WirtschaftsWoche: Herr Mundt, das Bundeskartellamt steuert auf ein Rekordjahr zu. Noch nie hat Ihre Behörde so hohe Bußgelder verhängt. Ist das Kartellamt die neue Cash Cow der Bundesregierung?
Amdreas Mundt: Wir werden in diesem Jahr Bußgelder in Höhe von mehr als eine Milliarde Euro verhängen. So hoch war die Summe tatsächlich noch nie. Allerdings handelt es sich um ein Ausnahmejahr. Wir haben drei sehr große Fälle abgeschlossen. Beim Zucker-, Bier- und Wurstkartell lagen die Strafen jeweils über 300 Millionen Euro.
Zur Person
Mundt, 54, ist seit 2009 Chef des Bundeskartellamts. Davor war der Jurist Im Bundeswirtschaftsministerium und der FDP-Bundestagsfraktion tätig. Im Jahr 2000 kam er ins Kartellamt wo er bis 2005 zum Leiter der Grundsatzabteilung aufstieg.
Sie dürften dennoch inzwischen der beste Freund von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sein?
Herr Schäuble begrüßt sicherlich jede Einnahme für den Bundeshaushalt. Mit welcher Höhe an Sondereinnahmen der Bundesfinanzminister rechnen kann, ist derzeit allerdings noch nicht klar. Oft klagen Kartellanten gegen unsere Entscheidung. Dann zieht sich der Vollzug der Strafe hin.
Mit vielen Bußgeldbescheiden rechnen Sie im nächsten Jahr?
Das kann man nicht prognostizieren. Vor einem Jahr hätte ich den Kopf geschüttelt, wenn mir jemand gesagt hätte, das Bundeskartellamt würde 2014 Strafen in Höhe von einer Milliarde Euro verhängen. Es ist derzeit nicht absehbar, wie viele und welche Fälle wir im kommenden Jahr abschließen werden. Das hängt beispielsweise davon ab, wie ergiebig die Zeugen sind und ob die Unternehmen mit uns bei der Aufklärung der Fälle kooperieren.
Dennoch steigt die Zahl der Kartelle seit Jahren. Ist in den Unternehmen mehr kriminelle Energie vorhanden als früher?
Das glaube ich nicht. Im Gegenteil nehmen die Chefetagen das Verbot von Preisabsprachen inzwischen sehr ernst. Ihnen ist klar geworden, dass die Verwicklung in Kartelle ein erhebliches Risiko darstellt. Viele Kartellanten zeigen sich inzwischen selber an. Gleichzeitig hat auch das Thema Compliance an Bedeutung gewonnen.
Wie erklären Sie sich denn das hohe Wachstum an Kartellen in jüngster Zeit?
Die hohe Anzahl von Verfahren erklärt sich in erster Linie aus der Kronzeugenregelung, die wir seit 2000 anwenden und vor acht Jahren novelliert haben. Jeder zweite Kartellfall geht inzwischen auf die Kronzeugenregelung zurück. Unternehmen, die mit ihrer Anzeige ein Kartell aufdecken oder zur lückenlosen Aufklärung des Falls beitragen, können straffrei ausgehen. Ausschlaggebend ist, wer sich bei uns zuerst meldet. Der Zeitpunkt ist wichtig.
Es gibt aber auch Kritik an dem Vorgehen. Sünder können sich freimachen von Schuld und jede Strafzahlung verhindern.
Ohne die ausführliche Auskunft eines Unternehmens, das an einem Kartell beteiligt gewesen ist, hätten wir oft kaum eine Chance, ein Kartell zu Fall zu bringen und restlos aufzuklären. Meist stimmen sich die Mitglieder eines Kartells mündlich ab. Ohne die Hinweise eines Kronzeugen wären in solchen Fällen die Aufdeckung und der Beweis der Tat sehr schwierig.
Oft einigen sich Unternehmen auf einen Deal mit dem Kartellamt. Warum diese Geheimniskrämerei, wenn die Schuld doch naheliegt?
Da gibt es keine Geheimniskrämerei. Das Unternehmen wird mit einem Bußgeld belegt und wir berichten darüber in gleicher Weise, wie über die streitig abgeschlossenen Verfahren. Wir können durch ein sogenanntes Settlement den Fall abkürzen und Personalkapazitäten einsparen. Es kann auch im Interesse der Unternehmen liegen, das Verfahren zu beschleunigen. Außerdem bieten wir ihnen einen Settlement-Abschlag von bis zu zehn Prozent.
Geschädigte Unternehmen kritisieren, das Kartellamt würde dadurch nicht mehr alle relevanten Informationen recherchieren...
Zu dem Zeitpunkt zu dem wir eine einvernehmliche Einigung anbieten, ist der Fall umfassend ausermittelt. Unsere Erkenntnisse werden den Unternehmen mitgeteilt. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns mit den Kartellunternehmen in ein Settlement-Gespräch begeben. Jedes geschädigte Unternehmen kann im Nachgang Einsicht in die Akten beantragen und Schadensersatz fordern.
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bleiben den Geschädigten aber vorenthalten, genauso wie die Aussagen des Kronzeugen...
... Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse können immer und überall nur in besonderen Ausnahmefällen eingesehen werden. Das ist im Kartellrecht nicht anders als bei der Staatsanwaltschaft oder vor Gericht. Eine Besonderheit stellen lediglich die Aussagen des Kronzeugen dar. Hier sind die Einsichtsmöglichkeiten in der Tat begrenzt.
Ist das sinnvoll? Bei den geschädigten Unternehmen geht es oft um Schäden in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro.
Das ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen effektiver Kartellverfolgung insgesamt und den nachvollziehbaren Interessen im Einzelfall. Das Bundeskartellamt hat vor allem im Blick, Kartelle aufzudecken damit Märkte wieder besser funktionieren. Für die Wiedergutmachung einzelner Schäden steht in Deutschland ein sehr leistungsfähiges zivilgerichtliches System zur Verfügung. Wir benötigen Informationen, an die wir ohne Kronzeugen nicht heran kommen würden. Für den Bußgelderlass müssen die Unternehmen alle Informationen auf den Tisch legen. Das würden sie nicht tun, wenn sie sich damit automatisch auch vor den geschädigten Unternehmen entblößen würden.