Wie substanziell die Probleme nun sind, wird kaum wahrgenommen, weil andere Standbeine den Absturz im Stammgeschäft ausgleichen. Gewinngaranten sind der Staubsauger-Vertrieb in Italien, wo die Geräte als Folletto – so heißt Kobold auf Italienisch – verkauft werden, die in Mexiko starke Kosmetiksparte Jafra, die seit 2004 zum Konzern gehört, und vor allem Helens kochende Küchenmaschine. Thermomix trägt mehr zum Gewinn bei als jeder andere Bereich und dürfte bald mehr Umsatz erwirtschaften als die Staubsauger. Die Bestzahlen von 2010 und 2011 wollen die persönlich haftenden Gesellschafter Walter Muyres und Reiner Strecker nochmals toppen: „2012 wird voraussichtlich das dritte Geschäftsjahr in Folge mit einem Rekordumsatz und Rekordgewinn“, prognostiziert Strecker.
Gleichzeitig aber schafft die unvermeidliche Runderneuerung von Vertrieb und Marke neue Probleme. Die Vertriebler arbeiten nach einem veränderten Organisationsprinzip, mit dem viele hadern. „Die Stimmung ist miserabel“, berichtet ein Insider. Und selbst in der Thermomix-Vertriebsmannschaft soll es rumoren, weil Shops und Internet-Verkauf mit ihren Interessen kollidieren. Zudem legt die Beratung McKinsey im Oktober ein Restrukturierungsprogramm für Vorwerk vor, das auch auf Stellenabbau hinauslaufen dürfte.
Den Grund für den radikalen Wandel, der vom Staubsaugerbereich ausgeht, beschreibt Unternehmenspatriarch Jörg Mittelsten Scheid so: „Heute sind immer weniger Frauen tagsüber zu Hause“, sagt der Beiratsvorsitzende. „Unsere Berater mussten immer längere Wege zurücklegen, bis sie Kundinnen antrafen. Daher reichte ihr Einkommen nicht mehr aus.“ „Da hätte man auch ein bisschen früher drauf kommen können“, trauert Andreas Jatzkowski, Chef des Konzernbetriebsrats, verlorenen Jahren hinterher. Die verantwortlichen Manager seien zu lange selbst aus dem Direktvertrieb gekommen: „Die kannten nichts anderes.“
Es knirscht gewaltig
Selbst Marketingchef Berger ätzte bei der Marketing-Fachkonferenz CXI im Juni in Mainz: „Diese Firma war 80 Jahre auf einen Vertriebsweg fokussiert: den über Handelsvertreter an der Haustür oder über Party-Systeme. Die ganze Welt außerhalb dieser Vertriebswege ist unter unserem Radarschirm durchgeflogen, wir haben sie einfach ignoriert.“ Nun ist Vorwerk auf dem Weg in die Moderne. Da das Unternehmen aber eigentlich so reformfreudig ist wie der Vatikan, knirscht es gewaltig in der Welt von Kobold, Folletto und Bimby – so heißt der Thermomix in Südeuropa.
Größtes Problem: Die berühmt-berüchtigten Staubsaugervertreter, denen Loriot mit einem Sketch ein Denkmal setzte („Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann“), fürchten finanzielle Nachteile und interne Konkurrenz durch das neue Vertriebskonzept. Denn damit aus den hausierenden Verkäufern respektable Repräsentanten werden, weist das Unternehmen ihnen seit 2011 feste Vertriebsgebiete zu. Ihre alten Stammkunden außerhalb dieser Zonen verlieren die Vertreter an Kollegen. Manche der Altvorderen irritiert auch die Vorgabe, nicht mehr einfach an der Haustür zu klingeln, sondern Vorführtermine per Telefon auszumachen. Telefonakquise mussten die Vertreter bisher nie beherrschen.
Wegen der immer schlechteren Geschäfte sank die Zahl der einst 6.000 Kobold-Vertriebler bis 2011 auf 2250. Jetzt gelang es immerhin, sie wieder um 250 zu steigern. Jüngere Vertriebsprofis nehmen das reformierte Vorwerk-Konzept eher an. Die alten Hasen aber reagieren allergisch darauf, dass ihr Vertriebsweg die Exklusivität verloren hat und Verkäufe über das im Aufbau befindliche Ladennetz und über den Online-Shop an ihnen vorbeigehen.