Amazon Das Rätsel der fehlenden Milliarde

Es sollte das beste Weihnachtsquartal der Geschichte werden, doch am Ende fehlte eine Milliarde Dollar. Amazon hat für seine Quartalszahlen Erklärungen parat, aber die Wall Street zweifelt.

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Stapelweise Pakete: Der Online-Versand Amazon plant einen Frachtflughafen. Quelle: AP

Es war ein fürchterliches Weihnachtsquartal für den traditionellen US-Einzelhandel. Target, J.C. Penny, Macy’s oder Kohl’s – die Liste der Unternehmen mit verheerenden Quartalszahlen wollte im Januar gar nicht enden.

Und während überall die Schließung von Ladenlokalen ansteht und große Einkaufsmalls in den Vorstädten um ihre Zukunft bangen, richteten sich alle Augen auf Amazon: Das werde der ganz große Profiteur sein, frohlockten Analysten. Um 25 Prozent werde der Umsatz im Weihnachtsquartal mindestens wachsen, erwarteten sie, Amazon selbst sprach vom „besten Weihnachtsquartal aller Zeiten“.

Doch am Donnerstag kam die kalte Dusche: Der Umsatz stieg zwar um 22 Prozent an, landete mit 43,74 Milliarden Dollar jedoch signifikant unter den 44,68 Milliarden Dollar, die von Reuters befragte Analysten erwartet hatten. Amazons Finanzvorstand Brian Olsavsky machte im Analystengespräch vor allem einen unerwarteten negativen Währungseffekt von fast 800 Millionen Dollar für die Abweichung von gut einer Milliarde Dollar verantwortlich.

Doch das war nicht die einzige Enttäuschung. Auch Amazons Prognose für den Umsatz im laufenden Quartal überzeugte die Analysten nicht. Der Konzern rechnet mit 33,25 bis 35,75 Milliarden Dollar, an der Wall Street erwartet wurden 35,95 Milliarden Dollar. Verglichen zum Vorjahresquartal mit 29 Milliarden Dollar wäre es also im besten Falle ein Plus von 23 Prozent.

Amazon verwundert die US-Anleger

Da half auch eine positive Überraschung beim Quartalsgewinn wenig. Netto kletterte dieser von 482 Millionen im Vorjahr auf 749 Millionen. Am frühen Abend lag die Aktie im nachbörslichen Handel mit 803 Dollar rund 4,4 Prozent unter dem offiziellen Schlusskurs.

An den Verbrauchern kann es nicht gelegen haben. Das Weihnachtsquartal dürfte nach vorläufigen Zahlen des US-Einzelhandelsverbandes das beste seit 2005 gewesen sein. Vielleicht holen ja doch die Wettbewerber langsam auf. Slice Intelligence, ein Unternehmen, das Online-Kaufbelege auswertet, weist für den Zeitraum ab November Marktanteilsgewinne für traditionelle Einzelhändler wie Best Buy, Target, Apple, Kohl’s, Adidas, Lululemon oder Home Depot aus. Das reichte zwar in vielen Fällen nicht aus, um die Verluste in den Ladengeschäften auszugleichen. Aber deren digitale Umsätze fehlen Amazon.

Was Deutsche über Amazon Dash kaufen würden

Wegen eines steuerlichen Problems könnten dem Online-Händler bald noch mehr Kunden den Rücken kehren. Da die Mehrwertsteuer in den USA nicht zentral geregelt ist, wird sie beim Online-Versand am Wohnsitz des Kunden festgemacht, der diese – sofern er Privatkunde ist – nachträglich versteuern muss. Allerdings macht das kaum jemand, und den Verwaltungen fehlen die Mittel, hunderte Millionen Transaktionen nachzuverfolgen. Eine Sonderregelung befreit Online-Händler wie Amazon davon, sich um die Einbehaltung der Mehrwertsteuer zu kümmern, sofern sie in dem Bundesstaat nicht ansässig sind. Das hat Amazon über Jahre einen scheinbaren Preisvorteil verschafft.

Amazon investiert in Logistik

Doch mit dem Aufbau von immer mehr Auslieferungszentren kippt dieser Trick. Bereits 29 Bundesstaaten behalten inzwischen bei Amazon-Transaktionen die Mehrwertsteuer ein und leiten diese an die Bundesstaaten weiter, in denen die Kunden jeweils wohnen. 2017 wollen zehn weitere Bundesstaaten sich dieser Vorgehensweise anschließen.

Amazon-Chef Jeff Bezos hat gar keine andere Wahl, als immer mehr in Logistik zu investieren. Auf der einen Seite, um sich der Konkurrenz zu erwehren, auf der anderen Seite, weil ein zunehmender Teil der Verkäufe über unabhängige Händler erfolgt, die nur ihre Waren in Amazons Lager abliefern und sie dann gegen Gebühr verschicken lassen. Die Zahl der Verkäufe von Drittanbietern, die durch Amazon versendet werden (Fulfilment by Amazon), stieg im Quartal um 70 Prozent und 55 Prozent aller Verkäufe von Dritten werden heute über Amazon getätigt. Das erklärt den kontinuierlichen Aufbau von Lagern und den geplanten Bau eines eigenen Frachtflughafens für 1,5 Milliarden Dollar.

Mit den anhaltend hohen Investitionen und dem Fehlen von Gewinnbeiträgen der kostspieligen Projekte wie Amazon Music oder Prime Video, die Investitionen in Lizenzen, Abspielrechte oder Eigenproduktionen erfordern, fällt Amazons geheimer Geldmaschine immer mehr Bedeutung zu. Denn die Wachstumsverlangsamung droht langsam zu einem Problem für Jeff Bezos zu werden. Im zweiten Quartal 2016 lag das Plus zum Vorjahr noch bei 31 Prozent, im dritten bei 29 und jetzt bei 22 Prozent.

AWS, die Sparte für Cloud-Computing, ist die Profitmaschine des Handelsunternehmens. Der operative Gewinn von 926 Millionen Dollar im Quartal bei einer satten Gewinnmarge von 26 Prozent sorgt für den nötigen Cash Flow. Der Umsatz im Quartal lag mit 3,6 Milliarden Dollar um 47 Prozent über dem Vorjahresquartal, aber auch hier schwächen sich die Wachstumsraten ab.

Amazon ist einsamer Marktführer beim Boom-Segment Cloud-Computing, doch vor allem der Verfolger Microsoft holt mit großen Schritten auf und auch das abgeschlagene Google will nicht kampflos aufgeben. Der Umsatz der Sparte liegt laut Amazon im gleitenden Zwölfmonatsdurchschnitt bei 12,2 Milliarden Dollar. Microsoft hat als Ziel für 2018 einen Umsatz von 20 Milliarden Dollar ausgelobt und im abgelaufenen Jahr 14 Milliarden erreicht.

Im Jahr 2016 belief sich der Umsatz des gesamten Amazon-Konzerns auf 136 Milliarden Dollar, ein Plus von 27 Prozent. Geht es nach den Marktforschern von eMarketer, wird Amazon zwar der Wachstumschampion bleiben, sich aber auf ruhigere Zeiten einstellen müssen. Sie sagen bis 2020 ein jährliches Wachstum von 13 Prozent voraus. Kein anderer Wettbewerber erreicht hier einen zweistelligen Wert. Doch Anleger, die weiter auf Amazon als ungestümen Wachstumswert setzen, sollten sich noch einmal Gedanken machen.

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