Andreas Mundt 2014, das Rekordjahr des Bundeskartellamts

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Kein Lob trotz Ausnahmejahr

Zu Schadensersatzzahlungen sind sie doch ohnehin verpflichtet…
…als Kronzeuge wäre man dann aber automatisch der bevorzugte Klagegegner. Wenn wir alle Informationen preisgeben würden, die der Kronzeuge uns zur Verfügung stellt, würde er bei Schadensersatzforderungen im Vergleich zu den anderen Kartellmitgliedern schlechter gestellt werden. Das würde seine Bereitschaft, voll umfänglich auszusagen, von vornherein mindern.

Bis 2005 hat Ihre Behörde die Strafe in Abhängigkeit zum Kartellerlös erhoben...
...was dazu geführt hat, dass sich die Fälle um Monate und Jahre hinausgezogen haben. Die Unternehmen haben gegen die Bußgeldhöhe geklagt, die den dreifachen Mehrerlös des Kartells ausmachen konnte. Da gab es dann Gutachten und Gegengutachten. Das war ein Tummelplatz für divergierende ökonomische Ansichten.

Die spektakulärsten Kartellfälle
Verdacht verbotener Preisabsprachen im Großhandel mit Pflanzenschutzmitteln Quelle: dpa
Jemand fährt Fahrrad auf einem gepflasterten Weg Quelle: dpa/dpaweb
Magna Quelle: AP
Anna Kurnikova Quelle: dpa
U-Bahn Quelle: AP
Schriftzug von Villeroy und Boch Quelle: dpa
Bratwürste Quelle: dpa

Aber dieser von Ihnen ermittelte Mehrerlös war ein guter Ansatzpunkt für die Höhe der Schadensersatzzahlungen...
Richtig. Aber mit der Folge, dass unsere Fälle deutlich aufwendiger waren, als sie es ohnehin sind. Auch hier sehen wir das Spannungsverhältnis zwischen effektiver Kartellverfolgung und den Interessen einzelner Geschädigter. Heute beträgt der Bußgeldrahmen bis zu zehn Prozent des Umsatzes eines Unternehmens. Diese gesetzliche Regelung wurde aus Europa übernommen. Die Bußgeldbemessung orientiert sich nach wie vor an der Schwere und der Dauer der Tat und damit auch am Schadens- und Gewinnpotential, das Kartellverstößen innewohnt. Die geschädigten Unternehmen profitieren zunächst einmal davon, dass sie nach der Beendigung eines Kartells durch uns wieder niedrigere, marktübliche Preise bezahlen. Außerdem: Würden wir die Fälle nicht aufdecken, gäbe es überhaupt keine Möglichkeit Schadensersatz einzufordern. Unternehmen können sich darüber hinaus auch auf anderem Wege absichern.

Wie denn?
Es gibt die Möglichkeit, in die Verträge mit den Lieferanten einen Passus aufzunehmen, der den Auftraggebern bei Kartellverstößen einen pauschalen Schadensersatz zusichert.

Kritiker behaupten, die Strafen in Deutschland seien zu hoch, die USA müssten Vorbild sein. Stimmen Sie dem zu?
Nein. Es ist eine Mär, dass Deutschland zu streng ist und die USA milde. Die USA haben ein ganz anderes Rechtssystem, in dem die Unternehmen und die Manager ebenso hart – aber zum Teil anders – sanktioniert werden. Kartellabsprachen sind dort eine Straftat. Die durchschnittliche Haftstrafe bei Kartellvergehen liegt bei 24 Monaten. Hinzu kommen hohe Bußgelder und Schadensersatzforderungen. Unternehmen, die in Kartelle verstrickt sind, werden dort sicherlich nicht geschont.

Neben der Kartellverfolgung ist Ihre Behörde auch für Fusionen und sonstige Wettbewerbsbeschränkungen zuständig. Halten Sie eigentlich jede früher getroffene Entscheidung heute noch für richtig?
Natürlich ist man nachher immer schlauer. Wir müssen für unsere Entscheidungen Prognosen über die Entwicklung von Märkten anstellen. Zwar ökonomisch fundierte – aber eben doch Prognosen. In der Rückschau kann man nach einigen Jahren vielleicht zu anderen Schlüssen kommen.

Zum Beispiel bei der verbotenen Übernahme von ProSiebenSat.1 durch Springer vor vier Jahren?
Sie fragen mich nach einer Entscheidung aus dem Jahre 2006 in einer Branche, die derzeit wie keine zweite einen revolutionären Wandel durch das Internet vollzieht. Die Entscheidung war richtig. Das hat nicht nur der Bundesgerichtshof bestätigt, das sagen auch viele in der Branche. Heute sehen wir eine immer stärkere Konvergenz der Medien. Es gibt IPTV, Google und andere neue Player stellen sich in verschiedensten Märkten auf. Die traditionellen Geschäftsmodelle der Medienunternehmen funktionieren nicht mehr so wie früher. Prognosen können immer nur über einen begrenzten Zeitraum getroffen werden. Sie bräuchten hellseherische Fähigkeiten, um knapp zehn Jahre Marktentwicklung vorauszusehen. Mit unseren Entscheidungen sorgen wir aber damals wie heute dafür, dass die Märkte überhaupt die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln.

Dennoch greifen Sie als Behörde erstaunlich oft ein...
Natürlich stören sich viele in der Wirtschaft, wenn der Staat eingreift. Es melden sich aber vor allem diejenigen zu Wort, die eine entsprechende Lobby haben. Die Stimme der Verbraucher ist leise. Lob kriegen wir deshalb nicht so oft oder nicht so laut.

Braucht Europa ein unabhängiges Kartellamt?
Derzeit liegt die Zuständigkeit für den Wettbewerbsschutz in Europa bei der Europäischen Kommission, genau genommen bei der Generaldirektion Wettbewerb. Die machen einen guten Job.

Und wer bekommt einen grenzüberschreitenden Kartellfall?
Da sprechen wir uns ab. Wer den Fall übernimmt, entscheiden wir ganz unbürokratisch. Und über das Hochsicherheits-Intranet des Europäischen Netzwerkes der Wettbewerbsbehörden sind wir gegenseitig über alle Fälle informiert.

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