalb von zehn Jahren auf 88 Milliarden Dollar wächst. Deshalb wagt sich nun auch Amazon vor. Singapur gilt als Brückenkopf für Südostasien, hier verspricht der US-Riese, Pakete mit seinem Premiumdienst Prime binnen zwei Stunden liefern zu können.

In Indien ist der Wettkampf bereits voll im Gang. 2014 kündigte Amazon-Chef Jeff Bezos in Bangalore an, fünf Milliarden Dollar in dem Land zu investieren. Heute ist das Unternehmen der zweitgrößte Onlinehändler im Land. Alibaba hat in Paytm, den wichtigsten Bezahldienst Indiens, investiert. Seit Kurzem können Kunden über den Onlinehändler „Paytm Mall“ einkaufen.

Auch in Europa wagt sich Alibaba schrittweise vor. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen sein erstes Rechenzentrum in Frankfurt eröffnet, mit dem es deutsche Unternehmen für die Speicherung von Daten im Internet (Cloud) gewinnen will. Damit greift Ma den Amazon-Dienst Drive frontal an. Und in Bulgarien verhandelt das Unternehmen mit der Regierung über ein Versandzentrum, das für den gesamten europäischen Markt zuständig sein könnte.

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von Sebastian Kirsch

Chinesische Kunden können in Deutschland, den USA und weiteren Ländern zudem den Dienst Alipay nutzen, um Einkäufe, Taxis und Hotelbuchungen zu bezahlen. Das ist etwa bei der Drogeriemarktkette Rossmann möglich. Der Dienst könnte sich irgendwann auch für deutsche Kunden öffnen. Die Infrastruktur wäre jedenfalls vorhanden.

Die Bezahldienste sind für Alibaba längst zu einem eigenen Wachstumstreiber und zur Quelle technischer Innovationen geworden. Das lässt sich in einem Fast-Food-Restaurant im ostchinesischen Hangzhou besichtigen. Dort lächelt Wang Lina in eine Kamera, nach einem Moment hat das Gerät die junge Chinesin erkannt und fordert sie auf, für die Rechnung ihre Handynummer einzugeben. Dann nimmt Wang einen kleinen schwarzen Pieper aus einem Korb neben dem Bildschirm. Mit dem wird die Kellnerin sie finden, wenn sie das bestellte Essen serviert.

Wer im Onlinehandel die Nase vorn hat

Noch befindet sich „Smile to pay“ in der Testphase. Doch bald will die Alibaba-Tochter Ant Financial den weltweit bisher einmaligen Service flächendeckend einführen. Bedenken der Nutzer dürften dem kaum entgegenstehen. „Das ist wirklich cool“, findet Wang. Dass Alibaba ihre biometrischen Daten für andere Zwecke verwenden könnte und dass sie nie eine Einverständniserklärung erteilen musste, beschäftigt sie nicht. „Ich finde die Technik nützlich“, sagt Wang.

Datenschutz? „Technik ist cool“

Während Amazon bei jeder neuen Funktion der Sprachbox Alexa oder der geplanten In-die-Wohnung-Lieferung Key die Vereinbarkeit mit dem Datenschutz erklären muss, fehlt dafür in China jedes Bewusstsein. Das erleichtert Alibaba das Geschäft. So kann das Unternehmen in seinen Datenbanken bald die Fotos von mehr als 400 Millionen Kunden speichern und diese ungefragt für neue Dienstleistungen testen.

Derzeit stehen die Zeichen überall auf Wachstum, beim Logistiknetzwerk Cainiao ebenso wie beim digitalen Medienangebot. Alibaba hat sich sogar in den stationären Handel vorgewagt und in China 13 Supermärkte eröffnet. Den Gewinn hat das Unternehmen im vergangenen Quartal im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Und jüngst kündigte es an, in den kommenden drei Jahren 15 Milliarden Dollar in neue Forschungszentren zu investieren.

Das überzeugt auch die Aktionäre. Das seit 2014 an der Wall Street gelistete Unternehmen ist aktuell rund 480 Milliarden US-Dollar wert – und damit dem großen Konkurrenten Amazon, der es auf 540 Milliarden Dollar bringt, schon ziemlich nah auf die Pelle gerückt. „Alibabas Entwicklung wird durch das hohe Potenzial auf seinem Heimatmarkt gestützt“, sagt Michael Kramer, Analyst bei Mott Capital Management in New York. Während in den USA für Amazon nur noch wenig Potenzial bestünde, würde Alibaba vom Wachstum der chinesischen Mittelklasse profitieren. Zudem seien die Kosten des Unternehmens wegen seiner reinen Vermittlerfunktion geringer. Anders als Amazon braucht Alibaba keine teuren Lager.

Die Internet-Handelsplattform Alibaba spielt für die Industrie eine vergleichbare Rolle wie es ebay und Amazon für Privatkunden tun. Doch Alibaba hat ein Problem mit Produktfälschungen - obwohl das Unternehmen selbst...

Für Unsicherheit sorgt allenfalls, dass Alibaba, wie alle chinesischen Unternehmen, vom Wohlwollen der Regierung abhängig ist. Wie hart Peking durchgreift, wenn Unternehmen Vorgaben nicht schnell umsetzen, zeigte sich jüngst beim Messenger-Betreiber Tencent. Der hatte nach Auffassung der Regierung nicht genug getan, um die exzessive Nutzung seines beliebtesten Handyspiels einzuschränken. Nachdem die staatliche Tageszeitung „China Daily“ über das Missfallen berichtet hatte, brach die Tencent-Aktie ein, das Unternehmen verlor innerhalb kürzester Zeit 17,5 Milliarden Dollar Marktwert.

Wie wichtig gute Beziehungen zu Peking sind, ließ sich während des Parteitags der KP im Oktober erahnen. In den Staatsmedien ließ sich Ma mit der Meinung zitieren, dass die Worte von Staatspräsident Xi Jinping „den Weg für die Zukunft des Landes“ gedeutet hätten. Er werde alles tun, die Vorgaben umzusetzen.

Noch lässt Peking den Vorzeigeunternehmer Ma gewähren. Schließlich demonstriert er wie kein Zweiter die Leistungsfähigkeit der Volksrepublik und wird dafür schon seit Jahren auch im Ausland wahrgenommen. Exmitarbeiter Erisman erinnert sich noch genau an einen Auftritt von Ma in San Francisco 2006. Als der schmächtige Ma ans Mikrofon trat, hätten die Teilnehmer aus den Chefetagen des Silicon Valley gebannt zugehört. Und in der letzten Reihe habe ein Mann hektisch jedes Wort mitgeschrieben – Amazon-Chef Jeff Bezos.

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