Billig-Mode Die Leder-Produktion in Bangladesch stinkt zum Himmel

Kinderarbeit, Unfälle, Umweltschäden – Bangladeschs Modeindustrie hat einen schlechten Ruf. Während sich bei Textilien einiges ändert, entsteht Leder unter fürchterlichen Bedingungen. Ein Blick in die industrielle Hölle.

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Gerberviertel von Dhaka Quelle: GMB Akash für WirtschaftsWoche

Wenn jetzt jemand den Hebel umlegen würde, wäre der kleine Mahim sofort tot. Der übermannshohe Bottich, aus dessen Öffnung der Junge schaut, würde sich drehen, die Holzstreben im Innern würden ihn mitreißen. Hier in Hazaribagh, dem Gerberviertel in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, sterben Kinder so. Sie holen Leder nach dem Waschen oder Färben aus den Mixern, denn nur ihre kleinen Körper passen durch deren Luken. Das Leder, das Mahim eben aus der Trommel geworfen hat, ist hellblau – ein Hinweis auf die Behandlung mit Chromsulfat. Davon kann man Krebs bekommen.

Mahim ist neulich erst 13 Jahre alt geworden, im vergangenen Jahr kam er auf der Suche nach Arbeit mit seinem Onkel nach Dhaka. Die Armut hatte sie aus einem namenlosen Dorf weit im Norden hinein ins Elend der stinkenden Gerberei getrieben. Die Aussicht, hier jeden Tag ein wenig Geld zu verdienen, kleidet die ebenso alltägliche Gefahr, in den Arbeitsbedingungen hier sein Leben zu lassen, in einen Kokon des Ungefähren.

Wie überhaupt hier im Gerberviertel sich vieles im Ungefähren verliert. Wer für die Zustände verantwortlich ist? Man weiß es nicht. Bei welchen Modemarken das Leder später verarbeitet wird? Man ahnt, im Westen. Man weiß: eigentlich wenig.

Die umsatzstärksten Modehändler der Welt

Man weiß nur: Bangladesch boomt als Zulieferer der westlichen Modeindustrie. Bis 2020 soll der Lederwarenexport von 1,3 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr auf mehr als fünf Milliarden Dollar wachsen. Das Ledergewerbe vollzieht also nach, was die Textilindustrie in den vergangenen Jahren vorgemacht hat: das Wachstum ihrer Geschäfte in Bangladesch.

Nun hat die Textilindustrie nach Horrormeldungen über brennende Fabriken und ausgebeutete Arbeiter immerhin Mindeststandards im Arbeitsschutz eingeführt; der deutsche Handel hat gar ein – wenn auch wachsweiches – Bündnis mit Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) geschlossen, wonach die schlimmsten Exzesse in Bangladesch künftig bekämpft werden sollen. Die Lederlieferkette aber beachtet kaum jemand.

Das Ergebnis: die Szenen vor Ort? Unvorstellbar. Die Einschätzung der Experten? Die Lederindustrie in Teilen Bangladeschs befindet sich auf mittelalterlichem Stand. Karl Borgschulze, dessen Beratungsunternehmen CSI die Branche bei der Verbesserung von Standards berät, sagt: „Handelsunternehmen kennen bestenfalls ihre Lederverarbeiter, nicht aber dessen Lieferanten. Und meistens wollen die Unternehmen gar nicht genau wissen, wie es in ­Gerbereien aussieht.“

Barfuß im Chemie-Bad

Und Entwicklungshilfeminister Müller sagt: „Deutsche Handels- und Modeunternehmen müssen ihre Vorstufen kennen und daran arbeiten, dass ihre Zulieferer internationale Standards einhalten.“ Bislang sei das nicht immer der Fall.

Diese Modeketten zahlen Hungerlöhne
Die Textilbranche und der Trend zu ultragünstiger Kleidung in Industrieländern steht seit einiger Zeit in der Kritik, spätestens seit dem verheerenden Unfall in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka im Frühjahr 2013. Doch Veränderungen ergeben sich nur langsam, dies zeigten zuletzt Rückblenden ein Jahr nach der Katastrophe, die vor allem die Sicherheitsbedingungen in den Fabriken in den Fokus nahmen. Quelle: AP
Einen weiteren Aspekt, der nach diesem und weiteren Unfällen stark diskutiert wurde, behandelt der aktuelle Clean Cloth Kampagne Firmencheck 2014: die unwürdigen Löhne, für die viele Arbeitnehmer bei Zulieferern von Kleidungsherstellern wie hier in Bangladesch schuften müssen. Die Nichtregierungsorganisation Clean Clothes Kampagne (CCK) hat 48 Firmen auf diesen Aspekt hin untersucht und kommt zu dem Ergebnis: Die meisten Firmen bieten vollkommen unzureichende Standards. Quelle: dpa
Mit 15 Firmen bekamen die meisten der getesteten Unternehmen ein Ungenügend – setzen sich also „kaum für die Bezahlung eines Existenzlohnes ein“. 13 Firmen antworteten indes gar nicht und haben somit vermutlich ebenfalls keine sonderlich präsentablen Zustände vorzuweisen. Diese Profile, etwa von Mexx, Benetton, Armani und Hugo Boss recherchierten die Analysten selbst aus öffentlichen Quellen. Hier eine Übersicht über die schwarzen Schafe der Branche laut der Clean Clothes Kampagne. Quelle: dpa
AldiAldi gibt an, der eigene Kodex sehe den gesetzlichen Mindestlohn in allen Produktionsländern vor und das Unternehmen arbeite in der Business Social Compliance Initative (BSCI) darauf hin, dass dies auch eingehalten werde. Das bewertet die NGO jedoch offenbar als Lippenbekenntnis: Es gebe „kaum Anhaltspunkte“, dass Aldi das Problem der Niedriglöhne wirklich angehe. Da das Unternehmen alle Waren von Agenturen, also Mittelsmännern, kaufe, entziehe sich Aldi der Verantwortung, die eigenen Zulieferer zu kontrollieren. Diese Verantwortung bleibe aber bestehen. Quelle: dpa
CarrefourDer französische Konzern lässt in verschiedensten Ländern wie Brasilien, aber auch Bangladesch produzieren, allerdings nicht in eigenen Fabriken. Deshalb, so Carrefour, sei man auch nicht für die Angestelltenlöhne zuständig. Man sehe in der eigenen Charta aber vor, dass die Löhne die Grundbedürfnisse abdecken sollten. Dies ist der Clean Clothes Kampagne zu wenig: Allein ein Bekenntnis zu Grundbedürfnis deckenden Löhnen helfe den Arbeitnehmern wenig, wenn Carrefour keine Verantwortung für die Umsetzung übernehme. Quelle: REUTERS
Charles VögeleDas Schweizer Unternehmen beantwortete die Anfrage der Kampagne mit vorgefertigten Standardantworten der Businessvereinigung BSCI, beruft sich darauf, mit der Initiative auf Existenzlöhne hinzuarbeiten. Die BSCI ist eine Industrie-Initiative von mehr als 600 Unternehmen und wurde gegründet, um die Bemühungen der Branche zu bündeln. CCK kritisiert, dass der Standard nicht verpflichtend sowie kaum extern nachvollziehbar sei und dass er die Zulieferer nicht bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen unterstütze. Eine Firma wie Vögele, die im Heimatland und in Deutschland mit einer verantwortlichen Mitarbeiterpolitik und Ausbildungsbedingungen werbe, verstecke sich hinter der intransparenten Vereinigung. Noch dazu scheint problematisch, dass Vögele die Freiwilligkeit des Existenzlohns betont. Quelle: Handelsblatt Online
DecathlonMan bevorzuge eine „Schritt-für-Schritt“-Methode für die eigene Lieferkette, nach und nach sollten die Bedingungen verbessert werden. Das antwortete das französische Unternehmen Declathon von der Oxylane-Gruppe, das hier bei einer Expo-Aktion für Nacktshopper 2001 eine gewisse Lässigkeit und Humor zeigt, auf die CCK-Anfrage. Grundsätzlich stimme es einem Existenzlohn aber zu. Diese Form von Lockerheit und Lässigkeit findet die Organisation unpassend: „Ein Großunternehmen wie Oxylane kann es sich nicht leisten, keinen klar definierten Standpunkt zur zentralen Frage des Existenzlohns zu haben“, lautet der vernichtende Kommentar von CCK. Stattdessen müsse es seine Marktmacht nutzen, um die Zulieferer per Richtlinie an einen Existenzlohn zu binden. Quelle: AP

Ins Gerberviertel Hazaribagh weist einen kein Schild, aber die Nase. Je näher man diesem Ort kommt, desto intensiver wird der penetrante Fäulnisgeruch. Es ist schwer, zu sagen, ob er von den gepökelten Kuhfellen stammt, die Halbwüchsige auf Schultern schleppen, oder aus dem Innern von gut 200 Gerbereien, die sich hier drängen. Dort empfängt einen überall ein Bild wie bei der Prince Tannery Ltd.: In Wannen, teils in den Erdboden eingelassen, wenden Männer die Kuhfelle mit Zangen im Chemiebad. Alle paar Stunden ziehen sie den Pfropfen, und eine giftige Suppe aus Chrom, Sulfiten oder Formaldehyd fließt quer über den Boden in einen angrenzenden Fluss.

Laktumiah ist einer der Hilfsarbeiter, die diese Vorstufe der Modeindustrie am Laufen halten: barfuß, dünne Beine, Hohlkreuz. Er ist 55 Jahre alt und schabt mit einer Metallbürste den Speck von der Kuhhaut, nachdem sich die Haare im ersten Chemiebad vom Fell gelöst haben. Das glitschige Zeug stinkt, aber er ist zufrieden mit seinem Job. Eine Zeit lang haben sie das so gewonnene Fett noch als Nährstoff verkauft, das ist mittlerweile verboten.

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