Auf den ersten Blick sieht es wie ein gutes Angebot aus. Amazon will Händlern, die über die Plattform verkaufen und ihre Waren bei Amazon lagern, Produkte einfach selber abkaufen. Und zwar zu dem Preis, den der Händler auch von privaten Käufern verlangt hätte. Der einzige Unterschied, so Amazon, sei die Berechnung der Umsatzsteuer. Der Einzelhändler wird ja jetzt zum Großhändler, weil Amazon die Ware natürlich weiterverkauft.
Doch Händler, die auf diesen Deal eingehen, können in größte Schwierigkeiten geraten. Denn in den meisten Fällen hat ihnen der Hersteller den Weiterverkauf an andere Händler in den Vertriebsbedingungen untersagt. Somit verstoßen sie gegen Vertriebsvereinbarungen, riskieren empfindliche Vertragsstrafen und im härtesten Fall verlieren sie ihre Vertriebsrechte.
Und das Schlimmste: Zahlreiche Händler klagen, dass sie über diese weitreichende Änderung in den Geschäftsbedingungen nicht informiert worden sind. Amazon habe die neue Regelung in Kraft gesetzt, ohne die Partner überhaupt zu fragen. Amazon selber teilt auf Nachfrage mit, das Unternehmen habe dazu eine Meldung im Verkäuferportal Seller Central eingestellt.
Amazons deutsche Logistikzentren
Im hessischen Bad Hersfeld hat Amazon gleich zwei Logistikzentren. Dort wurde 1999 das erste Logistikzentrum innerhalb von Deutschland eröffnet. Zehn Jahre später folgte ein zweites Zentrum.
Das Zentrum in Leipzig gibt es seit 2006 und ist so groß wie elf Fußballfelder. Dort sind 2000 Arbeitskräfte festangestellt.
Der Logistikstandort Werne wurde 2010 eröffnet, ein Jahr später wurde eine weitere Halle eröffnet. Die Gesamtfläche ist so groß wie 19 Fußballfelder. Für 2017 ist ein kompletter Neubau geplant.
In Rheinberg hat Amazon mehr als 1700 Mitarbeiter. In der Weihnachtszeit kommen 1800 Saisonkräfte hinzu. Das Zentrum gibt es seit 2011.
Mit 110.000 Quadratmetern oder 17 Fußballfeldern an Lagerfläche stellt Graben bei Augsburg eines der größten deutschen Logistikzentren von Amazon. Sechs Lagerhallen umfasst das Versandzentrum, das es seit 2011 gibt.
Das Logistikzentrum in Koblenz wurde 2012 eröffnet und umfasst rund 17 Fußballfelder an Lagerfläche. Dort hat Amazon mehr als 1000 Mitarbeiter und stellt jedes Jahr doppelt so viele Saisonkräfte ein.
Das Logistikzentrum in Pforzheim gibt es seit Herbst 2012. Dort hat Amazon 1000 Mitarbeiter. In der Weihnachtszeit werden doppelt so viele Saisonkräfte eingestellt. Das Gelände ist 110.000 Quadratmeter groß.
Brieselang ist der neueste Standort von Amazon in Deutschland. Er wurde im Herbst 2013 eröffnet. Mit einer Größe von umgerechnet 10 Fußballfeldern gehört er zu den kleinsten Standorten.
Zumindest einige Händler seien gezielt per Mail angeschrieben worden, so Amazon. Aber nur die, mit denen Amazon ein Pilotprogramm aufsetzen will. Dabei will der Plattformbetreiber Waren der Händler aufkaufen und über die französische Plattform amazon.fr verkaufen.
„Das sind Wild-West-Methoden“, schimpft ein Fachhändler, der nicht genannt werden will, weil er sonst Probleme mit Amazon befürchtet. „Da macht Amazon das Lager seiner Partner für sich selbst zum Selbstbedienungsgroßhandel“.
Denn die neue Funktion „Kauf meines Lagerbestandes durch Amazon genehmigen“ ist automatisch aktiviert worden. Händler müssen nun aktiv widersprechen, um wieder Rechtssicherheit zu haben. Doch viele wissen noch nicht einmal, dass sie in Gefahr sind.
Amazon bestimme als Marktplatzbetreiber grundsätzlich die Regeln und Marketplace-Händler akzeptierten die Nutzungsbedingungen mit Eröffnung eines Verkäuferkontos, erklärt Annegret Meyer, Leiterin der Rechtsabteilung bei Händlerbund, der rund 50.000 Onlinehändler vertritt. „Sie begeben sich, mit allen Vorteilen, die die Verkaufsplattform bietet, in eine Abhängigkeit vom Giganten Amazon und haben sich regelmäßig mit Amazons bitteren Pillen zu arrangieren“, warnt sie.
Was will Amazon?
Doch was hat Amazon von der ganzen Sache? Ganz einfach: Der Online-Gigant kommt so an Waren, die er auf anderem Weg nicht bekommen könnte. Denn viele Hersteller verkaufen ihre Produkte bewusst nicht an Amazon. Sie haben einen selektiven Vertrieb über Fachhändler, die entsprechenden Service und Beratung bieten.
„Amazon hat damit einen ganz bewussten Angriff auf die Vertriebspolitik der Hersteller vollzogen“, schimpft Christian Romanowski. Er produziert unter der Marke Chroma hochwertige Messer, die auch in der Gourmetküche verwendet werden. Als er die Änderung der Geschäftsbedingungen bemerkte, hat er sofort alle seine Händler angeschrieben. „Wer Amazon den Kauf des Lagerbestandes genehmigt, wird von mir nicht mehr beliefert“, erklärt der Unternehmer.
Die beliebtesten Händler in Deutschland
Der Proposition-Index 2015 der Unternehmensberatung OC&C analysiert die Leistungsversprechen von über 850 Handelsunternehmen (darunter 95 aus Deutschland) auf Basis einer internationalen Konsumentenbefragung. Insgesamt wurden über 300.000 Kundenbeurteilungen aufgenommen, 26.000 davon allein in Deutschland. Für jedes Handelsunternehmen wurden die Kunden zur Gesamtwahrnehmung und den Elementen des Leistungsversprechens befragt. Neben der Kundensicht zu Preisstellung, Qualität, Auswahl, Einkaufserlebnis und Service wurden auch die Preis-Leistungs-Wahrnehmung des Kunden und das Kundenvertrauen ermittelt. In die Bewertung fließen hierbei nur diejenigen Konsumenten ein, die das entsprechende Handelsformat in den vergangenen drei Monaten besucht oder dort eingekauft haben. Die vom Kunden wahrgenommene Stärke des Gesamtleistungsversprechens, der „Proposition“, und die einzelnen Elemente des Leistungsversprechens werden jeweils in einem Index gemessen, dessen Maximalwert 100 ist.
Platz 10: Douglas
Kategorie: Drogerien
Bewertung: 79,6
Veränderung zu 2014: -0,8
Platz 9: Aldi
Kategorie: Lebensmitteleinzelhandel
Bewertung: 79,6
Veränderung zu 2014: +1,8
Platz 8: Tchibo
Kategorie: Multisortimenter/Warenhäuser
Bewertung: 80,0
Veränderung zu 2014: +0,8
Platz 7: Drogerie Müller
Kategorie: Drogerien
Bewertung: 80,0
Veränderung zu 2014: +0,2
Platz 6: Rossmann
Kategorie: Drogerien
Bewertung: 80,5
Veränderung zu 2014: -0,3
Platz 5: Otto
Kategorie: Multisortimenter/Warenhäuser
Bewertung: 81,1
Veränderung zu 2014: +3,3
Platz 4: Thalia
Kategorie: Andere
Bewertung: 81,4
Veränderung zu 2014: +1,1
Platz 3: IKEA
Kategorie: Möbelhäuser
Bewertung: 81,8
Veränderung zu 2014: n/a
Platz 2: Amazon
Kategorie: Multisortimenter/Warenhäuser
Bewertung: 86,5
Veränderung zu 2014: +1,5
Platz 1: dm
Kategorie: Drogerien
Bewertung: 87,7
Veränderung zu 2014: +1,2
Romanowski hat mit Amazon eine ganz spezielle Geschichte, die er auf www.jeff-das-messer.de aufgeschrieben hat. Jahrelang hat er sich, auch vor Gericht, dagegen gewehrt, dass der E-Commerce-Konzern seine Produkte direkt vertreibt. Nur seine autorisierten Fachhändler durften die Messer über den Amazon-Marktplatz verkaufen. Doch obwohl sich Romanowski weigerte, Amazon zu beliefern, tauchten seine Messer immer wieder auf der Verkaufsplattform auf. Um zu ermitteln, wie Amazon an die Messer kam, griff er zu einer List: Er kennzeichnete die Messer heimlich mit einer UV-Markierung.
Das überraschende Ergebnis: Testkäufe belegten, dass zumindest ein Teil der angebotenen Messer aus dem Bestand eines Fachhändlers stammten, der die Messer in einem Amazon-Lager gelagert hatte. Amazon hatte dort Messer als „verloren“ deklariert und dem Fachhändler den Verlust ersetzt. Andere Messer stammten aus der Bestellung eines Werbemittelhändlers, der sie angeblich für den Prämienkatalog der Sparkasse haben wollte.
Kochmesser.de hat Amazon abgemahnt und sich dann in zweiter Instanz außergerichtlich geeinigt.
Mit dem automatischen Kauf des Lagerbestandes umgeht Amazon all diese Probleme. Der Fachhändler hat schließlich zugestimmt – wenn auch häufig unwissentlich. „Viele Hersteller erkennen die Gefahr nicht“, sagt Romanowski. „Wenn sie anfangen, Amazon zu beliefern, haben sie irgendwann nur noch einen Händler, nämlich Amazon.“ Und der schreibe ihnen dann die Konditionen vor.