Wie gut sind die deutschen Supermärkte auf Amazon Fresh vorbereitet?
Zumindest experimentieren die großen Ketten mit der Lieferung nach Hause: Rewe zum Beispiel in rund 70 Städten, Real in einigen Ballungsgebieten wie Berlin. „Wir müssen dabei sein, sonst nehmen uns andere das Geschäft ab“, sagte Rewe-Chef Allain Caparros vor kurzem in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Trotzdem ist das Online-Geschäft für die Supermärkte bisher oft nur ein unwichtiger Randbereich. Eine „Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln“, heißt das im Unternehmenssprech.
Selbst die Deutsche Post DHL liefert mit ihrer Tochter Allyouneed.de immerhin per Paket in ganz Deutschland aus und ist damit schon weiter als die Supermärkte. Discounter wie Aldi oder Lidl halten sich noch völlig zurück. Das habe zu einem „niedrigeren Druck auf die etablierten Anbieter geführt, sich online zu positionieren“, schreibt die Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie.
Warum zögern die deutschen Händler?
Der Markt in Deutschland ist kompliziert: Gerade in Städten sind Supermärkte schnell zu erreichen und unterschiedliche Anbieter nur einen Steinwurf voneinander zu entfernt. Die Läden sind voll, trotzdem ist es für die Supermarktketten schwierig, gutes Geschäft zu machen. Der Deutsche mag seine Lebensmittel preiswert, das haben ihm Discounter wie Aldi so beigebracht. Lieferkosten sind hierzulande ebenfalls verpönt: Mehr als fünf Euro würde laut Branchenstudien kaum ein Kunde zahlen, wenn überhaupt.
Das macht es den Händlern schwierig, denn für sie würden durch die Auslieferung ihrer Lebensmittel zusätzliche Kosten entstehen. Zum Beispiel müssten die Händler bei Onlinelieferung die Kommissionierung selbst übernehmen – und sich zusätzlich um die Einhaltung der Kühlkette kommen. „Der logistische Aufwand für die Händler wächst durch den Online-Versand enorm“, sagt Hofacker. Diese Herausforderung scheuen die meisten Supermarkt-Ketten.
Wo es beim Online-Lebensmittelhandel hakt
Derzeit setzten die meisten Online-Lebensmittelhändler auf den Versender DHL (77 %), seltener auf Konkurrenten wie DPD (10 %) oder Hermes (4 %), haben die Handelsforscher des EHI herausgefunden. Lediglich größere Anbieter und Supermarktketten, haben einen sich einen eigenen Lieferdienst (13 %). Durch einen Partner entfallen Kosten für den Aufbau einer Logistik. Dafür entstehen fortlaufende Kosten - und die Gefahr vom Dienstleister, seinen Auftreten, seinem Service und seiner Pünktlichkeit abhängig zu sein.
Quelle: EHI-Studie: Lebensmittel E-Commerce 2015 // eigene Recherche
Die Anbieter von Getränken und haltbaren Lebensmitteln haben damit kein Problem, für Online-Supermärkte, die auch frische Produkte verkaufen, ist die Kühlung der Waren existenziell. Sie liefern ihre Waren meist in Styroporboxen und halten die Temperatur mit Trockeneis, Kühlakkus oder Gelpads. Der Aufwand dahinter ist enorm hoch,und verursacht hohe Kosten. Besonders herausfordernd wird die Lieferung, wenn Waren verschiedene Kühltemperaturen benötigen - Fisch und Salat zum Beispiel.
Grüne oder gelbe Bananen? Große oder kleine Äpfel? Supermarkt-Kunden haben meist spezielle Vorstellungen davon, wie ein Produkt auszusehen hat - und nehmen sich ihre Waren ganz bewusst aus dem Regal. Beim Online-Shopping übernimmt der Anbieter die Auswahl, und kann damit auch schon mal daneben liegen. In einem Praxistest fiel den Handelsforschern von EHI zudem ein weiteres Problem auf: Wenn ein Produkt nicht mehr auf Lager ist, fällt das häufig erst deutlich nach Bestellung auf. Dann bekommen die Kunden entweder eine Nachricht oder sogar ein Ersatzprodukt, das sie gar nicht wollten.
Wann das Paket beim Kunden eintrifft, ist besonders bei frischen Produkten entscheidend. Schließlich sollte die Lieferung in der Regel persönlich entgegen genommen werden. Manche Dienste garantieren deshalb immerhin die Zustellung in einem Zeitfenster von zwei Stunden. Das erforderte aber eine genaue Planung der Auslieferungen - und entsprechend viele Kunden, sonst wird die Zustellung zum Minusgeschäft. Vor allem kleine Dienste liefern deshalb nur an bestimmten Wochentagen. Das bedeutet lange Wartezeiten für den Kunden.
Anders als in England oder Frankreich ist der Zuspruch der Kunden hierzulande noch sehr gering. Das ist einer grundsätzlichen Skepsis der Deutschen gegenüber neuen Entwicklungen geschuldet, der guten Versorgung mit Läden insgesamt, und der Angst durch die oben genannten Punkte Nachteile zu erhalten. “Die Verbraucher haben zum Beispiel Angst in Bezug auf die Produktqualität und vor einer eventuellen Nichteinhaltung der Kühlkette”, fassen die EHI-Experten in ihrer Studie Lebensmittel “E-Commerce 2015” zusammen.
Wer es doch wagt, wie der Online-Supermarkt von Rewe, macht Verluste. Die Kette verlangt zwischen 2,90 Euro und 4,90 Euro Lieferkosten. Auch wenn der Mindest-Einkaufswert bei 40 Euro liegt – das wird kaum ausreichen, um die eigene Transporterflotte und die Fahrer zu finanzieren.
Bekommt Amazon alle Hindernisse in den Griff?
Die Logistik-Experten von Amazon sind zwar weiter als viele Wettbewerber. Doch alle Herausforderungen des Online-Lebensmittelhandels haben auch sie noch nicht bewältigt. Die richtige Kühlung der frischen Speisen bekommt Amazon nur mit vielen Kühlboxen und Verpackungen in den Griff – das sorgt für zusätzlich Aufwand. In Italien setzt der Konzern deshalb bislang vor allem auf haltbare Lebensmittel.
Wieviel der Dienst kosten soll, ist auch nicht ganz klar. Eigentlich will Amazon in den USA für die kostenlose Lieferung einen Jahresbeitrag von knapp 300 Dollar erheben. In den meisten Städten aber läuft die Testphase, in der die Kunden nichts bezahlen müssen, seit Monaten weiter. In Kalifornien haben Kunden außerdem statt die Möglichkeit, statt des Jahresabos eine Gebühr von 7,99 Dollar pro Lieferung zu bezahlen. Offenbar geht es noch darum, das Bestellverhalten der Kunden zu verstehen – um das Geschäftsmodell dann anzupassen.
Ohnehin sind Lieferung erstmal nur in ausgewählten Ballungsräumen möglich. Damit sich Fresh einigermaßen lohnt, bedarf es vieler potentieller Kunden und möglichst kurzer Wege. Stehen Lagerhalle und Lieferkette allerdings erst einmal, lässt sich das Geschäft vergleichsweise schnell erweitern. Jüngst wurde bekannt, dass Amazon in den USA auch mit Auslieferung alkoholischer Getränke und der Belieferung von Restaurants experimentiert.