Gut 100 Dollar verdient Laktumiah im Monat, das ist viel Geld hier. Sein Chef zahlt sogar Überstunden. Nur für die medizinische Behandlung muss er aufkommen. Alle zwei, drei Monate muss er zum Arzt. „Dann tränen mir die Augen, und das Herz schlägt schnell“, sagt er. Jedes Mal sage ihm der Doktor, das komme von den Chemikalien. „Ich fahre dann aufs Land, und es hört auf.“ Nach einer Woche kehrt er zurück.
Der Doktor heißt Belal Ahmet. Er hasst das Viertel, das er den „schwarzen Ort“ nennt, dessen Dunst die Menschen krank mache. Jeden Abend sperrt er, wenn er seine Vorlesungen als Professor an der örtlichen Universität beendet hat, sein zwei mal zwei Meter großes Arztzimmer auf. Und dann kommen sie, die Kranken. Kopfschmerzen und Hauterkrankungen sind am häufigsten, sagt der Doktor.
Es häufe sich Krebs, er glaubt, das liege am verseuchten Wasser. „Die meisten Patienten sind arme Menschen aus den Dörfern, Analphabeten“, sagt Doktor Ahmet, „sie wissen nicht, wie sie ihre Gesundheit schützen können.“ Einer habe die Säure- mit der Wasserflasche verwechselt und sich den Kehlkopf weggeätzt. Immer wieder würden Arbeiter in die Maschinen gezogen, die das Leder walzen. Der Doktor sagt: „Die meisten Fabrikanten sehen ihre Arbeiter als Betriebsmittel und sich selbst als Wohltäter, weil sie die Leute aus der Armut befreien.“ Gute Behandlung sei eine Frage des Charakters – und weil viele Fabrikbesitzer keinen hätten, müssten die Einkäufer Druck machen, damit sich die Arbeitsbedingungen verbessern.
Die wichtigsten Erkenntnisse der Human Rights Watch-Studie zur kambodschanischen Textilindustrie
Die Textilindustrie ist entscheidend für die kambodschanische Wirtschaft. 2013 erzielte das Land Exportumsätze in Höhe von 6,48 Milliarden Dollar. Davon machten Textilien von 4,96 Milliarden Dollar aus. Im Jahr 2014 betrug der Textilexport rund 5,7 Milliarden Dollar.
Quelle: Human Rights Watch
Außerdem kamen im Jahr 2014 noch einmal 350 Millionen Dollar aus dem Export von Schuhen hinzu.
Wer nicht im landwirtschaftlichen Sektor arbeitet, ist in Kambodscha in der Textilindustrie tätig. Überwiegend sind das Frauen. Sie machen einen Anteil von 90 bis 92 Prozent aus. Darin nicht enthalten sind die Näherinnen, die zuhause anstatt in einer Fabrik arbeiten. Demgegenüber stehen laut Human Rights Watch rund 700.000 männliche Arbeiter.
Laut Human Rights Watch gehören Überstunden in kambodschanischen Textilfabriken zum Alltag, die Temperaturen in den Fabriken seien viel zu hoch, außerdem dürfen viele Arbeiter keine Pausen machen oder etwas trinken. Belästigungen seien an der Tagesordnung. Es gebe weder Wasser noch Seife in der Nähe der Toiletten, wer krank ist, muss Lohnkürzungen hinnehmen, Mutterschutz ist ein Fremdwort und die Arbeitsverträge sind ein Witz.
Das kambodschanische Arbeitsministerium hat im Jahr 2013 bei 295 Betrieben (nicht alle davon Textilbetriebe) Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt. Im Dezember 2014 habe das Ministerium gegen 25 dieser Betriebe ein Bußgeld verhängt. Gegen insgesamt 50 Betriebe sei man vorgegangen. Weitere Details sind nicht bekannt. Dass sich die Arbeitsbedingungen in den Nähereien dadurch verbessert haben, kann das Ministerium nicht belegen.
Viele Textilfirmen vergeben befristete Arbeitsverträge, die oft nur für Stunden oder Tage gelten. So lastet ein immenser Druck auf den Nähern. Immerhin: Der Anteil der Betriebe, die diese extrem kurzen Verträge einsetzen, ist von 76 Prozent im Jahr 2011 auf 67 Prozent im Jahr 2013/2014 gesunken.
Laut dem kambodschanischen Arbeitsrecht hat ein regulärer Arbeitstag zehn Stunden, mehr als zwölf Stunden darf niemand pro Tag arbeiten. In der Praxis arbeiten die Näher jedoch deutlich länger. Wer sich weigert, muss Gehaltskürzungen hinnehmen oder wird entlassen.
Über Zwischenhändler in den Westen
Die Einkäufer also. Niemand von ihnen, besonders wenn er für westliche Modemarken arbeitet, bekennt sich zum Einkauf in Dhaka. Nur, irgendwie findet das Leder aus Hazaribagh seinen Weg zum Kunden in Europa. Wo soll es schließlich sonst bleiben?
Wer Zweifel hat, sollte bei Mofazal Hossein nachfragen. Er ist einer der vielen Händler, die Leder aus Hazaribagh exportieren. Seine Firma namens Angle’s Trading International versteckt sich in einem Hinterhof des Gerberviertels. Er sagt: „Natürlich ist es möglich, dass deutsche Kunden Leder aus Hazaribagh kaufen.“ Es sei unter internationalen Kunden üblich, die Ware indirekt über Zwischenhändler wie ihn zu beziehen. Jeden Monat, behauptet Hossein, liefert er bis zu 15 Container mit verarbeitetem Leder nach Vietnam und Taiwan, ein kleiner Teil gehe auch nach Italien. Dort übernehmen lokale Importeure Lederwaren und verkaufen sie weiter – oft an weitere Mittelsmänner, die für Einkaufsagenturen arbeiten. Letztere wiederum lassen im Auftrag westlicher Marken oder Einzelhändler Leder zu Modeware verarbeiten.
So verliert sich die Spur der Ware, indem die Lieferkette länger und länger wird.
Intransparenz ist natürlicher Zustand
Adidas, Puma und C&A schließen aus, dass sie Leder aus Bangladesch beziehen; H&M will dies den Lieferanten sogar vertraglich verboten haben. Otto, Metro und Primark räumen ein, dass der Lieferant für die Einhaltung der Standards vertraglich verantwortlich ist – und sie deren Fehlverhalten nicht ausschließen können. Bei Karstadt, Esprit, S’Oliver und McNeal will man die Herkunft der Lederwaren nicht offenlegen. Bei Marc O’Polo ignoriert man die Frage, wieso der Premiumhersteller in Kleidungsstücke keine Herkunftsländer druckt.
Intransparenz ist angesichts dieser Handelsstrukturen mit ihrer unendlichen Kaskade aus Händlern, Zwischenhändlern, Subunternehmern und Lieferanten ein natürlicher Zustand. Am Leder klebt kein Etikett, kein Strichcode. Im Prinzip kann jedes Teil von überall herkommen. „Ich wäre sehr vorsichtig, Schindluder entlang der Lieferkette generell auszuschließen“, sagt Berater Karl Borgschulze. Es gebe immer irgendeinen Lieferanten, der seine Aufträge in Spitzenzeiten an unsaubere Fabriken auslagere. Auch Nick Lin-Hi, Professor für unternehmerische Verantwortung an der Universität Mannheim, sagt: „Je länger die Wertschöpfungskette ist, desto schwieriger wird es, sie im Griff zu behalten.“