Bahn-Herausforderung Locomore Ein früher Zug

Das private Bahnunternehmen Locomore fordert die Deutsche Bahn im Fernverkehr heraus. Der Premierenzug ist überpünktlich. Doch viel Zeit bleibt dem Start-up nicht. In drei Monaten muss es schwarze Zahlen schreiben.

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Ein Locomore-Zug auf Premierenfahrt. Quelle: AFP

Stuttgart/Berlin Ein kurzes Knacken, dann erfüllt die Stimme des Zugbegleiters das Großraumabteil: „Wir erreichen den Bahnhof Berlin Zoologischer Garten sieben Minuten zu früh. Wir werden dort deshalb einen kurzen Aufenthalt haben.“ Den meisten Reisenden im Zug ringt die Durchsage ein Lächeln ab. Wann kommt die Bahn schon mal früher als geplant?

Aber es ist ja auch kein normaler Zug. Und kein gewöhnlicher Tag. Es ist Premierenfahrt für Locomore. Für Katrin Seiler, Geschäftsführerin des Bahn-Start-ups, ist der Lokführer deshalb der „Held des Tages“. Das private Eisenbahnunternehmen Locomore will der Deutschen Bahn im Fernreisegeschäft auf der Strecke zwischen Stuttgart und Berlin Konkurrenz machen. Und das mit nur einem Zug. Seit dem 14. Dezember tickt die Uhr. Denn: „Wir müssen in drei Monaten schwarze Zahlen schreiben", sagt Seiler.

Die Premiere begann nicht ganz reibungslos. Mit 14 Minuten Verspätung war der Zug in der Hauptstadt Baden-Württembergs am Morgen gestartet. Es hatte Abstimmungsprobleme mit dem schwedischen Eisenbahner Hector Rail gegeben, der die Triebfahrzeuge und Lokführer stellt. Bis nach Berlin hat sich die Verspätung dann aber in Luft aufgelöst. „Ich bin total erleichtert, aber im Moment auch echt platt“, sagt Seiler und reibt sich müde den Nasenrücken. „Ich habe diese Nacht wenig geschlafen.“ Die Aufregung.

Fast zwei Jahre hat sie mit ihrem Mann und Locomore-Gesellschafter Derek Ladewig auf die Jungfernfahrt hingearbeitet. Das Duo will beweisen, dass Fernverkehr auf der Schiene kein Privileg der Staatsbahnen ist. Wenn andere Privatbahnen das im Regionalverkehr können, warum sollte ihnen das nicht im Fernverkehr gelingen? Deshalb hatte sich das Ehepaar für das Unternehmen bei der alle fünf Jahre erfolgenden Vergabe der Rahmenfahrpläne im deutschen Bahnnetz bis 2020 weitere Trassen gesichert. Beispielsweise nach München, Köln oder ins Ruhrgebiet.

Doch daran ist frühestens 2017 zu denken. Und natürlich nur, wenn es auf der Strecke von Stuttgart nach Berlin gut läuft. Denn der Markt ist schwierig. Insbesondere der Fernverkehr wird fast ausschließlich von der Deutschen Bahn beherrscht. Im Moment gibt es neben Locomore nur einen privaten Herausforderer. Der HKX zwischen Köln und Hamburg hält sich aber auch nur leidlich.

Über mangelnde Aufmerksamkeit konnten sich die Bahn-Pioniere von Locomore bei der ersten fahrplanmäßigen Tour nicht beschweren. Unter anderem zwei Kamerateams sowie zwei Radiojournalisten quetschen sich neben den Fahrgästen durch die Gänge. Das Publikum ist gemischt. Zum Beispiel das Rentnerpaar Ingrid Hassler und Dieter Zahn. Sie fahren die gesamte Strecke von Stuttgart nach Berlin und sind begeisterte Locomore-Unterstützer. „Für die Eröffnungsfahrt haben wir 285 Euro gespendet“, berichten sie. Freunde gaben sogar mehrere Tausend Euro.

Geld ist bei Locomore ein schwieriges Thema. Derek Ladewig und Katrin Seiler hatten zur Finanzierung an zahlreiche Türen geklopft. Sie sprachen mit Bankberatern, Investoren und Risikokapitalgebern. Geld gab ihnen niemand. Erst mithilfe von Crowdfunding übers Internet bekamen sie schließlich 600.000 Euro zusammen.

Unter anderem durch Nachrangdarlehen, bei denen Locomore auf der Homepage darauf hinweist, besser nicht den gesamten Inhalt des Sparstrumpfes zu investieren. Es drohe der vollständige Verlust der Einlagen, falls Locomore nicht durchhalte. Aber daran denkt an diesem Premierentag niemand.


Preise auf Fernbus-Niveau

Ein Großinvestor fehlt, der bei Anlaufschwierigkeiten Geld nachschießen könnte. Deshalb bleibt Locomore nur Zeit bis März, um in die schwarzen Zahlen zu kommen. Dafür müsste jede Fahrt im Schnitt zu 50 Prozent ausgelastet sein. 500 Plätze hat der Zug. Da nicht jeder Fahrgast die gesamte Strecke fährt, müsste Locomore für seinen beiden Fahrten am Tag etwa 1.000 Tickets  verkaufen. Ein ambitioniertes Vorhaben.

Dieter Zahn findet es anständig, dass die Unternehmer offen auf das Risiko hinweisen. „Das spricht für sie.“ Der Fahrgast findet es vielmehr beachtlich, was Locomore allein auf die Beine gestellt habe. „Da sind Fachleute am Werk. Ich hoffe, dass Locomore richtig Schwung bei der Bahn reinbringt.“

Einige Abteile weiter sitzt Ruth Drögemöller. Sie ist da skeptischer. Die Tür zu ihrem Abteil ist offen. Die Heizung war zu hoch eingestellt und die Temperatur normalisiert sich nur langsam. „Locomore hat nur den einen Zug – es muss für den Fahrgast immer passen“, meint Drögemöller. Heute hat es für sie gepasst. Sie muss geschäftlich nach Berlin und ist in Hannover zugestiegen.

Die Buchung allerdings fand sie schwierig. Tickets für Locomore gibt es nämlich nicht über das Portal bahn.de oder die Kundenzentren der Deutschen Bahn, sondern nur im Netz, am Telefon, bei einigen Reisebüros oder direkt im Zug. „Man muss gezielt mit Locomore fahren wollen und auf deren Seite gehen“, sagt Drögemöller.

Den Preis hingegen findet sie unschlagbar. 19 Euro hat die Fahrt von Hannover nach Berlin gekostet. Das ist Fernbus-Niveau. Generell soll das Ticket 50 Prozent unter dem Normalpreis der Deutschen Bahn liegen. Wie günstig es genau wird, hängt von der Nachfrage ab. Die gesamte Strecke kostet zwischen 22 und 65 Euro.

Verkehrsexperten sehen deshalb Locomore eher als Konkurrenz zum Fernbus als zur Deutschen Bahn. Denn das Unternehmen klappert unter anderem die Studentenstädte Heidelberg und Göttingen ab. Studenten, denen der Preis wichtiger als die Fahrtzeit ist, sollten die größte Zielgruppe von Locomore sein.

Die niedrigen Tarife kommen unter anderem durch geringe Personalkosten zustande. Nur das Management und die Zugbegleiter sind fest angestellt, einige auch in Teilzeit. Die Waggons sowie die Lokomotive samt Lokführer sind gemietet.


Comic, Häkeln oder Kaffeeklatsch

Auch sonst ist bei Locomore vieles anders. Der verbrauchte Strom ist 100 Prozent grün, Kaffee, Limo und das Essen sind bio und die Abteile nach Themen geordnet: zum Beispiel Comic, Häkeln oder Kaffeeklatsch. Wie in sozialen Medien sollen hier Gleichgesinnte unkompliziert zusammenfinden.

Vollkommen scheint das allerdings noch nicht bei den Fahrgästen angekommen zu sein. Im Abteil namens „Kartenspielen“ starren zwei junge Männer auf das Video auf einem Tablet, und im Häkel-Abteil scrollt ein Geschäftsmann in weißem Hemd und grauen Pullunder auf seinem Smartphone herum. Im Abteil „Weihnachtsbasteln“ will zwar eine Frau kreativ werden, muss dann aber feststellen, dass sie die Materialien selbst hätte mitbringen müssen. Zumindest im Kinderabteil läuft alles so wie es sein soll. Ein kleines Mädchen rutscht glücklich auf dem Boden herum, überall ist Spielzeug verteilt – natürlich auch eine Holzeisenbahn nebst Zubehör.

Im vorletzten Abteil sind drei Bahnfans zufrieden. Christian, Jens und Thomas (*Namen geändert) haben sich verabredet, um mit dem neuen Bahn-Konkurrenten in aller Gemütlichkeit die gesamte Strecke von Stuttgart nach Berlin zu fahren. Auf dem Tisch stehen zwei Flaschen Radler. „Ich hätte es mir nicht so edel vorgestellt“, staunt Jens.

Schließlich sind die Waggons von der Deutschen Bahn ausrangiert worden. Locomore hat sie zusammen mit einem Investoren in Rumänien buchstäblich aufmöbeln lassen: Die Sitze sind aufgepolstert, die Tische frisch lackiert, die Fenster neu, die Steckdosen im Abteil ebenfalls und im einzigen Großraumabteil riecht es nach dem Kunstleder.

„Ich bin vom Gesamteindruck positiv überrascht“, sagt Christian deshalb. Das Wlan hält, der Service am Platz funktioniert und die Ticketbuchung hat geklappt – wenn auch erst im zweiten Versuch.

Bei der Frage, ob sich das Start-up durchsetzt, sind die Freunde aber uneins. „Ich kann ja nur von mir ausgehen“, sagt Jens. „Und da würde ich schon rein vom Wagenmaterial sagen, dass ich lieber Locomore als ICE fahre“. Thomas hingegen glaubt, dass das Angebot mit nur einem Zug zu inflexibel sein wird. Für ihn beispielsweise sei die Abfahrt in Stuttgart um 6:21 Uhr für berufliche Termine zu spät. „Und wenn ich privat fahren will, dann will ich ausschlafen.“

Einwände, die sie bei Locomore schon öfters gehört haben. Trotzdem haben sie sich in den Konkurrenzkampf mit der Deutschen Bahn getraut. Und vielleicht macht ihnen ja das Beispiel von Ryanair Mut. Die Billigfluglinie war bei ihrem Start mit nur zwei Maschinen auch belächelt worden. Was die Pünktlichkeit angeht, ist Locomore auf jeden Fall schon auf einem guten Weg.

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