Brauereien im Wandel Wie große Brauer mit dem Craft Beer ringen

Der Erfolg kleiner Brauereien bringt die hiesigen Industriebrauereien auf den Geschmack. Kleine Editionen appellieren an den Wunsch nach Tradition oder den Mut zu Neuem.

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Bier: Kampf gegen die wachsende Craftbeer-Konkurrenz. Quelle: Presse

Sie heißen Holy Cow, Grevensteiner oder Braumeister Edition. Sie sind teils nicht im Geschäft, sondern lediglich über den Versand oder nur für eine gewisse Zeit zu bekommen. Sie sind Biere, die das traditionelle Handwerk beschwören oder die in Deutschland noch immer recht junge Entwicklung des Craft Beer aufgreifen. Sie eint, dass sie aus den Brauhäusern der großen Bierproduzenten Deutschlands stammen. Das Holy Cow der Marke Craftwerk Brewing kommt von der Bitburger Brauerei. Das Grevensteiner gehört zu Veltins, die Braumeister Edition zu Warsteiner.

Die Biere zeigen, dass die großen Brauereien Hoffnung in einem Trend suchen, den sie lange belächelten: Sie setzen auf Craft Beer und exklusive, hochwertige Gebräue. Statt sich auf die Strahlkraft einer Marke und harte Bandagen im Preiskampf zu verlassen, suchen sie einen Ausweg bei den Kunden, denen nicht Image, Wirkung und vor allem Preis am wichtigsten sind. In Ausnahmefällen wird dann für Spezialitäten auch mal das Reinheitsgebot ausgesetzt und für ein Gewürzbier Holunderbeeren, Blütenhonig, Rosenknospen, Rohrzucker und schwarzer Pfeffer mitvergoren - in einem einzigen Bier.

Das Reinheitsgebot wird in diesen Tagen zwar 500 Jahre alt, doch auch die stolze Tradition kann nicht verdecken, dass deutsches Bier ein Problem hat. Seit Jahren sinkt der Bierkonsum. All die Marketingkampagnen für Bier mit Felswasser, der Königin unter den Bieren oder der kleinen Persönlichkeit - sie ändern nichts daran, dass in den vergangenen 12 Jahren der Verbrauch von 107.365.000 Hektolitern auf 86.018.000 Hektoliter im Jahr 2015 gesunken ist. Ein Ende des Rückgangs ist nicht in Sicht.

Die Traditionsmarke Warsteiner verliert weiter an Absatz und fällt hinter die Konkurrenz zurück. Kann Brauereichef Martin Hötzel den Niedergang der Marke noch aufhalten?
von Mario Brück

Die einzigen, die sich in der Welt der Biere Wachstum und immer mehr Produzenten und Vielfalt freuen können, sind die Minibrauereien. Sie setzen auf außergewöhnliche Rezepten und handwerkliche Zubereitung - und werden immer beliebter. Trotz sinkenden Verbrauchs, steigt die Zahl der Braustätten. Zuletzt waren es laut Brauer-Bund 1388 in Deutschland, im Jahr zuvor 1352.

Der Erfolg der Produkte, die sich mehr oder minder klar dem Begriff Craft Beer zuordnen lassen, hat auch die Braugiganten aufhorchen lassen. Seit Jahren schon suchen in Deutschland junge Brauereien, befreit von den Fesseln jeglicher Tradition, neue Rezepte, wollen rumspielen mit Aromen und Geschmäckern und fort vom Einheitsgeschmack. Und damit sind sie, wie ihre Vorbilder aus den USA, aus der diese Bewegung stammt, sehr erfolgreich.

Die Braukonzerne wollen nun dabei sein, wenn eine neue Kundschaft gewonnen wird, den Zug nicht verpassen, wenn aus der Neugier einer kleinen Fangruppe ein Sinneswandel im Mainstream wird. 2015 hatte mit Lidl erstmals ein Discounter vorübergehend eine kleines Sortiment an Craft Beer im Programm. Wenn ein Trend im Discounter angekommen ist, wird es Zeit, zu reagieren.

Zutaten für Bier nach deutschem Reinheitsgebot

Es wäre auch nicht das einzige Genussmittel, das diesen Weg geht. Beim Kaffee reagieren die Giganten ebenfalls mit neuen Röstungen auf die Vielzahl kleinerer Röstereien, die in deutschen Städten neu entstehen.

Besonderes deutsches Bier

Es war Deutschlands größte Brauereigruppe, das Frankfurter Unternehmen Radeberger, das mit der Tochter Braufactum, als erstes begann, in Deutschland Biere zu vertreiben und brauen zu lassen, die die gewöhnlichen Konsumenten von Pils, Export oder Weizen mit fremden Aromen und Rezepturen überraschten. Es war eine kleine Einheit im riesigen Unternehmen, das man mal machen ließ. Für den Kunden ist kaum zu erkennen, dass die Biere mit Liter-Preisen von mehr als 18 Euro, zur Radeberger-Gruppe gehören.

Die Biere entstehen als Zusammenarbeit mit internationalen Braumeistern, ein Kernprogramm mit klassischen Sorten wie Kölsch oder Märzen wird ergänzt um einzelne Projekte. Einig ist allen die Verwendung von hochwertigen Zutaten und Besinnung auf handwerkliches Brauen statt industrialisierten Prozessen. Dabei geht es nicht darum, den heiligen Gral alter Traditionen zu wahren, sondern mit neuen Verfahren Geschmäcker zu erzeugen, die so zuvor nicht existierten.

Die Bitburger Braugruppe war ebenfalls früh neugierig geworden und gehörte im Jahr 2012 zu den ersten, die mit hopfenlastigen, alkoholstarken Bieren unter dem Namen Craftwerk herstellten. Die Bitburger-Tochter Köstritzer führt hingegen unter dem eigenen Namen ein Pale Ale und ein Red Lager, beides auch unter Craftbrauereien beliebte Sorten.

Das Pilsener

Das gestiegene Interesse an außergewöhnlichen Bieren jenseits der bekannten Sorten nutzt nun auch die Tochter des weltgrößten Bierkonzerns ABInbev, die in Bremen ansässige Marke Beck's. "Taste the world" heißt das Programm der Brauerei, das 2015 auf den Markt kam.

Das Portfolio des Programms orientiert sich an den Sorten, mit denen Craft-Beer-Brauer auch hierzulande die größten Erfolge feiern. Im Angebot befindet sich etwa ein Pale Ale mit Betonung auf Hopfen, wie es in Großbritannien beliebt ist. Jüngstes Mitglied der vierköpfigen Familie ist ein Red Ale, eine irische Variante, die ihren Schwerpunkt beim Malz sieht. "Wir haben natürlich nicht den Plan aus einer Marke wie Beck’s ein Craft Beer zu machen und auch keine zeitlich limitierte Trend-Thematik in den Markt zu schieben. Das erwartet der Konsument nicht von einer internationalen Marke wie Beck’s", sagt Oliver Bartelt von Beck's.

Kaufen statt entwickeln

Für Beck's, so Bartelt, geht die Rechnung vor allem bei denen auf, die man zuvor nicht erreichte: Menschen, die bislang kein Bier tranken. 62 Prozent aller Käufer der Sorten, die mit enormen Schwung flächendeckend in Deutschland in die Supermärkte geschwemmt wurden, sind Neukunden, die zuvor kein Bier gekauft haben. Die sollen auch durch ein modernes Design abgesprochen werden, das Abschied nimmt von der historisierenden Welt der Wappen auf den Etiketten. "Neukunden für Bier - das ist vielen gar nicht mehr bewusst, dass es die gibt", sagt Bartelt. Würde man die Biere des Programms "Taste the world" zu dem deutschen Craftbeer-Markt zuordnen, so Bartelt, läge sein Marktanteil bei 80 Prozent. Was auch daran liegt, dass diese Biere gut verfügbar sind. Viele Biere von Kleinstbrauereien bekommen die Fans dieser Sorten nur in Spezialgeschäften oder Onlineshops.

Das Spezielle rauskitzeln, die Besonderheit betonen. Dieser Weg kann auch andere Abzweigungen nehmen. Die Brauereien Veltins und Warsteiner setzen eher darauf, die Sehnsucht nach einem traditionellen Produkt, nach der guten alten Zeit zu bedienen. "Grevensteiner" nennt Veltins sein jüngstes Produkt, das allein im Erscheinungsbild das Gegenteil vom schlanken, kühlen Design der Beck's-Flasche ist. Die gedrungene 0,33-Liter-Flasche und das Etikett bedient den Wunsch nach einer vermeintlich guten alten Zeit. Die "bauchige Steinieflasche signalisiert, dass hier solide Brautradition lebendig wird", gleich so, als ob die heutigen Biere von Veltins das nicht ebenfalls für sich reklamieren würden.

Zehn Fakten über Bier
Das billigste BierAm wenigsten kostet Bier in der Ukraine und Vietnam. Hier muss man jeweils 0,43 Euro für eine 0,5-Liter-Flasche hinlegen. Generell ist das Bier in Südostasien und Osteuropa am günstigsten, besagen die Daten des Lebenserhaltungskosten-Portals "Numbeo". Auf Ukraine und Vietnam folgen Kambodscha (0,50 Euro), Saudi Arabien (0,51 Euro), Tschechien (0,52 Euro) und China (0,54 Euro). Quelle: dpa
Das teuerste BierIm nahen und Mittleren Osten müssen Biertrinker am tiefsten ins Portemonnaie greifen. Mit 5,67 Euro ist eine 0,5-Liter-Flasche Bier im Iran weltweit am teuersten. In Kuweit sind es 5,21 Euro und in der Vereinigten Arabischen Emiraten 4,56 Euro. Quelle: dpa
Die größten BierbrauerIn China wird weltweit meisten Bier wird gebraut. 490,2 Millionen Hektoliter flossen 2012 hier aus den Brauereien hinaus, schätzt der Hopfenhersteller Barth-Haas. Es folgen die USA (229,3 Millionen Hektoliter), Brasilien (132,8 Millionen Hektolitern), Russland (97,4 Millionen Hektoliter) und Deutschland (94,6 Millionen Hektoliter). Quelle: AP
Europas größte BiertrinkerWir sind Europameister – im Biertrinken. Mit 86 Millionen Hektolitern Bier trank keine andere europäische Nation 2012 so viel Bier wie die Deutschen. Auch in den Vorjahren lag Deutschland an der Spitze, berichtet die Vereinigung „Brewers of Europe“.  Hinter Deutschland kommen das Vereinigte Königreich (43 Millionen Hektoliter), Polen (38 Millionen Hektoliter), Spanien (35 Millionen Hektoliter) und Frankreich (20 Millionen Hektoliter). Quelle: dpa
Europas spendabelste BiertrinkerDie Briten geben am meisten für Bier in Europa aus. 2012 waren es den „Brewers of Europe“ zufolge 20 Milliarden Euro. Dahinter kommen die Deutschen mit 19 Milliarden Euro, die Spanier mit 14,6 Milliarden Euro, und die Italiener mit 9,7 Milliarden Euro. Quelle: REUTERS
Die weltweit größten BierbrauerDie weltweit größte Brauerei ist das belgisch-amerikanische Unternehmen Anheuser Busch InBev. 352,9 Millionen Hektoliter Bier pumpte das Konglomerat 2012 in die Welt. Laut Zahlen des Hopfenherstellers Barth-Haas folgt dahinter die englische Brauer SAB Miller (190 Millionen Hektoliter), sowie die niederländische Konkurrenz von Heineken (171,7 Hektoliter). Quelle: dpa
Die wertvollsten BiermarkenDie Light-Version des US-Biers Budweiser besitzt den weltweit höchsten Markenwert. Bud Light ist mit 12,6 Milliarden US-Dollar die wertvollste Biermarke. Das original Budweiser kommt laut der Werbeagentur Millward Brown erst auf den zweiten Platz. Budweiser wies 2012 einen Markenwert von 11,8 Milliarden US-Dollar auf. In der Rangliste folgen Heineken (8,7 Milliarden US-Dollar), Stella Artois (8,2 Milliarden US-Dollar) und Corona (8 Milliarden US-Dollar). Eine deutsche Biermarke ist unter den Top 10 nicht zu finden. Quelle: AP

In die gleiche Kerbe schlägt der Wettbewerber Warsteiner mit der Braumeister Edition. „Unsere neue Braumeister Edition besinnt sich auf das Handwerk von damals. Es war uns besonders wichtig, die althergebrachten Rezepte des ersten beurkundeten Braumeisters der Warsteiner Brauerei, Fritz Peters, der 1869 seine Arbeit aufnahm, modern und zeitgemäß zu interpretieren", sagt Martin Hötzel, Geschäftsführer Vertrieb & Marketing bei Warsteiner.

Modern und zeitgemäß bedeutet eben auch, dass die Biere selbstverständlich nicht so produziert werden wie 1869. Eine kontrollierte Gärung, wie sie heute möglich ist, war undenkbar.

Altes Etikett, naturtrüb, Betonung der handwerklichen Idee, der Markt für Bierspezialitäten wachse, sagt Hötzel. Dazu zählen auch all jene Produzenten, die mit dem nun gefeierten Reinheitsgebot eigentlich nichts zu tun haben wollen.

Zukunft des Bier-Marktes

Aber gelegentlich arrangieren sich alte und neue Bierwelt gar schiedlich friedlich - zum Wohle aller Beteiligten. Die seit 1862 in Düsseldorf ansässige Brauerei Uerige mit ihrem Stammhaus in der Altstadt und der typischen rustikalen Gastronomie tat sich zusammen mit einem der Querdenker der deutschen Craft-Beer-Szene. Oliver Wesseloh von der Hamburger Marke Kreativbrauerei Kehrwieder kam nach Düsseldorf, um dort zusammen mit den lokalen Braumeistern das "Jröön" zu brauen. Eine Spezialität, die auf Basis der Blüten der Hopfenpflanze gebraut wurde. Eine Kooperation, wie sie in der Craft-Beer-Szene unter befreundeten Braumeistern nicht unüblich ist.

Die Brauerei Maisel aus Bayreuth setzt neben seinen klassischen fränkischen Spezialitäten ebenfalls auf die Zusammenarbeit, unter anderem mit Winzern, um unter dem Namen Maisel and Friends, Biere im internationalen Stil zu brauen. Ein neues Brauhaus, Brauwerkstatt genannt, in historischen Mauern, inszeniert mit bunt beleuchteten Stahltanks die neue Freude am Experiment.

Aber nicht immer sind die Aktivitäten der Großbrauereien abseits der erprobten Pfade so gut zu erkennen. Das Bier TNT 6.0 entsteht in der Brauerei im Eiswerk und ist mit dem gleichnamigen Hopfen eines von sieben Bieren, die ein vierköpfiges Team dort kreiert und vertreibt. Edle Flaschen, bescheidener Auftritt - und ins Leben gerufen von der Mutter, der Paulaner Brauerei.

Doch die hiesigen Platzhirsche, die die Gastronomie dominieren, müssen auch dort neue Wettbewerber zur Kenntnis nehmen. Mit Stone Brewing kommt eine der bekanntesten Craftbrauereien aus den USA nach Berlin. Von der Brauerei mit angrenzender Gastronomie soll Europa aus mit klassischen Sorten Stone IPA oder Arrogant Bastard Ale versorgt werden. Die britische Brauerei Brewdog plant zwar keine Produktion, aber eigene Bars in Deutschland, zunächst ebenfalls in Berlin.

Noch ist eine Methode der Braukonzernen in den USA oder Großbritannien nicht in Deutschland angekommen, um sich in dem sich ändernden Markt zu behaupten: Die Giganten kaufen einfach einige der angesagtesten Craftbrauereien auf.

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