Bangladesch Das Schmuddelkind der globalen Textilindustrie

Tausende Beschäftigte im Textilsektor streiken in Bangladesch. Fabrikanten reagieren mit Massenentlassungen und Anzeigen – auch jene, die für westliche Modemarken wie Zara, H&M und Gap produzieren.

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Tausende Beschäftigte in Bangladesch haben die Arbeit niedergelegt, um höhere Löhne durchzusetzen. Quelle: dpa

Bangladesch In Europa sind die Menschen zur Weihnachtszeit in die Modehäuser geströmt, im Textilland Bangladesch zu Demonstrationen: In Ashulia, einem Vorort der Hauptstadt Dhaka, forderten zehntausende Näher eine Erhöhung des monatlichen Mindestlohns von umgerechnet rund 60 auf 200 Euro. Wie ein Feuer griffen die Streiks von einer Fabrik auf die nächste über. Rund 59 Betriebe machten zeitweise dicht.

Doch während der Festtage erhielten die Aufmüpfigen die Quittung: Polizeiangaben zufolge entließen die Fabriken rund 1600 Beschäftigte, Gewerkschaften sprechen sogar von rund 3500 Betroffenen. Anführer der Streiks sowie einfache Arbeiter wurden von Fabrikmanagern sogar bei der Polizei gemeldet und kurzfristig festgenommen – unter anderem wegen Vandalismus und Unruhestiftung.

Es brodelt seit längerem in Bangladesch: Mehr als drei Jahre nach der Rana-Plaza-Katastrophe bleibt das südasiatische Land das Schmuddelkind der globalen Textilindustrie. Während sich die Sicherheitsstandards zumindest in manchen Fabriken schrittweise verbessern, sorgen nun die geringen Löhne für immer heftigere Spannungen. Das letzte Mal wurde der Mindestlohn vor drei Jahren erhöht – als Reaktion auf das Unglück von Rana Plaza. Das achtgeschossige Gebäude in der Nähe der Hauptstadt, in dem mehrere Textilfirmen, Geschäfte und eine Bank untergebracht waren, war am 24. April 2013 eingestürzt. 1127 Menschen kamen ums Leben, 2438 wurden verletzt. Es war der bisher schwerste Fabrikunfall in der Geschichte des Landes.

Doch die jüngsten Ereignisse zeigen, was passiert, wenn die Belegschaften Verbesserungen fordern. Die Nichtregierungsorganisation „Clean Clothes Campaign“ nennt das Vorgehen der Behörden und der Unternehmen in Bangladesch „einen Angriff auf legitime Arbeiterorganisationen und einen Versuch, Beschäftigte dabei zu stoppen, auf ihre Armutslöhne und schrecklichen Arbeitsbedingungen hinzuweisen.“

Es sind diesmal nicht nur die kleinen Betriebe, in denen Arbeiter für ihre Proteste bestraft wurden. Mehrere Medien in Bangladesch berichten, dass auch große Unternehmen gegen die Arbeiter vorgegangen seien.

So hätten die Sharmin Group oder die Ha’Meem Group mit Entlassungen und Anzeigen gegen ihr Personal reagiert – beide Firmen beschäftigen zehntausende Arbeiter. Als Kunden führen sie auf ihren Websites zahlreiche westliche Ketten auf, unter anderem H&M, Gap und Zara.


Billig-Strategie als Wachstumsmotor

Zwar hat die „Alliance for Bangladesh Worker Safety“, eine nach der Rana Plaza gegründete Initiative amerikanischer Modeketten, darunter auch Gap, die Festnahmen verurteilt. Zu den Massenentlassungen und den Forderungen der Belegschaften äußerte sich die Initiative jedoch nicht. Normalerweise verweisen die großen Modeketten bei negativen Schlagzeilen stets lediglich auf die unüberschaubare Zahl von rund 7000 Textilfabriken sowie das undurchsichtige Zuliefernetzwerk in dem Land.

Dass die Unzufriedenheit in Bangladesch wächst, dürfte aber auch die dort tätigen Hersteller wenig überraschen: Im Gegensatz zu anderen Textil-Standorten wie Kambodscha oder Vietnam stagnieren die Einkommen in Bangladesch trotz steigender Lebenshaltungskosten. Selbst in Myanmar, das sich erst in den vergangenen Jahren der Globalisierung geöffnet hat, ist der Mindestlohn mittlerweile höher.

Dass sich die Löhne in Bangladesch kaum erhöhen, resultiert auch aus der Billig-Strategie des Landes. „Bangladesch hat vergleichsweise geringe Preise in praktisch jeder Textil-Produktkategorie“, heißt es in einer Studie der Weltbank, in der Textilbranchen in Südostasien und Südasiens miteinander verglichen werden. „Es scheint, als wolle das Land damit Defizite in Qualität, Arbeitsstandards und Zuverlässigkeit ausbügeln.“

Doch das funktioniert nur bedingt: Trotz Wachstum verlor Bangladesch nach Angaben der Weltbank in den vergangenen Jahren Marktanteile gegen die Konkurrenz aus Südostasien. Statt weiter nur die Kosten zu drücken, müsse Bangladesch endlich seine Produktivität erhöhen, um nachhaltiger zu wachsen.

Wegen des harten Standortwettbewerbs scheut der Staat jedoch davor zurück, Fabrikbesitzer mit höheren Löhnen noch weiter zu belasten. Zumal das Schicksal des Landes am Erfolg der Industrie hängt: Rund 80 Prozent aller Exporte des Landes stammen aus dem Textilsektor. Der Boom der Branche machte den armen Staat zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Im aktuellen Haushaltsjahr dürfte Bangladeschs Wirtschaftsleistung laut der Asiatischen Entwicklungsbank rund sieben Prozent wachsen – doch die breite Masse der Beschäftigten profitiert kaum davon.

Angesichts der wachsenden Spannungen sieht die „Clean Clothes Campaign“ nun die westlichen Marken in der Pflicht. Sie sollten sich gegenüber Fabriken und der Regierung stärker dafür einsetzen, dass die Belange der Arbeiter mehr Gehör finden, heißt es in der Mitteilung. „Das beinhaltet auch, den Mindestlohn zu erhöhen.“

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