Vorläufig ist das Abkommen nicht viel mehr als ein breit angelegtes PR-Manöver: Dem temporär schockierten Verbraucher soll suggeriert werden, dass sich die Modelabel um die Sicherheit der Arbeiter kümmern. Tatsächlich geht es den Unterzeichnern um die Absicherung einer fragwürdigen Beschaffungspolitik, die ohne Alternative ist: Nirgendwo wird Mode so billig und in solchen Mengen produziert wie in Bangladesch. Wer sich auf den Wettbewerb um die "Geiz ist geil"-Kundschaft eingelassen hat, kann auf die Näherinnen und Näher aus Bangladesch nicht verzichten.
Die Handelsriesen bestreiten den PR-Vorwurf. "Die Vereinbarung ist eine wichtige Maßnahme, um eine verbesserte Brandschutz- und Gebäudesicherheit zu schaffen", sagt H&M. Um langfristig die Produktionsbedingungen vor Ort zu verändern, brauche es eine "breite Koalition aus anderen Unternehmen, Regierungsvertretern, Gewerkschaften und Industrieverbänden". Das Statement des Düsseldorfer Konkurrenten C&A geht in die gleiche Richtung: "Endlich ziehen mal alle großen Textilketten an einem Strang, um eine Verbesserung der Sicherheitslage durchzusetzen."
Wege zum sauberen Textilimport
Textilriesen kaufen Kleidung meist über Importeure. Die Dienstleister im Dunkeln knabbern zwar an den Margen – ihnen können sie aber bei Skandalen die Verantwortung aufladen. Wer das vermeiden will, muss die Lieferkette in Eigenregie kontrollieren.
Lieferanten in Ländern wie Bangladesch wickeln ihre Bestellungen oft über Partnerfirmen ab, die in bedeutend schlechterem Zustand sind als die Vorzeigefabriken. Wer seine Verantwortung ernst nimmt, muss in diese Subfabriken Kontrolleure schicken und Kunden deren Namen nennen können.
Echten Einblick in die Arbeitsbedingungen bekommen nur eigene Mitarbeiter der Modeunternehmen, die ständig vor Ort sind. Jedes Label sollte daher ein Team aus entsandten und lokalen Einkäufern, Beratern und Kontrolleuren im Lieferland aufbauen.
Der Glücksfall ist die Arbeit mit Lieferanten, die ihren Hauptkunden als Partner verstehen – und sich mit dessen Hilfe weiterentwickeln wollen. Das erfordert Vertrauen auf beiden Seiten und viel Zeit. Hilft ein Modekonzern seinen Lieferanten, die Produktivität zu verbessern, steigt auch dessen Bereitschaft zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Label wie H & M, C & A, Kik oder Tommy Hilfiger importieren solche Mengen aus Bangladesch, dass sie über gewaltigen Einfluss verfügen – theoretisch. Praktisch arbeitet jeder für sich, statt gemeinsam am runden Tisch mit der Regierung nach besseren Gesetzen zu verlangen. Auch politischer Druck ist rar, obwohl gerade Deutschland in Entwicklungsländern viel Respekt genießt.
Dhaka im Juli. Die Hauptstadt steht unter Spannung, seit den Katastrophen gibt es fast täglich Proteste. Mal fordern Demonstranten eine Erhöhung der Mindestlöhne, die inzwischen von 19 auf 34 Euro im Monat angehoben wurden, mal prangern sie Sicherheitsmängel an. Genauso häufig gehen Menschen auf die Straße, die ihren Job verloren haben, weil unsichere Fabriken dichtgemacht wurden. Am Boom ändert das nichts: Bis Ende Juni sind die Textilexporte im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13 Prozent gestiegen, im Mai um 15 Prozent. Übers Jahr exportierte das Land Textilien im Wert von 21,5 Milliarden Dollar, 60 Prozent davon nach Europa.
Ein Zertifikat unter vielen
Das Brandschutzabkommen interessiert in Bangladesch kaum jemanden. Erst Ende Juli reiste eine Delegation der Unterzeichner nach Dhaka, um ihre Lieferanten darüber zu informieren, was die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in Genf beschlossen hatte. Die lokalen Fabrikanten wissen, wie wichtig den Europäern Gutachten und Zertifikate sind – nachvollziehen kann deren Sinn aber kaum ein Bengale. Nur weil der Kunde König ist und das Geld mitbringt, unterwerfen sie sich den ethischen Regeln von Aldi, Lidl, Primark oder H&M: Den Brandschutzvertrag unterzeichnen sie ebenso wie den "Code of Conduct", in dem die formaljuristische Verantwortung des Lieferanten für die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in den Fabriken festgelegt wird. Ob die Einhaltung der Regeln kontrolliert wird, steht auf einem anderen Blatt.
Das Abkommen ist ein Zertifikat unter vielen – ein neuer Versuch, Entwicklungsländer wie Bangladesch zu Standards zu zwingen, die in Industrieländern über viele Jahrzehnte hinweg entstanden. Die Regierung bleibt außen vor, obwohl sie die Gesetze macht, mit denen die Wirtschaft reguliert werden könnte. Nicht mal der Dachverband der Textilexporteure (BGMEA) war eingebunden, obwohl er für die Vergabe der Exportlizenzen zuständig ist – und damit ein wirksames Instrument in der Hand hat: Einigen Fabriken hat er schon die Lizenzen entzogen.