Die grünen Trucks gehören in San Fransicso längst zum Stadtbild. Sie kurven die hügeligen Straße der Metropole an der US-Westküste rauf und runter. Im Gepäck: Tomaten, Nudeln, Fleisch, Klopapier. Und alles andere, was die hart arbeitende Bevölkerung der Großstadt und des Silicon Valleys nach Feierabend benötigt.
Nun bringt Amazon seinen Dienst nach Europa: In Italien hat der Online-Gigant bereits einen Lebensmittel-Lieferdienst gestartet, Großbritannien und Deutschland sollen bald folgen. Doch bisher halten sich die Deutschen beim Online-Kauf von Lebensmitteln zurück. Kann Amazon das ändern? Und was bedeutet das für die Supermarktketten und Start-ups, die heute schon Lebensmittel-Lieferdienste anbieten?
Die WirtschaftsWoche beantwortet die wichtigsten Fragen:
Was macht Amazon Fresh eigentlich?
Lebensmittel ausliefern. Und zwar nicht nur Wein, Nüsschen und Dörrobst wie das normale Amazon, sondern auch frische Produkte: Salat, Eier, Fisch, Fleisch. In Seattle, der Heimatstadt des Konzerns, gibt es den Service bereits seit 2007. Auch in Los Angeles, San Francisco, San Diego, New York, Philadelphia und New Jersey sind die grünen Trucks von Amazon unterwegs. Nächstes Ziel: Europa.
Warum sorgen die Pläne für Wirbel?
Weil der Lebensmittelhandel im Netz in Deutschland noch ein Nischenbereich ist. Nur 1,2 Prozent ihrer Lebensmittel bestellen die Deutschen bislang im Internet, so das Ergebnis einer aktuellen Studie des handelsnahen Forschungsinstituts EHI. Große Anbieter gibt es kaum, die meisten Online-Supermärkte liefern nur in Ballungsräume. „Die meisten Menschen haben online noch gar nicht die Möglichkeit, ihren Wocheneinkauf zu erledigen“, sagt EHI-Forscher Lars Hofacker. „Sie müssen auf jeden Fall ins Geschäft gehen.“
Das sind Amazons nächste Projekte
Unter Amazon Dash versteht der Internetkonzern eine Art Einkaufsliste auf Knopfdruck. Die kleinen Aufkleber mit Taste können die Kunden einfach im Haus an das Waschmittel oder an das Hundefutter kleben - und wenn die Packung leer ist, per Knopfdruck schnell bei Amazon eine neue bestellen. Bisher ist der Service nur für Kunden des Premiumdienstes Amazon Prime in den USA und in Großbritannien erhältlich - für 4,99 US-Dollar je Button.
Mit "Amazon Handmade" macht der Online-Händler Anbietern wie Etsy oder DaWanda Konkurrenz. Auf dem Marktplatz will Amazon Künstler und Bastler versammeln, die individualisierbare Produkte verkaufen: Selbstgeschneiderte Kleider und Taschen, Schmuck, Armbänder, Möbel. Die Plattform befindet sich in den USA noch im Aufbau. Wer dort verkaufen will, kann sich jetzt schon bewerben. Allerdings kostet ein professioneller Verkäufer-Account knapp 40 Dollar im Monat, und Amazon will bei jeder Bestellung zwölf Prozent Provision einstreichen. Bei anderen Plattformen sind diese Konditionen weitaus günstiger für die Verkäufer - allerdings erreichen sie dort wahrscheinlich nicht so viele Kunden. Ob und wann Amazon Handmade auch nach Deutschland kommen soll, ist nicht bekannt.
Über seine Plattform "Amazon Home Service" vernetzt der Online-Händler in den USA Techniker, Handwerker und Trainer mit seinen Kunden in den Großstädten. Wer bei Amazon einen neuen Fernseher kauft, kann also gleich einen Techniker beauftragen, der den Fernseher anschließt und einrichtet. Auch Yoga-Stunden und Gitarren-Lehrer lassen sich über die Plattform buchen. Bis zum Jahresende will Amazons einen Service in 30 amerikanischen Großstädten anbieten.
In der Amazon-Heimatstadt Seattle fährt seit diesem Sommer der "Treasure Truck" - ein Lkw, vollgeladen mit Sonderangeboten. Kunden können die Waren auf dem Truck per App bestellen und direkt liefern lassen - zum Beispiel ein Surfboard für den Preis von 99 Dollar anstatt den üblichen 499 Dollar.
Prime Music ist der Musik-Streamingdienst von Amazon, eine Konkurrenz zu Spotify oder Apple. Wer Mitglied beim Amazon Premiumdienst Prime ist, kann den Service in den USA und auch in Großbritannien ohne Zusatzkosten nutzen. Allerdings verfügt Amazon bisher nur über eine Bibliothek von etwa einer Millionen Songs.
Amazon begnügt sich schon lange nicht mehr, Medien zu verkaufen - der Online-Händler produziert sie mittlerweile auch selbst. Über seinen Streamingdienst zum Beispiel hat Amazon die ersten Folgen der Serie "The Man in the High Castle" veröffentlicht. Darin geht es um die Frage: Wie würde die Welt aussehen, wenn die Nazis den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Auch einen eigenen Kinofilm mit dem Titel "Elvis & Nixon" produziert Amazon. Was danach kommt? Wahrscheinlich ein eigenes Videospiel. Laut Medienberichten hat Amazon Entwickler von bekannten Spielen wie World of Warcraft oder Halo verpflichtet.
Dass das auf Dauer so bleibt, glaubt kaum jemand. „Irgendwann aber kommt ein Händler, der es richtig gut macht und viel Geld investiert“, mahnt EHI-Experte Hofacker. „Und dass kann die Branche umkrempeln.“ Amazon hat das Potenzial dazu – der Konzern gilt ohnehin als Einzelhandels-Killer. Buch- und Elektronikhändler verfluchen es, Chef-Onlinehändler Jeff Bezos in seinen Anfangsjahren belächelt zu haben.
Wo liefert Amazon Fresh denn in Europa aus?
In Europa gibt es den Service bisher nur in Italien – in einer Light-Variante. „Unser neuer Lebensmittel-Laden ist 24 Stunden an sieben Tagen die Woche erreichbar“, sagt Francois Nuyts, Länderchef für Spanien und Italien. Rund 1.000 Produkte liefert der italienische Ableger nach eigenen Angaben aus, vor allem regionale Marken wie die Nudeln und Saucen von Barilla. Wer bei Amazon bestellt, erhält seine Lieferung innerhalb der nächsten 24 Stunden, in Mailand sogar noch am gleichen Tag. Allerdings ist der Service schlechter als in den USA: Frische Lebensmittel liefert Amazon in Italien nicht. Wer Salat und Eier braucht, muss also trotzdem weiter zum nächsten Supermarkt laufen.
Größer – und entscheidender – wird wohl der Start des Dienstes in Großbritannien ausfallen. Und der wird noch in diesem September erwartet. Branchenmedien berichten unter anderem, dass das Unternehmen bereits ein Lebensmittellager vor London angemietet hat – Kühlmöglichkeiten inklusive.
Das sind die Angebote der Online-Supermärkte
Allyouneed Fresh ist der Online-Supermarkt der Deutschen Post DHL. Der Shop ist übersichtlich und auch bei seinen Produkten sehr günstig, allerdings gibt es keine Tiefkühlwaren im Angebot. Kompliziert wird es hingegen, wenn der Kunde einen Wunschtermin angeben will: Das geht nur in bestimmten Regionen und wenn keine Lebensmittel mit niedriger Haltbarkeit auf der Liste stehen.
Die Versandkosten betragen 4,90 Euro. Wer frische Lebensmittel bestellt, muss noch mal den gleichen Betrag zusätzlich zahlen - es sei denn, er nutzt den Kurierservice, den es allerdings nur in ausgewählten Städten gibt. Ab 40 Euro Einkaufswert fallen die Liefergebühren weg. Dass die Einkäufe in der Regel mit einem Paketkurier ausgeliefert werden, hat allerdings seine Folgen: Im Test von Chip.de kam das Obst zerquetscht an, die Schokolade war zerlaufen.
Quelle: Allyouneedfresh.de / Chip.de
Bringmeister.de ist der Lieferservice der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann. Allerdings stellt der Online-Supermarkt bisher nur in Berlin und München am selben Tag zu. Dafür punktet der Shop mit seiner Übersichtlichkeit und den genauen Zustellzeiten.
Die Preise sind etwas höher als im Laden, dafür liegt der Mindesteinkaufswert nur bei 15 Euro. Die Versandgebühr beträgt zwischen 4,44 und 5,55 Euro.
Quelle: Bringmeister.de / Chip.de
Der Online-Supermarkt mytime.de liefert nicht mit eigenen Kurieren, sondern per DHL - dafür gibt es den Service im gesamten Bundesgebiet. In Ballungsgebieten gibt mytime.de genaue Lieferzeiten an und bietet auch eine Zustellung nach Feierabend an. Außerdem punktet der Service mit umfangreichen Informationen, zum Beispiel, wenn ein Produkt auf der Liste vergriffen ist.
Allerdings ist mytime.de vergleichsweise teuer: 4,99 Euro kostet es, wenn auch frische Lebensmittel in der Lieferung enthalten ist. Die werden in speziellen Styropor-Boxen geliefert, für die 5 Euro Pfand pro Box verlangt werden. Die müssen die Kunden dann auch selbst wieder zurückschicken - das macht beinahe genauso viel Aufwand wie der Gang zum Supermarkt. Wer einen Wunschtermin angibt, muss weitere 2,99 Euro oben drauf legen. Ab 65 Euro Einkaufswert ist die Bestellung allerdings versandkostenfrei.
Quelle: mytime.de / Chip.de
Das Angebot von Rewe Online hat bei vielen Tests am besten abgeschnitten - auch bei einer Untersuchung von Chip.de im Juni 2015. Der Online-Supermarkt überzeugt durch ein großes Angebot und eine eigene Zustellung in vielen Städten. Dadurch können die Kunden auch Zeitfenster auswählen, in denen sie ihre Einkäufe erhalten wollen.
Die Preise liegen auf dem gleichen Niveau wie in den Läden von Rewe. Die Liefergebühren liegen zwischen 2,90 und 4,90 Euro, die ersten Lieferungen sind sogar kostenfrei. Allerdings liegt der Mindestbestellwert bei 40 Euro.
Quelle: Rewe Online / Chip.de
Und wann kommt der Dienst nach Deutschland?
Branchenkenner vermuten, dass der Service noch in diesem Herbst starten soll. Amazon selbst hält sich bedeckt. „Zu Gerüchten äußern wir uns nicht“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. „Wenn es da etwas gibt, werden wir es rechtzeitig vorstellen.“ Mit Aussagen wie dieser heizt Amazon die Spekulationen nur noch weiter an, denn sie sind reinste Werbung für den Dienst. Fest steht: Im Juli hat Amazon ein Unternehmen mit dem Namen „Logistik AF München“ in das Handelsregister eingetragen – das AF könnte für Amazon Fresh stehen.
Übrigens: Haltbare Lebensmittel, wie Nüsse, Tee, Nudeln oder Gewürze lassen sich auch jetzt schon bei Amazon bestellen. Rund 500.000 Produkte hat Amazon Deutschland nach Auskunft des Unternehmens im Angebot.
Warum halten sich deutsche Supermärkte so zurück?
Wie gut sind die deutschen Supermärkte auf Amazon Fresh vorbereitet?
Zumindest experimentieren die großen Ketten mit der Lieferung nach Hause: Rewe zum Beispiel in rund 70 Städten, Real in einigen Ballungsgebieten wie Berlin. „Wir müssen dabei sein, sonst nehmen uns andere das Geschäft ab“, sagte Rewe-Chef Allain Caparros vor kurzem in einem Interview mit der WirtschaftsWoche. Trotzdem ist das Online-Geschäft für die Supermärkte bisher oft nur ein unwichtiger Randbereich. Eine „Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln“, heißt das im Unternehmenssprech.
Selbst die Deutsche Post DHL liefert mit ihrer Tochter Allyouneed.de immerhin per Paket in ganz Deutschland aus und ist damit schon weiter als die Supermärkte. Discounter wie Aldi oder Lidl halten sich noch völlig zurück. Das habe zu einem „niedrigeren Druck auf die etablierten Anbieter geführt, sich online zu positionieren“, schreibt die Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie.
Warum zögern die deutschen Händler?
Der Markt in Deutschland ist kompliziert: Gerade in Städten sind Supermärkte schnell zu erreichen und unterschiedliche Anbieter nur einen Steinwurf voneinander zu entfernt. Die Läden sind voll, trotzdem ist es für die Supermarktketten schwierig, gutes Geschäft zu machen. Der Deutsche mag seine Lebensmittel preiswert, das haben ihm Discounter wie Aldi so beigebracht. Lieferkosten sind hierzulande ebenfalls verpönt: Mehr als fünf Euro würde laut Branchenstudien kaum ein Kunde zahlen, wenn überhaupt.
Das macht es den Händlern schwierig, denn für sie würden durch die Auslieferung ihrer Lebensmittel zusätzliche Kosten entstehen. Zum Beispiel müssten die Händler bei Onlinelieferung die Kommissionierung selbst übernehmen – und sich zusätzlich um die Einhaltung der Kühlkette kommen. „Der logistische Aufwand für die Händler wächst durch den Online-Versand enorm“, sagt Hofacker. Diese Herausforderung scheuen die meisten Supermarkt-Ketten.
Wo es beim Online-Lebensmittelhandel hakt
Derzeit setzten die meisten Online-Lebensmittelhändler auf den Versender DHL (77 %), seltener auf Konkurrenten wie DPD (10 %) oder Hermes (4 %), haben die Handelsforscher des EHI herausgefunden. Lediglich größere Anbieter und Supermarktketten, haben einen sich einen eigenen Lieferdienst (13 %). Durch einen Partner entfallen Kosten für den Aufbau einer Logistik. Dafür entstehen fortlaufende Kosten - und die Gefahr vom Dienstleister, seinen Auftreten, seinem Service und seiner Pünktlichkeit abhängig zu sein.
Quelle: EHI-Studie: Lebensmittel E-Commerce 2015 // eigene Recherche
Die Anbieter von Getränken und haltbaren Lebensmitteln haben damit kein Problem, für Online-Supermärkte, die auch frische Produkte verkaufen, ist die Kühlung der Waren existenziell. Sie liefern ihre Waren meist in Styroporboxen und halten die Temperatur mit Trockeneis, Kühlakkus oder Gelpads. Der Aufwand dahinter ist enorm hoch,und verursacht hohe Kosten. Besonders herausfordernd wird die Lieferung, wenn Waren verschiedene Kühltemperaturen benötigen - Fisch und Salat zum Beispiel.
Grüne oder gelbe Bananen? Große oder kleine Äpfel? Supermarkt-Kunden haben meist spezielle Vorstellungen davon, wie ein Produkt auszusehen hat - und nehmen sich ihre Waren ganz bewusst aus dem Regal. Beim Online-Shopping übernimmt der Anbieter die Auswahl, und kann damit auch schon mal daneben liegen. In einem Praxistest fiel den Handelsforschern von EHI zudem ein weiteres Problem auf: Wenn ein Produkt nicht mehr auf Lager ist, fällt das häufig erst deutlich nach Bestellung auf. Dann bekommen die Kunden entweder eine Nachricht oder sogar ein Ersatzprodukt, das sie gar nicht wollten.
Wann das Paket beim Kunden eintrifft, ist besonders bei frischen Produkten entscheidend. Schließlich sollte die Lieferung in der Regel persönlich entgegen genommen werden. Manche Dienste garantieren deshalb immerhin die Zustellung in einem Zeitfenster von zwei Stunden. Das erforderte aber eine genaue Planung der Auslieferungen - und entsprechend viele Kunden, sonst wird die Zustellung zum Minusgeschäft. Vor allem kleine Dienste liefern deshalb nur an bestimmten Wochentagen. Das bedeutet lange Wartezeiten für den Kunden.
Anders als in England oder Frankreich ist der Zuspruch der Kunden hierzulande noch sehr gering. Das ist einer grundsätzlichen Skepsis der Deutschen gegenüber neuen Entwicklungen geschuldet, der guten Versorgung mit Läden insgesamt, und der Angst durch die oben genannten Punkte Nachteile zu erhalten. “Die Verbraucher haben zum Beispiel Angst in Bezug auf die Produktqualität und vor einer eventuellen Nichteinhaltung der Kühlkette”, fassen die EHI-Experten in ihrer Studie Lebensmittel “E-Commerce 2015” zusammen.
Wer es doch wagt, wie der Online-Supermarkt von Rewe, macht Verluste. Die Kette verlangt zwischen 2,90 Euro und 4,90 Euro Lieferkosten. Auch wenn der Mindest-Einkaufswert bei 40 Euro liegt – das wird kaum ausreichen, um die eigene Transporterflotte und die Fahrer zu finanzieren.
Bekommt Amazon alle Hindernisse in den Griff?
Die Logistik-Experten von Amazon sind zwar weiter als viele Wettbewerber. Doch alle Herausforderungen des Online-Lebensmittelhandels haben auch sie noch nicht bewältigt. Die richtige Kühlung der frischen Speisen bekommt Amazon nur mit vielen Kühlboxen und Verpackungen in den Griff – das sorgt für zusätzlich Aufwand. In Italien setzt der Konzern deshalb bislang vor allem auf haltbare Lebensmittel.
Wieviel der Dienst kosten soll, ist auch nicht ganz klar. Eigentlich will Amazon in den USA für die kostenlose Lieferung einen Jahresbeitrag von knapp 300 Dollar erheben. In den meisten Städten aber läuft die Testphase, in der die Kunden nichts bezahlen müssen, seit Monaten weiter. In Kalifornien haben Kunden außerdem statt die Möglichkeit, statt des Jahresabos eine Gebühr von 7,99 Dollar pro Lieferung zu bezahlen. Offenbar geht es noch darum, das Bestellverhalten der Kunden zu verstehen – um das Geschäftsmodell dann anzupassen.
Ohnehin sind Lieferung erstmal nur in ausgewählten Ballungsräumen möglich. Damit sich Fresh einigermaßen lohnt, bedarf es vieler potentieller Kunden und möglichst kurzer Wege. Stehen Lagerhalle und Lieferkette allerdings erst einmal, lässt sich das Geschäft vergleichsweise schnell erweitern. Jüngst wurde bekannt, dass Amazon in den USA auch mit Auslieferung alkoholischer Getränke und der Belieferung von Restaurants experimentiert.
Was verspricht sich Amazon davon?
Wie gefährlich ist Amazon wirklich?
Meint Amazon es ernst, könnte der Konzern ziemlich schnell eine Konkurrenz für die Online-Angebote der Supermärkte werden. Der Online-Gigant verfügt über das Geld, die Kundendaten und das Image, um den Markt aufzurollen. „Amazon hat es bislang immer geschafft, Standards zu setzen, an denen sich die anderen dann messen müssen“, sagt Hofacker. „Der Online-Lebensmittelhandel würde durch einen Markteintritt kräftig durchgerüttelt werden.“ Bis das Internet-Geschäft aber ernstzunehmende Anteile am Gesamtmarkt hat, dürften noch Jahre vergehen – auch mit Amazon.
Aber Potential haben die Lebensmittelieferungen aus dem Netz doch?
Schon. Da sind zum einen die Kunden, die es nicht in den Laden schaffen – oder gar nicht schaffen wollen. „Potentielle Kunden sind etwa Berufstätige mit wenig Zeit“, sagt Hofacker. „Aber auch ältere Menschen, die ihren Einkauf nicht mehr allein bewältigen können.“
Und es gibt diejenigen, die vom Angebot der Supermärkte enttäuscht sind. Eine aktuelle Studie der Marktforscher von YouGov, die WirtschaftsWoche Online vorab vorliegt, zeigt, dass viele Kunden im Laden nicht bekommen, was sie kaufen wollen. Während demnach jeder dritte Kunde des stationären Handels häufig oder gar sehr häufig erlebt, dass ein Produkt im Laden nicht vorrätig ist, ist dieselbe Situation knapp 80 Prozent der Befragten beim Online-Shoppen in den letzten 12 Monaten überhaupt nicht oder nur selten passiert. Besonders ärgerlich finden Käufer das laut der im Auftrag der Lieferkettenplattform GT Nexus durchgeführten Studie bei Lebensmitteln. Wer eine bestimmte Tomatensoße sucht, will nun mal nicht mit Instant-Pulver nach Hause gehen. Amazon ist im Vorteil: „Die Lieferkette eines stationären Anbieters mit dezentralen Verkaufsstellen ist naturgemäß viel komplexer als die Lieferkette eines reinen Online-Händlers“, sagt Boris Felgendreher, Supply Chain-Experte bei GT Nexus.
Was bedeutet Amazon Fresh für die Lebensmittel-Hersteller?
Einen neuen Kunden – und das dürfte viele Lebensmittel-Produzenten zunächst freuen. Die ächzen schließlich unter der Stärke der großen Supermärkte und Ketten. Ganze 85 Prozent des Lebensmittelmarktes sind laut Bundeskartellamt unter der Kontrolle von fünf Händlern, die die Produzent so leicht gegeneinander ausspielen und die Preise drücken können. Ob Amazon aber tatsächlich auf Dauer eine produzentennahe Politik fahren wird, darf bezweifelt werden. In allen bisherigen Produktkategorien ist Amazon vor allem für seinen kundenfreundlichen Ansatz und niedrige Preise bekannt. Wer das als Händler nicht mitmachen möchte, hat das Nachsehen.
Was verspricht sich Amazon von den Lebensmittel-Lieferungen?
Amazon Fresh ist Teil einer neuen Strategie: Bisher war Amazon nur Distanzhändler, der von einem Lager irgendwo in der Ferne seine Pakete an Zusteller gibt, die dann vor der eigenen Haustür auftauchen. Doch nun zieht Amazon in die direkte Nachbarschaft seiner Kunden – und beginnt auch, selbst an den Haustüren zu klingeln.
Amazons Logistik-Netz in Deutschland
In Deutschland hat Amazon bislang neun Logistikzentren an acht Standorten: In Graben bei Augsburg, Bad Hersfeld mit zwei Logistikzentren, Leipzig, Rheinberg, Werne, Pforzheim, Koblenz und Brieselang.
Mehr als 9.000 Festangestellte aus über 100 Nationen. In der Weihnachtszeit kommen nach Angaben des Konzerns 10.000 weitere Saisonkräfte hinzu.
860.000 Quadratmeter (120,5 Fußballfelder) mit einer Lagerkapazität von mehr als 3 Mio. m³.
Am 15.12.2013 verzeichnete Amazon.de 4,6 Mio. Kundenbestellungen. Das waren 53 pro Sekunde.
In den USA und in Großbritannien ist Amazon damit schon am weitesten vorangeschritten. In Großstädten wie Seattle, Chicago und New York können Kunden ihre Pakete mittlerweile auch innerhalb von ein bis zwei Stunden liefern lassen. In New York benutzen die Amazon-Kuriere dafür sogar die U-Bahn, um die berühmten Staus auf den Straßen der Metropole zu entgehen. Auch in Großbritannien stellt Amazon in den Großstädten bereits selbst zu – und das auch am Sonntag. So einen Service gibt es in Deutschland noch lange nicht. Doch auch hierzulande eröffnet Amazon gerade Logistikzentren in der Nähe der Städte, die Amazon für seinen Fresh-Dienst und auch eine Zustellung am gleichen Tag nutzen könnte.
Zumindest den Bewohnern von San Francisco soll es bald auch möglich sein, Amazon selbst zu besuchen und dort einkaufen zu gehen. Nach Berichten des „Silicon Valley Business Journals“ plant das Unternehmen dort eine sogenannte „Drive-Up-Station“, eine Art Supermarkt, der sich mit dem Auto durchqueren lässt. Damit würde der Online-Gigant Amazon Fresh auf die nächste Stufe bringen.