Auktionen für Anfänger Richtig gute Kunst für wenig Geld

Auktionshäuser entdecken den Markt der kleinen Budgets. Für Sammler mit gutem Blick lockt da bisweilen hohe Kunst zum tiefen Preis.

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Kunstmarkt: Auktionen im Discount-Segment bieten einen guten Einstieg für eine zukünftige Sammlung. Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Die Kreuzigungsszene von Hermann Bachmann zum Beispiel, eine frühe Arbeit von 1947/48, Öl auf Karton, 21 mal 15 Zentimeter. Zum Aufruf kommt das Bild bei 400 Euro, ein Schnäppchen im spätexpressionistischen Karl-Hofer-Stil. Klar, es geht schnell rauf mit dem Preis, 550, 600 Euro, wie erwartet, aber das kleine Bild passt perfekt in die Dielennische links vor der Tür zum Gästebad. 750, 800, wie ärgerlich, das war die selbst gesteckte Grenze, sei’s drum, es muss sein: 850 Euro, aber jetzt 900 im Internet, verdammt, also gut, 950 Euro, letztes Gebot, 1000 Euro im Saal – jetzt reicht’s. Aber reicht es wirklich? Wenn man sich noch eine Woche später drüber ärgert, hat es nicht gereicht.

Bietergefechte und Rekordpreise, man verbindet das mit den beiden Topadressen im Kunstauktionsmarkt, mit Sotheby’s und Christie’s, mit Künstlernamen wie Picasso, Modigliani, Richter und Basquiat – mit achtstelligen Summen, die asiatische Milliardäre auf den Tisch blättern, um bemalte Leinwände mit Wertzuwachspotenzial in Schweizer Zollfreilagern zu deponieren. Dabei gibt der Auktionsmarkt auch in der zweiten und dritten Reihe alles her, was das Sammlerherz buchstäblich höher schlagen lässt: klasse Kunst und künstlich aufgepeitschte Preise, sträflich unterschätzte Geheimtipps und kultisch verehrte Klassiker, ständig wechselnde Geschmacksmoden sowie jede Menge Zuschlagsthrill und Spekulationshype.

Die vier wichtigsten Kunstversteigerer in Deutschland, Grisebach, Ketterer, Lempertz und Van Ham, die vor allem Moderne und Nachkriegskunst für Preise zwischen 5000 und 200.000 Euro umschlagen, entwickeln daher ständig neue Formate für jüngere Kunden und kleinere Budgets, für den Verkauf von Editionen und Druckgrafiken, für die Bleistiftskizze eines großen Namens und das Großformat eines Nobodys.

Der Anfang einer großen Sammlung

Grisebach in Berlin etwa widmet dem „Third Floor“ – mehr als 600 Lose, deren Schätzpreis 3000 Euro nicht übersteigt – zweimal im Jahr einen eigenen Katalog und Auktionstag: viel Arbeit, wenn man bedenkt, dass das Haus mit dem Verkauf eines einzigen Gemäldes von Max Beckmann mehr Umsatz einspielt als mit allen „Third Floor“-Losen zusammen. Zumal auch Provenienzrecherche und Echtheitspüfung im Zweifel aufwendiger sind: Zur Begutachtung eines Gemäldes von Emil Nolde kann man Fachleute, Kataloge und Werkverzeichnisse heranziehen – für eine leicht beschädigte Mischtechnik von Norbert Schwontkowski nicht. Wozu also die ganze Mühe? „Weil das richtig gute Kunst ist“, sagt Geschäftsführerin Micaela Kapitzky, „Kunst, die wir wertschätzen und an die wir unsere Kunden heranführen wollen.“ Der Erwerb eines Blattes für 500 Euro stehe nicht selten am Anfang einer großen Sammlung, so Kapitzky.

von Christopher Schwarz, Dieter Schnaas

Die Kollegen von Van Ham in Köln haben ihre Discountsparte „Discoveries“ genannt, „aus doppelt gutem Grund“, sagt Geschäftsführer Markus Eisenbeis: „Einerseits wollen wir neuen Kunden den Einstieg erleichtern und dafür sorgen, dass jede Wohnung mit Kunst ausgestattet werden kann, andererseits wollen wir künstlerische Neupositionen aufbauen und entwickeln.“ Eisenbeis schließt nicht aus, dass das bisherige Schätzpreislimit von 5000 Euro im Einzelfall nicht mehr zu halten sein wird. Anders als Grisebach hat er die Klassische Moderne zugunsten der Nachkriegskunst konsequent abgebaut, weil Gouachen und Objekte von Günther Förg und Imi Knöbel Fantasiepreise versprechen, während Lithografien und Holzschnitte von Lovis Corinth oder Otto Dix zunehmend weniger Preisfantasie ausstrahlen.

Die Kölner Kollegen von Lempertz sind Ende März mit ihren „projects“ noch einen Schritt weiter gegangen: zeitgenössische, zuweilen „namenlose“ Kunst für Spekulationswillige, taxiert auf ein paar Hundert Euro, die teilweise unverkauft blieb und teilweise das 15-Fache des Schätzwerts einspielte. Ketterer aus München wiederum sorgt, wie Van Ham, seit einigen Monaten mit Onlineauktionen für Furore: 40, 50 Lose, vorwiegend Nachkriegskunst, stehen vier Wochen lang so gut wie unberührt im Netzschaufenster, ehe in der letzten Stunde ein nervenzerfetzendes Wettklicken um einen Prägedruck von Günther Uecker oder ein Farboffset von Blinky Palermo einsetzt.

Den Augen vertrauen

Dass die Kunden das umworbene Werk vor dem Kauf nicht mal mehr in Augenschein nehmen, bei Lempertz gar auf einen Zustandsbericht verzichten, ist ihnen offenbar gleichgültig. Besonders viele Besucher hat Ketterer auf seine Seite gelockt, als das Haus bei einer seiner Netzauktionen die Mindestpreise auf einen Euro herabsetzte. Ein Aquarell von Gotthard Graubner lag wochenlang für verführerisch kleines Geld in der Auslage – bevor der Preis in den letzten Minuten dann doch noch auf mehr als 4000 Euro in die Höhe schoss.

Andreas Sturies hat für das Zucken und Zocken im Netz nicht viel übrig, er will sich seine Kunden nicht als Kunst-Tele-Shopper mit Tablet im Schoß vorstellen, sondern „im Saal haben und leiden sehen“. Sturies ist ein herrlich altmodischer Kunsthändler, seine Auktionen in Düsseldorf sind ein heiterer Kulturevent, zuweilen auch lehrreicher Hochgenuss: Er fiebert mit seinen Bietern, wenn er Leidenschaft für die „geistige Substanz“ der Kunst spürt – und kommentiert spitz, wenn er Besitzstolz, heilige Ehrfurcht oder Spekulation wittert: „Man muss das Geschäft distanziert und ironisch sehen, sonst hält man es gar nicht aus.“

Das Geschäft: immer neue Gerhard-Richter-Editionen oder Günther-Uecker-Drucke zum Beispiel ohne künstlerischen Mehrwert – die Zirkulation des Immergleichen zum Zwecke der Werbung, um die Marke zu bespielen, die Sichtbarkeit zu erhöhen, die Preise zu treiben. „Unglaublich öde“, nennt Sturies das und rät seinen Kunden davon ab, auf Wertzuwächse zu spekulieren. Denn natürlich ist auch das Kunstgeschäft im niedrigen Preissegment vor allem ein Durchlauferhitzer – ein volatiler Markt, der von seinen Akteuren gemacht wird: von Auktionshäusern, die modische Saisonware verkaufen, von Fälschern, die Nachdrucke in den Markt schleusen – und von Händlern und Sammlern, die vorgestern Otto Piene verteuern, gestern Günther Förg und heute Katharina Grosse – ganz gleich, ob sich für ein Werk von Piene, Förg oder Grosse in 20 Jahren noch jemand interessiert.

Die meiste Kunst zum Tiefpreis bekommt am Auktionsmarkt daher, wer seinen Blick schult, seinen Geschmack verfeinert und sich von Moden nicht beeindrucken lässt. Und vielleicht auch der, der seinen Blick dabei zuweilen nach Ostdeutschland richtet: Viele der technisch hervorragend ausgebildeten „DDR-Künstler“ sind von Preisverwehungen verschont geblieben, weil „die wenigsten Leute ihren Augen vertrauen“, sagt Volker Zschäckel von der Galerie am Sachsenplatz in Leipzig – und weil dem Ansturm auf die Nachkriegskunst der DDR nach dem Mauerfall kein vertieftes Interesse folgte: „Greifen Sie also zu, ehe es richtig teuer wird“, so Zschäckel, „aber bloß nicht in spekulativer Absicht“ – denn „was dem Vergessen anheimfällt oder doch noch seine Runde im schnell drehenden Markt ziehen wird, weiß niemand“, so Ansgar Heickmann vom Auktionshaus in Chemnitz.

Hermann Bachmann zum Beispiel, ein fantastischer Maler aus Halle mit deutsch-deutscher Biografie: Auf seine „Entdeckung“ spekuliert der Kunstmarkt schon seit Jahren vergeblich – wie schön. Von der ausdrucksstarken Kreuzigungsszene mal abgesehen – wie ärgerlich.

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